Bei den Wahlen in Algerien haben die Islamisten wider Erwarten nicht gewonnen

Grüner wird’s nicht

Anders als in Tunesien und Ägypten waren die Islamisten bei den Wahlen in Algerien nicht erfolgreich.

»Algerien ist ein seltsames Land, in dem man eine Jahreszeit glatt überspringt«, lästern viele Algerier. Gemeint ist der »arabische Frühling«. Algerien gehört zu den wenigen Ländern der Region, in denen es keine Massenproteste gab.
Einige Tage nach der Parlamentswahl vom 10. Mai, deren offizielle Ergebnisse bereits am Tag darauf bekannt gegeben wurden, sind manche Algerier immer noch erstaunt. Ihrer Ansicht nach hätte es dieses Mal wirklich einen Regierungswechsel geben können.
Parteien, die wie al-Nahda als »moderat islamistisch« bezeichnet werden, hatten im Herbst vergangenen Jahres erst die Wahlen in Tunesien und danach jene in Marokko und Ägypten gewonnen. Vergleichbare politische Parteien in Algerien hofften, ebenfalls von diesem Trend profitieren zu können und rechneten fest mit ihrem Wahlsieg. Allerdings wurde daraus nichts.
Im Januar hatte die seit 1999 an allen algerischen Regierungen beteiligte Partei MSP-Hamas, die den Muslimbrüdern in Ägypten nahesteht, überraschend das als alliance présidentielle bezeichnete Regierungsbündnis verlassen. Allerdings blieben ihre vier Minister weiterhin in ihren Ämtern. Zu ihnen zählt der Bau- und Infrastrukturminister Amar Ghoul, ein bartloser Softcore-Islamist, dem besonders oft Beteiligung an den äußerst verbreiteten Korruptionspraktiken nachgesagt wird. Sein Ministerium war diesbezüglich in den vergangenen Jahren exponiert, denn öffentliche Bauaufträge im In­frastrukturbereich gab und gibt es zuhauf.
Dank des seit 2007 meist steigenden Rohölpreises erzielte der Staat hohe Einnahmen und verfügt derzeit über Devisenreserven in Höhe von 200 Milliarden Dollar. Aber mehr noch als die Golfmonarchien ist Algerien von der Ölrente und in geringerem Maß dem Erdgasexport abhängig. Auf den Verkauf zweier Rohstoffe angewiesen zu sein, kann zum Problem werden, wenn der Preis sinkt oder die Käufer zur Nutzung anderer Energiequellen übergehen. Umso wichtiger wäre die Diversifizierung der Wirtschaft. Überdies erwarten die Algerier, vom Reichtum ihres Landes zu profitieren. Die meisten warten vergeblich.

»Die Regierung verteilt zwar hin und wieder Fische, aber Angeln dürfen wir nicht selbst, wir sind total entmündig«, kommentiert Ahmed, ein Arbeitsloser im westalgerischen Oran. Dort hat die Regierung in den vergangenen Jahren riesige Neubaukomplexe zwischen dem Flughafen al-Senia und der Altstadt errichtet. Viele halbfertige Hochhausbauten sieht man von der Stadtautobahn aus. Aber als Erwerbsloser kann man die Miete dort nicht bezahlen, sagt der junge Mann.
Auch in Luxusbauten wurde eifrig investiert: Dort, wo die Straße von der Ebene hinter der Küste zum Meer hin abzufallen beginnt, wurde ein gigantischer Hotelneubau errichtet. Eine Übernachtung kostet mindestens 100 Euro, knapp so viel wie der algerische Mindestlohn im Monat beträgt, und für ein Abendessen bezahlt man über 30 Euro. Nordine arbeitet in dem Hotel als An­gestellter. Für ihn handelt es sich um eine Lebens­perspektive, während viele seiner Kollegen nebenher studieren und von einem Leben in Europa träumen. »Monatlich verdiene ich hier rund 270 Euro«, erzählt er. »Aber allein eine Anderthalb- bis Zweizimmerwohnung in der Stadt zu mieten, kostet 200 Euro. Da ich keine Familie habe, wohne ich mit meiner Schwester zusammen, die ein Kosmetikunternehmen betreibt. Allein zu wohne, wäre mir finanziell unmöglich.« Nordine geht es vergleichsweise gut, er hat einen relativ lukra­tiven Job erwischt. Über die Wahlen will er nicht diskutieren.
Den Unwillen, sich mit Politik zu befassen, teilen viele Algerier. Darauf baut auch die Regierung, die sich einerseits den sozialen Frieden zu erkaufen versucht – in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes wurden im vorigen Jahr die Löhne stark erhöht – und andererseits vor Verschwörungen und drohendem Chaos warnt. Repräsentanten des politischen Establishments verteidigten das libysche Regime und unterstützen nun die Diktatur in Syrien. Die arabischen Revolten werden als Destabilisierungsversuche ausländischer Mächte dargestellt, von denen auch Algerien bedroht sei.

Diese Propaganda zeigt Wirkung, weil viele Algerier weiterhin durch den Bürgerkrieg zwischen der Staatsmacht und bewaffneten Islamisten (1992 bis 1998) traumatisiert sind und Angst vor einer erneuten Eskalation haben. So gewann jetzt bei den Wahlen die Nationale Befreiungsfront (FLN), die von der Unabhängigkeit 1962 bis zur durch eine Revolte erzwungenen Demokratisierung 1988/89 als Einheitspartei regierte, 220 von 462 Sitzen im algerischen Parlament. So viele Abgeordnete hat die Partei seit der Einführung des Mehrparteiensystems nicht mehr gestellt. Eine Abspaltung des FLN, der 1997/98 zur Unterstützung der damaligen Militärregierung aufgebaute RND (Nationale Demokratische Sammlung), erlangte weitere 68 Mandate.
Die Islamisten wurden nur drittstärkste Fraktion. Drei Parteien hatten sich unter Führung der MPS-Hamas zur »Grünen Allianz« zusammengeschlossen und verkündet, bereits ihre Regierung zusammengestellt zu haben. Doch es sitzen nur 48 Abgeordnete der »Grünen Allianz« im Parlament. Einige ihrer Repräsentanten geben sich zerknirscht, andere sprechen von Wahl­betrug.
Dass Wahlbetrug die Islamisten um den Sieg gebracht hat, ist jedoch unwahrscheinlich. Einzelne Manipulationen mag es gegeben haben, die Gesamttendenz erklären sie aber sicher nicht. Vielmehr haben sich die Islamisten durch langjährige Regierungsbeteiligungen selbst diskre­ditiert, und außer Sprüchen über eine angeblich notwendige »Moralisierung« haben sie den Algeriern im Alltag nichts gebracht. Wer wählen ging, zog offenbar die Hauptfraktionen des Establishments vor, jene, von denen man wenigstens hin und wieder eine Lohnerhöhung oder eine andere Vergünstigung erwarten kann.