»Design und Verbrechen. Und andere Schmähreden«

Design und Verbrechen

Hal Foster erklärt, wie das Design von einer künstlerischen Stilform zur gesellschaftlichen Denkform werden konnte.

Eine Jahrhundertwende verweist auf andere, 2000 bildete da keine Ausnahme. Mit Vehemenz drängte in den vergangenen Jahren der Stil von 1900 – Art nouveau oder Jugendstil – in Museumsausstellungen und wissenschaftliche Publikationen. Längst vergangen und weit weg scheint sie, diese dem »Gesamtkunstwerk« verpflichtete, über ganz Europa sich ausbreitende Arts and Crafts-Bewegung, in der alles, von der Architektur bis zum Aschenbecher, von einem dekorativen Überschwang erfasst war, da Gestalter sich bemühten, durch vitalistische Formensprache und Linienführung Gegenständen aller Art ihre Subjektivität einzuprägen – als wäre das Ansiedeln der Dinge im Kunsthandwerklichen irgendwie ein Akt des Widerstands gegen den Vormarsch industrieller Verdinglichung. Als in den zwanziger Jahren eine Maschinenästhetik tonangebend wurde, war Art nouveau längst nicht mehr nouveau; im Verlauf der folgenden Jahrzehnte sollte aus dem in die Jahre gekommenen Jugendstil allmählich Kitsch werden, und in diesem Zwischenreich verharrt er seither. Auffallend freilich ist das starke Echo in der Gegenwart, wie es sich etwa in der jüngsten Parade von Jugendstil-Austellungen manifestiert – eine Intuition vielleicht, erneut in einer Zeit zu leben, in der die Disziplinen verschwimmen und Gegenstände wie Subjekte im Miniformat behandelt werden, in einer Epoche »totalen Designs«, eines »Jugendstils 2000«.

Kampf dem Ornament

Adolf Loos, der Wiener Architekt strenger Fassaden, war ein entschiedener Kritiker der hybriden Jugendstil-Ästhetik. Auf seinem Gebiet, dem der Architektur, war er, was Arnold Schönberg für die Musik, Ludwig Wittgenstein für die Philosophie und Karl Kraus für die Publizistik waren – einer, der das Verspielte und Überflüssige in der eigenen Disziplin geißelte. Der Aufsatz »Ornament und Verbrechen« (1908) ist, was das anbelangt, Loos’ schärfste Polemik, stellt er darin doch den Jugendstil-Gestalter in eine Reihe mit einem Kind, das Wände beschmiert, oder einem »Papua«, der seine Haut tätowiert. Für Loos ist die ornamentale Überladenheit im Jugendstil gleichermaßen erotisch und »degeneriert«, eine Umkehrung der kulturellen Entwicklung, deren eigentlicher Gang seiner Überzeugung nach dahin führt, zu sublimieren, zu distinguieren und zu reinigen; daher rührt seine allseits bekannte Formel »evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande«, vor allem aber seine berühmt-berüchtigte Gleichsetzung von »Ornament« mit »Verbrechen«. (1) Diese Absage an das Dekorative ist ein Musterbeispiel eines modernen Mantras, und die puritanische Korrektheit, die aus solchen Worten spricht, bot umgekehrt Protagonisten der Postmoderne einen Vorwand, Vertreter der Moderne wie Loos zu verwerfen. Doch vielleicht haben sich die Zeiten wieder geändert; vielleicht befinden wir uns an einem Punkt, da Differenzierungen erneut möglich und notwendig scheinen – ohne gleich den ideologischen Ballast von Reinheit und Korrektheit mitzuschleppen.
