Über das Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC

Hysterie vorm Sportgericht

Die Aufarbeitung des Relegationsspiels zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC ist mit dem Urteil des DFB nicht beendet. Spannung und Emotionen sind beim Fußball schließlich gewollt und werden von Vereinen, Fans und Medien bewusst inszeniert.

Es läuft die 91. Spielminute im Mannheimer Rhein-Neckar-Stadion, als das Flutlicht ausfällt. 10 000 Menschen, die gekommen sind, um dem Spiel zwischen den Kickers Offenbach und dem FC Memmingen beizuwohnen, stehen in dieser Sommernacht des Jahres 1997 plötzlich im Dunkeln. Für die 9 000 Kickers-Fans ist es eine Erleichterung. Ihre Mannschaft liegt im entscheidenden Relegationsspiel um den Aufstieg in die Regionalliga mit 3:2 im Rückstand. Obwohl nur eine Sicherung durchgebrannt sein soll, ist das Problem nach einer Dreiviertelstunde noch immer nicht behoben. Der Schiedsrichter entscheidet sich, das Spiel abzubrechen. Vier Tage später wird es im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion wiederholt. Dort siegen die Kickers 2:0. Während man in Offenbach dem Fußballgott für den Flutlichtausfall dankt, fühlt man sich in Memmingen betrogen. Bis heute hält sich das Gerücht, dass der Spielabbruch das Resultat von Sabotage gewesen sei.
Relegationsspiele sind Garanten für Dramatik. Sie sind »Todesspiele«, in denen es für die Mannschaften um alles geht. Eine ganze Saison kann dabei gekrönt oder noch gerettet werden. Nur ein Augenblick genügt, um das weitere Schicksal eines Vereins zu besiegeln. Erinnert sei an den SV Darmstadt, der 1988 wieder in die Bundesliga aufsteigen wollte und in der Relegation gegen den SV Waldhof antreten musste. Im dritten Spiel, auf neutralem Boden – damals galt die Auswärtstorregelung noch nicht –, siegten schließlich die »Waldhof-Buben« im Elfmeterschießen. Die »Lilien« erholten sich davon nie und stürzten in der Folgezeit in den Amateurfußball ab.
Doch es geht noch dramatischer. Dann nämlich, wenn »Skandale« ins Spiel kommen. So zu erleben im »Fußballkrimi« zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin. Vergangene Woche hatten im Relegationsrückspiel um den letzten Bundesligaplatz in der 95. Minute Düsseldorfer Fans den Platz gestürmt. Eineinhalb Minuten waren da in Düsseldorf noch zu spielen. Ein Tor der Berliner Gastmannschaft hätte der »Alten Dame« doch noch den Klassenerhalt sichern und den Fortunen die lang ersehnte Rückkehr in die Bundesliga vermasseln können. Das Spiel wurde schließlich mehr als 20 Minuten lang unterbrochen, um dann für nur wenige Sekunden wieder angepfiffen zu werden. Es blieb beim 2:2. Nach dem 1:2 im Hinspiel bedeutete das Herthas Abstieg. Deren Vorstand legte daraufhin Protest beim DFB ein.
Seitdem diskutieren die Fußballbegeisterten in Deutschland, wie mit einem solchen Vorfall umgegangen werden soll – zuweilen in hysterischster Manier. Doch mit »Ausschreitungen« oder »Randale«, wovon manche Medien reden, hat der Düsseldorfer Platzsturm wenig zu tun. Weder wurden Menschen verletzt, noch hatten die Fans bösartige Absichten. Im Gegenteil. Als sich der drohende Spielabbruch in der jubelnden Meute herumgesprochen hatte, verflüchtigte sie sich überraschend diszipliniert wieder vom Platz. Es handelt sich auch keineswegs um ein einmaliges Ereignis, wie ein empörter Reinhold Beckmann ins Mikro schnaubte. Frühzeitige Platzstürme gab es gerade zu Saisonende immer mal wieder, etwa wenn ein Verein seinen Aufstieg besiegeln konnte – ohne dass Kommentatoren die Apokalypse heraufbeschworen.
