Im falschen Trikot

Die fahrende Bierbank, die am Samstag gegen 20.30 Uhr durch Neukölln und Kreuzberg rollt, erregt kaum Aufmerksamkeit. Obwohl aus den Lautsprechern »I will survive« dröhnt und die Sitzplätze von mit Krönchen geschmückten Frauen besetzt sind, die huldvoll in Richtung Bürgersteig winken. Der ist allerdings fast menschenleer, und die wenigen Passanten haben es eilig, Zeit zum Zurückwinken bleibt nicht. Ein Mann erbarmt sich und ruft: »Mädels, ist Fußball heute!« Ein Jugendlicher, der neben ihm geht, sagt: »Was für ein Scheiß-Timing für eine Junggesellinnenabschieds-Chose.« Beim Private Public Viewing im Hinterhof ist es dann zwar voller als auf den Berliner Bürgersteigen, aber von ungeteilter Aufmerksamkeit für das Spielgeschehen ist wenig zu spüren. Die mangelnde Leidenschaft hat Gründe: Abgesehen von zwei kleinen Jungen im Grundschulalter, die viel zu große Schweinsteiger-Trikots tragen, scheint es hier kaum Bayern-Fans zu geben. Die Gruppe Engländer, die sich um den Grill drängt, möchte zwar, dass Chelsea das Champions-League-Finale gewinnt, aber eigentlich schlägt ihr Herz für Arsenal. Ein Spanier, dessen Begeisterung durch das Ausscheiden des FC Barcelona im Halbfinale schon erheblich getrübt wurde, will nur noch »German Bratwurst« essen, und die Berliner reden immer noch über die Bundesliga, die längst Sommerpause hat, und über Hertha. Die Stimmung ändert sich, als Thomas Müller ein Tor schießt. Kurzer Jubel, fünf Minuten später trifft Didier Drogba für Chelsea, dann macht sich ein ratloses Schweigen breit. Passend dazu ist das Bier, das für die Verlängerung bereitsteht, lauwarm. Als Arjen Robben den Elfmeter verschießt, ist es um die Nerven der beiden Grundschüler schon nicht mehr allzu gut bestellt. Zum Schluss starren alle gebannt auf die Leinwand, es wird gejubelt und geflucht, die Kleinen halten sich die Augen zu. Als Bastian Schweinsteiger den Elfmeter verschießt, beginnen die beiden Jungen in den zu großen Schweinsteiger-Trikots lautstark zu weinen.