Loos begann seinen Kampf gegen den Jugendstil bereits ein Jahrzehnt vor »Ornament und Verbrechen«. Einen gezielten Angriff führte er 1900, in Form einer satirischen Parabel auf einen »armen reichen Mann«, der einen Jugendstil-Architekten beauftragt, ihn mit »Kunst in allem und jedem« zu umgeben: »Jeder raum bildete eine abgeschlossene farbensymphonie. Wand, möbel und stoffe waren in der raffiniertesten weise zusammengestimmt. Jedes gerät hatte seinen bestimmten platz und war mit den anderen zu den wunderbarsten kombinationen verbunden. Nichts, gar nichts hatte der architekt vergessen. Zigarrenabstreifer, bestecke, lichtauslöscher, alles, alles war von ihm hergestellt worden.« (2)
Ein solches Gesamtkunstwerk ist indes mehr als nur eine Kombination aus Architektur, Kunst und (Kunst-)Hand­werk; in ihm verschmelzen Subjekt und Objekt, denn »in jedem ornamente, in jeder form, in jedem nagel war die individualität des besitzers ausgedrückt«. Der Jugendstil-Architekt sieht darin Vollkommenheit. »Sie sind komplett!« jubelt er dem Hausherrn zu. Der hingegen ist sich ob dieser Komplettierung nicht so sicher, »den kopf strengte sie sehr an«. Statt ihm ein Refugium vor den mit der Moderne einhergehenden Belastungen zu bieten, war seine Jugendstil-Einrichtung selbst eine: »Der glückliche fühlte sich plötzlich tief, tief unglücklich. (…) Er war ausgeschaltet aus dem künftigen leben und streben, werden und wünschen. Er fühlte: Jetzt heißt es lernen, mit seinem eigenen leichnam herumzugehen. Jawohl! Er ist fertig! Er ist komplett!«
Für den Jugendstil-Gestalter besteht die Vollkommenheit in einer neuen Einheit von Kunst und Leben, alle Zeichen des Todes sind daraus verbannt. Loos hingegen betrachtet diese triumphierende Überwindung aller Grenzen als katastrophalen Verlust – als Verlust der objektiven Voraussetzungen, von denen aus sich jegliches »künftige leben und streben, werden und wünschen« be­stimmen ließe. Weit davon entfernt, den Tod zu trans­zendieren, ist ein solcher Verlust der Endlichkeit ein Tod zu Lebzeiten, ein Leben »mit seinem eigenen leichnam«, wie Loos die Ununterscheidbarkeit zugespitzt ausdrückt.
Das ist die Malaise des »armen reichen Mannes«: Er ist kein Mann von Stand, sondern ein Mann ohne Eigenschaften (wie es ein anderer der kritischen Geister aus Wien, der große Romancier Robert Musil, schon kurze Zeit später auf den Punkt bringen sollte), denn was ihm bei all seiner Vollkommenheit fehlt, sind Unterscheidungsvermögen und Unterscheidbarkeit. In der ihm eigenen markanten Art hat Karl Kraus 1913 diesen Mangel an Distinktion, der jegliches »künftige leben und streben« ausschließt, einen Mangel an »Spielraum« genannt: »Adolf Loos und ich, er wörtlich, ich sprachlich, haben nichts weiter getan als gezeigt, dass zwischen einer Urne und einem Nachttopf ein Unterschied ist und dass in diesem Unterschied erst die Kultur Spielraum hat. Die andern aber, die Positiven (jene also, die es versäumen, diesen Unterschied zu machen; H.F.), teilen sich in solche, die die Urne als Nachttopf, und die den Nachttopf als Urne gebrauchen.« (3)
Auf der einen Seite finden sich die Jugendstil-Gestalter, die »die Urne als Nachttopf gebrauchen« und bemüht sind, Kunst (die Urne) in einen Gebrauchsgegenstand (den Nachttopf) zu überführen. Eine gegenteilige Absicht verfolgen die modernen Funktionalisten, die den Gebrauchsgegenstand zur Kunst erheben wollen. (Ein paar Jahre später sollte Marcel Duchamp beide Seiten übertrumpfen, als er sein »Fountain«, das seiner Funktion beraubte Urinal, als Kunst ausstellte. Doch das ist eine andere Geschichte.) Für Kraus verhalten sich beide Missverständnisse symmetrisch zueinander, da beide Gebrauchswert und Kunstwert durcheinanderbringen. Insofern sie das Risiko einer regressiven Ununterscheidbarkeit der Dinge eingehen, sind beide pervers: Sie übersehen, dass objektive Grenzen notwendig sind und erst durch sie der »Spielraum« entsteht, dessen die Entwicklung freier Subjektivität und Kultur bedarf. Loos wendet sich aus dem gleichen Grund nicht nur gegen die Gesamtkunstwerksaspirationen im Jugendstil, sondern auch gegen dessen schamlosen Subjektivismus (»in jeder form, in jedem nagel war die individualität (…) ausgedrückt«). Weder Loos noch Kraus äußern sich indes über ein der Kunst eigenes »Wesen« oder eine unumschränkte »Autonomie« der Kultur; ihnen geht es um »Unterschiede« und »Spielräume«, um Unterscheidbarkeiten und provisorische Zwischenräume.