Doch im Gegensatz zum regulären Rundenabschluss, wo zumeist in einem »Fernduell« über den Aufstieg entschieden wird, tritt im direkten Duell eine solche Spielbeeinträchtigung offen zu Tage. Und in ein bis zwei Minuten kann im Fußball viel passieren. Das hat Manchester City mit seinen beiden Toren in der Nachspielzeit, die den »Citizens« doch noch den Titel in der Premier League bescherten, gerade erst bewiesen. Umso verwunderlicher, dass die Ereignisse in Düsseldorf vielfach unter technischen statt sportlichen Gesichtspunkten bewertet wurden. Ob Schiedsrichter Wolfgang Stark ordnungsgemäß gehandelt habe, lautete die alles dominierende Frage. Hertha wiederum wurde nicht müde zu betonen, dass sich ihre Spieler in »Todesangst« befunden hätten.
Bei der Verhandlung wollte ihnen das niemand so recht abnehmen. Immerhin waren mehrere Herthaner Spieler nach dem vorzeitigen Abpfiff auf Stark losgegangen und hatten ihn als »feige Sau« beschimpft. Wer sich derart verhalte und die volle Spielzeit einfordere, könne auf dem Platz wohl kaum in Sorge um sein Leben gewesen sein, gab Richter Hans E. Lorenz zu verstehen. Es sah also nicht gut aus für Hertha. Wäre da nicht ihr Anwalt gewesen, der mit seinen Argumenten durchaus Eindruck auf das Gericht machte. Es sei nun mal eine Schwächung der Auswärtsmannschaft, wenn die heimischen Fans zu Scharen an der Seitenlinie stünden, abgeschirmt nur von Hunderten behelmter Polizisten, erklärte Christoph Schickhardt. Da ist etwas dran. Zwar verhielten sich die Düsseldorfer Fans letztlich ungefährlich, doch es war ja auch ihre Mannschaft, die vor dem Triumph stand. »Was passiert eigentlich, wenn wir hier noch ein Tor schießen?« hatten Hertha-Spieler nach Angaben des vierten Offiziellen mehrfach während der Unterbrechung zu bedenken gegeben. Und unter solchen Umständen hatte Hertha auch schon die Minuten vor der Unterbrechung spielen müssen.
Mit der am Montag ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung, das Spiel nicht zu wiederholen, hat man sich dann doch für den bequemen Weg entschieden. Zu viel organisatorisches Ungemach sollte offenbar vermieden werden. Vielleicht fürchtete man sich auch vor einem weiteren Ausbruch von Emotionen. Allerdings legte Hertha sogleich Berufung ein.
Ob sich der DFB das so vorgestellt hat, als er die Relegation wieder einführte? Dies geschah immerhin in der Absicht, den Zuschauern mehr Dramatik zu bieten. Zumindest haben die überschäumenden Emotionen, die man vor dem Spiel in Düsseldorf tags zuvor schon in Karlsruhe sehen durfte – dort kam es zu Ausschreitungen, nachdem der KSC in der Zweitligarelegation den Klassenerhalt verfehlte –, die Debatte über den Sinn der Relegation wieder aufleben lassen. Befürworter der Relegation führen – neben der Spannung – etwa die bessere Vergleichbarkeit der Team- und Ligastärken an. Die Gegner halten dem entgegen, dass den Vereinen zu viel zugemutet würde und sie keine Planungssicherheit hätten.
Der Wunsch nach Dramatik bleibt jedoch ein Argument von Gewicht. Den Fußball möglichst spannend zu machen, war schon immer ein Wunsch von Fans und Funktionären. Derzeit diskutiert die DFL etwa eine »Spielplan-Revolution«, wonach der Rückrundenspielplan der Tabelle nach der Hinrunde angepasst werden soll. Davon erhofft man sich am Ende der Saison direkte Duelle um die jeweils begehrten Plätze. Andere Vorschläge sind geradezu kurios, wie etwa der des ehemaligen Bayern-Trainers Louis van Gaal, in Verlängerungen alle fünf Minuten von jeder Elf einen Spieler vom Feld zu nehmen. Dass dumme Ideen sich auch durchsetzen können, zeigt das Golden Goal, das eine Zeitlang bei internationalen Wettbewerben praktiziert wurde. Eigentlich sollte dieses die Spannung bei Verlängerungen steigern. Weil aber kaum eine Mannschaft zu viel riskieren wollte, belauerten sich die Teams meist nur. Und so erwies sich das Golden Goal eher als Garant für Langeweile.