Das »Design-Subjekt«

Die alte Debatte gewinnt heute, da das Ästhetische und das Nützliche ineinander aufzugehen scheinen und zugleich weitgehend kommerziellen Interessen untergeordnet sind, erneut an Bedeutung. Alles – vom architektonischen Entwurf und der Kunstausstellung bis hin zu Jeans und genetischem Material – scheint in erster Linie unter dem Aspekt des Designs betrachtet zu werden. Nach der Glanzzeit des Gestalters im Jugendstil waren der Künstler als Ingenieur und der Autor als Produzent die Helden der Moderne, doch zusammen mit der industriellen Ordnung, die sie getragen hatte, verschwanden wiederum auch diese Figuren, so dass schließlich in unserer Konsumwelt der Designer erneut den Ton angibt. Doch unterscheidet sich dieser neue Designer sehr vom alten: Der Jugendstil-Künstler widersetzte sich dem Einfluss der Industrie, selbst dort, wo er, in den Worten Walter Benjamins, bemüht war, durch die plastische Gestaltung des Betons, Gusseisens etc. der Architektur und Kunst Formen »zurückzugewinnen«. (4) Einen vergleichbaren Widerstand gibt es im zeitgenössischen Design nicht; es findet Vergnügen am Einsatz postindustrieller Technologie und opfert mit Freuden die Semiautonomie von Architektur und Kunst gestalterischen Manipulationen. Zugleich ist das Gebiet, in dem der Designer den Ton angibt, größer als je zuvor: Design umgreift ganz unterschiedliche Unternehmen (von Martha Stewart bis Microsoft) und durchdringt die verschiedensten gesellschaftlichen Schichten. Heute muss niemand mehr obszön reich sein, um nach außen als Designer und vor allem als »designed« auftreten zu können – Designobjekte sind gleichermaßen ein Wohnhaus und eine Firma, Falten im Gesicht (Design-OP) und die eigene Persönlichkeit (Designer-Drogen), die Erinnerung an die Vergangenheit (Designer-Museen) und die genetische Zukunft (Designer-Babys). Ist möglicherweise das »Design-Subjekt« ein illegitimer Spross des in der Kultur der Postmoderne so hochgehaltenen »konstruierten Subjekts«? Eines scheint jedenfalls ausgemacht: Gerade wenn man denkt, die narzisstische Logik des Konsums könne nicht noch enger werden, passiert genau das. Design trägt dazu bei, Produktion und Konsum in einem fast perfekten Kreis zu verbinden, viel »Spielraum« für anderes bleibt dabei nicht.
Dagegen ließe sich zu Recht einwenden, eine solche Welt des totalen Designs sei keineswegs neu – die Verschmelzung des Ästhetischen und des Nützlichen unter kommerziellen Vorzeichen jedenfalls lässt sich zumindest bis zum gestalterischen Programm des Bauhauses aus den zwanziger Jahren zurückverfolgen. Bereitete die erste industrielle Revolution der politischen Ökonomie den Boden – also einem rationalen Verständnis der materiellen Produktion –, so erweiterte die durch den Bauhaus-Stil geprägte zweite industrielle Revolution »das Regime des Tauschwerts auf den Bereich der Zeichen, Formen und Gegenstände«, wie Jean Baudrillard vor Jahren bereits geltend machte, und zwar »im Namen des Designs«. (5) Baudrillard zufolge steht das Bauhaus für den qualitativen Sprung von einer politischen Ökonomie des Produkts zu einer »politischen Ökonomie des Zeichens«, in der Ware und Zeichen einander redefinieren und neu strukturieren, so dass beide als eine Einheit zirkulieren können, als Bildprodukt mit »Zeichen/Tausch-Wert«, wie es heute der Fall ist. Selbstverständlich hatten die Bauhaus-Meister, unter ihnen einige Marxisten, anderes im Sinn, doch solche »bösen Träume der Moderne« (wie der Kunsthistoriker T. J. Clark sie einmal genannt hat) finden sich in deren wechselvoller Geschichte häufiger. (6) Aus der Perspektive der Gegenwart lautet entsprechend eine der Lehren der Moderne: Hüte dich vor deinen Wünschen, denn sie könnten in Erfüllung gehen – und zwar in pervertierter Form. So wurde, um nur das prominenteste Beispiel zu nennen, das alte Ziel, Kunst und Leben zusammenzuführen, wie Jugendstil, Bauhaus und andere künstlerische Bewegungen der Moderne es propagiert hatten, zwar irgendwann erreicht, doch geschah dies unter den Vorzeichen des Spektakels, des Diktats der Kulturindustrie, während das Streben der Avantgarde nach Befreiung unerfüllt blieb. In unserer Zeit heißt eine der grundlegenden Formen dieser falschen Versöhnung Design.

Inflation des Designs

Die Welt des totalen Designs ist also nicht neu – der Jugendstil imaginierte sie, das Bauhaus stattete sie aus und seither expandiert sie in institutionellen Reproduktionen und kommerziellen Nachbildungen. Doch erst in unserer pankapitalistischen Gegenwart scheint sie sich wirklich durchzusetzen. Verschiedene Gründe dafür liegen auf der Hand: In den Anfangsjahren der Massenproduktion war es die Ware selbst, die die eigene Ideologie transportierte, das Model T warb für sich selbst; Massenprodukte waren in erster Linie alle gleich, im Überfluss vorhanden und dadurch attraktiv. Schon bald reichte das nicht mehr aus: Der Konsument musste einbezogen, sein »Feedback« in der Produktion berücksichtigt werden. (Hier liegen die Ursprünge des modernen Designs.) Der wachsende Wettbewerb machte die Entwicklung differenzierterer Verführungsmethoden notwendig und die Verpa­ckung wurde fast so wichtig wie das Produkt selbst. (Das Subjektivieren der Ware ist schon im Stromlinien-Design offenkundig und wird später zunehmend surreal: Tatsächlich eignete sich die Werbung in kürzester Zeit den Surrealismus an.) Heute indes werden wir Zeugen eines qualitativen Sprungs in dieser Geschichte: Mit der »flexiblen Spezialisierung« im Postfordismus ist es möglich, Produkte unablässig anzupassen und immer neue Markt­nischen zu schaffen; obwohl ein Produkt in Massenstückzahlen hergestellt wird, kann es somit ständig als neu, einzigartig und personalisiert auftreten. (7) Den Produkten ist ein Begehren nicht nur eingeschrieben, es wird in ihnen spezifiziert: Eine Selbstanrufung, ein »Hallo, das bin ja ich« grüßt die Konsumenten online und aus Katalogen. Die dauernde Profilierung der Ware als ein Mini-Ich wird zu einem treibenden Faktor einer Design-Infla­tion. Was würde passieren, wenn die Warenmaschine, die heute unseren Blicken gewöhnlich weitgehend entzogen ist, kollabierte, wenn Umwelt und Märkte zusammenbrächen oder sich die weltweit zerstreuten Arbeiterinnen in den Sweatshops weiterzumachen weigerten?
Zur Design-Inflation trägt überdies bei, dass die Verpackung in vielen Fällen das Produkt quasi ersetzt. Ob das Designobjekt ein junger britischer Künstler oder ein Präsidentschaftskandidat ist, der Wiedererkennungswert der »Marke« – das Etablieren eines Markennamens für ein Produkt in einer aufmerksamkeitsdefizitären Öffentlichkeit – ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen grund­legend, und entsprechend relevant ist das Design. Die Aufmerksamkeit der Konsumenten und die bildliche Erinnerung werden umso wichtiger, wenn das Produkt kein »Objekt« im klassischen Sinn ist. Deutlich wurde dies bereits bei den ungeheuren Firmenfusionen, die sich in den Amtszeiten Reagans und Thatchers abspielten, als Mega-Konzerne entstanden, die wenig mehr zu bieten hatten als ihre neuen Akronyme und Logos. Als unter George Bush (dem ersten) die Konjunktur abflaute, war Marken- und Imagepflege für die Unternehmen der goldene Weg, ihren Aktienkurs zu stabilisieren, und zwar ungeachtet ihrer tatsächlichen Produktivität und Rentabilität. In jüngerer Zeit war es das Internet, das ein Wiedererkennen von Markennamen zum Selbst- und Geschäftszweck erhob. Dotcom-Unternehmen brauchen für ihr Überleben diese brand equity, und zum Teil geht das jüngste große Sterben in ihren Reihen auf eine Art Internet-Darwinismus zurück.
Die Design-Inflation gründet drittens auf einer wachsenden Bedeutung der Medienkonzerne, die zunehmend im Mittelpunkt ökonomischer Prozesse stehen. Dieser Umstand ist so offensichtlich, dass möglicherweise eine grundlegendere Entwicklung dabei aus den Augen gerät: die »Medialisierung« der Ökonomie. Darunter verstehe ich mehr als »Marketingkultur« oder »Kulturmarketing«; es geht um die Restrukturierung der Ökonomie durch Digitalisierung und Computerisierung, wodurch ein Produkt nicht länger als ein gegenständliches, anzufertigendes Objekt gelten kann, sondern vielmehr eine Gegebenheit darstellt, die manipulierbar bleibt, etwas, dessen Design sich ein ums andere Mal verändern lässt und das konsumiert werden kann, ohne sich zu verbrauchen. Auch diese Medialisierung trägt zur Design-Inflation bei, und zwar in einem Maße, dass Design heute nicht länger als eine Branche unter vielen anzusehen ist. Vielleicht sollten wir von einer »politischen Ökonomie des Designs« sprechen.
Einige dieser Überlegungen lassen sich an »Life Style« von Bruce Mau überprüfen, einem Kompendium der Projekte des kanadischen Designers, der in den späten achtziger Jahren als Gestalter des Magazins Zone und des Verlags Zone Books Berühmtheit erlangt hatte. Die Publikationen von Zone Books, die einflussreiche Beiträge zur Philosophie und Geschichtswissenschaft klassischer wie avantgardistischer Autoren versammelten, sind nicht zuletzt für ihr »Bruce Mau Design« bekannt: Üppige Cover mit aufwändigen Bildern in satten Farben, komplexe Seitenlayouts mit innovativer Typographie und filmartigen Montagen übten großen Einfluss auf die nordamerikanische Medienbranche aus. Bisweilen hat man den Eindruck, Mau habe Publikationen in der Absicht gestaltet, sie optisch »abtastbar« zu machen, und ungeachtet seiner gegenteiligen Behauptungen in »Life Style« tendiert er dazu, ein Buch eher als Design-Gebilde denn als intellektuelles Medium zu behandeln. (8)

Ware und Zeichen

»Life Style« ist eine Nachfolgepublikation der Mammut-Monographie »S, M, L, XL« (1995), die den Architekturprojekten Rem Koolhaas’ und des O.M.A. gewidmet ist und von Mau gestaltet wurde. (Beide Bücher sind nicht einfach üppige Bildbände für den Couchtisch, sie sind der Couchtisch.) Mit dem ihm eigenen Scharfblick wählte Koolhaas seinen Titel nicht nur als Hinweis auf die verschiedenen Dimensionen, in denen sich seine Arbeiten bewegen – vom Wohnhaus bis zur Stadtplanung –, sondern auch, um zu zeigen, dass angesagte Architekten heute wie angesagte Designer die ganze denkbare Produktpalette abdecken müssen, um alle Kunden zufrieden zu stellen. »Life Style« nun ist bestrebt, das »S, M, L, XL« des Designs zu sein: ein umfangreiches Manifest des eigenen Schaffens, die Geschichte eines Designstudios, die die eigenen Projekte extravagant präsentiert, angereichert mit kurzen Credos, historischen Skizzen und experimentellen Designstudien sowie verschiedenen Anekdoten über Meisterarchitekten wie Koolhaas, Frank Gehry und Philip Johnson. Auch der Titel, »Life Style«, spielt mit Benennungen und Bedeutungen: Nun mag man bei Lebensstil zunächst an das denken, was man bei Martha Stewart darunter versteht, doch sind wir aufgefordert, den Ausdruck im Sinne einer Lebensführung zu begreifen, wie Friedrich Nietzsche oder Michel Foucault sie konzipierten – als eine Ethik des Selbst, nicht als Leitfaden in Dekorfragen. Doch die in »Life Style« vorgestellte Welt lässt noch an etwas anderes denken, nämlich an das Umschlungensein des »reflektierten Lebens« durch ein »Design-Leben«. Am Anfang des Buches steht eine Fotografie der von der Walt Disney Company geplanten Gemeinde Celebration (Florida) mit der Bildlegende: »Die Frage des ›Lebensstils‹, der Entscheidung, wie man leben soll, trifft auf ein Regime von Firmenlogos und der zugehörigen Bilder.« Dieses Aufeinandertreffen wird wohl kaum zu einem fairen Kampf führen, und auch wenn Mau sich hier mit den Außenseitern identifizieren mag, bleibt er als Designer der anderen Seite vertraglich verpflichtet.
Schließlich ist »Life Style« eine Erfolgsgeschichte. Immer größere Kunden – zuerst akademische Kunst- und Kultur­institutionen, dann Firmen aus der Unterhaltungsbranche und andere Großunternehmen – kommen auf der Suche nach einem Unternehmensdesign zu Mau, das heißt auf der Suche nach brand equity. Sein Studio, »Bruce Mau Design«, so gesteht er offen ein, »ist bekannt dafür, Identität zu schaffen« und, was den »Geschäftswert« angeht, »Aufmerksamkeit zu kanalisieren«. Schön und gut, schließlich ist es ein Geschäft, und Mau hätte es dabei bewenden lassen können. Doch fährt er fort: »In diesem Umfeld besteht die einzige Möglichkeit, ein Eigenkapital zu schaffen, darin, Werte von außen zuzufügen: das Produkt mit Wissen und Kultur zu umgeben. Das wahrnehmbare Produkt, das mit der Transaktion verknüpfte Objekt, ist letztlich nicht das eigentliche Produkt. Das eigentliche Produkt bilden nunmehr Kultur und Wissen.« Beide gelten als Ergebnis des Designs – und ebenso Geschichte: Beauftragt, ein privates Museum für Coca-Cola-Memorabilien zu entwerfen, fragt Mau abschließend: »Hat Amerika Coke geschaffen? Oder hat Coke Amerika geschaffen?« Auch das biologische Leben wird in einer solchen Perspektive betrachtet: »Wie definiert sich ein Lebewesen in seiner Umwelt?« Man ahnt bereits die Ant­wort: durch Design.
Die Restrukturierung des Raums nach dem Bild der Ware ist eines der wichtigsten Phänomene der kapitalistischen Moderne; Beschreibungen dessen finden sich etwa bei Georg Simmel, Siegfried Kracauer oder Walter Benjamin, bei den Situationisten und bei kritischen Geographen wie David Harvey oder Saskia Sassen. Nun ist ein Punkt erreicht, da nicht nur Ware und Zeichen als Einheit erscheinen, sondern häufig auch Ware und Raum: In tatsächlichen und virtuellen Shopping-Malls verschmelzen beide durch Design. »Bruce Mau Design« kommt hierbei eine Vorreiterrolle zu. In einem »Identitätsplan« für eine Buchhandelskette aus Toronto entwirft Mau ein »Einzelhandelsumfeld (…), in das die Markenidentität, die Ausschilderung, die Inneneinrichtung und die Architektur vollkommen integriert wären«. Und sein Design für die von Koolhaas entworfene Seattle Public Library kommentiert Mau: »Im Zentrum stand das Vorhaben, die Grenzen zwischen Architektur und Information, zwischen dem Realen und dem Virtuellen vollständig auszulöschen.« Diese Integration, diese Auslöschung ist eine Deterritorialisierung von Bild und Raum; sie beruht auf der Digitalisierung der Fotografie, auf der Lockerung ihrer alten referentiellen Bindungen – vielleicht wird eines Tages die Entwicklung von Adobe Photoshop als Ereignis von welthistorischer Tragweite gelten –, sowie auf der Computerisierung der Architektur, der Lockerung alter baulicher Prinzipien – heute ist in architektonischen Entwürfen fast alles möglich, weil fast alles gebaut werden kann; daher all die willkürlichen Linien und biomorphen Klumpen, wie sie Frank Gehry und seine Anhänger entwerfen. Wie Deleuze und Guattari uns lehrten, von Marx gar nicht zu reden, ist die Deterritorialisierung der Weg des Kapitals. (9)

Die Rache des Kapitalismus

Mau rekapituliert die alten medientheoretischen Einsichten Marshall McLuhans, doch scheint ihn das, was seine Rolle angeht, ebenso zu verunsichern wie schon McLuhan: Ist er ein Kulturkritiker, ein Guru, der seiner Zeit voraus ist, oder ein Unternehmensberater? In der medialen Zukunftsforschung kann ein heute kritischer Begriff schon morgen zur griffigen Formel und bald darauf zum Klischee (oder zum Markennamen) geworden sein. Koolhaas übrigens lässt inzwischen seine griffigen Formeln urheberrechtlich schützen, als würde er, auf eine etwas schräge Weise, das kommerzielle Verknöchern ehemals kritischer Konzepte anerkennen. Doch ungeachtet des situationistischen Jargons, den zeitgenössische Designer wie Mau pflegen, geht ihr détournement nicht allzu weit: Statt Kritiker des Spektakels zu sein, surfen sie darauf (nebenbei bemerkt eine ihrer diskursiven Lieblingsfiguren) und halten sich »den Status des Künstlers (und) das Einkommen des Geschäftsmannes« zugute. »Wo fügt sich meine Arbeit ein?« fragt Mau. »Wie sieht meine Beziehung zu diesem glücklichen, lächelnden Ungeheuer aus? Wo findet sich in diesen Verhältnissen die Freiheit? Folge ich Timothy Leary und seinem turn on, tune in, drop out? Wie kann ich agieren, um nicht vereinnahmt zu werden? Kann ich das System überlisten? Kann ich gewinnen?« Meint er das etwa ernst?
Das zeitgenössische Design ist Teil der großen Rache des Kapitalismus an der Postmoderne – eine Rekupera­tion der Grenzüberschreitungen in den Künsten und Wissenschaften, eine Routinisierung solcher Transgressionen. Autonomie und selbst Semiautonomie mag eine Illusion oder, besser noch, eine Fiktion sein, doch bisweilen ist sie nützlich und sogar notwendig, wie im Falle von Loos, Kraus und anderen vor einem Jahrhundert. Bisweilen kann diese Fiktion repressiv und selbst abstumpfend wirken, wie vor 30 Jahren, als die Postmoderne zunächst einen Ausweg aus einer versteinerten Moderne verhieß. Doch die Situation ist heute eine andere. Es ist vielleicht an der Zeit, erneut ein Gespür für die politische Situiertheit sowohl von Autonomie als auch von Grenzüberschreitungen zu entwickeln, ein Gespür für die historische Dialektik von Disziplin und Protest – mit dem Ziel, der Kultur »Spielraum« zu eröffnen.
Oft heißt es, so auch in »Life Style«, Design könne unserer Persönlichkeit »Stil« verleihen, als Wegweiser zur Autonomie dienen, Spielraum eröffnen; doch zu­gleich ist Design zweifellos eines der wichtigsten Mittel, uns zurück ins beinahe totalitäre System der zeitgenössischen Konsumwelt zu holen. Design handelt immer von Begehren, doch erscheint dieses Begehren heute seltsam subjektlos und »glatt«. Design scheint so eine neue Art Narzissmus zu befördern, einen, der nur das Oberflächenbild kennt, ohne tiefere Dimension – eine Apotheose des Subjekts, in der sein potentielles Verschwinden mitschwingt. Armer kleiner reicher Mann, »ausgeschaltet aus dem künftigen leben und streben, werden und wünschen«, in einer Neo-Jugendstil-Welt des totalen Designs und der Fülle des Internet.
»Die Verklärung der einsamen Seele erscheint als sein Ziel«, merkte Benjamin einst zum Jugendstil an. »Der Individualismus ist seine Theorie. (…) Die wirkliche Bedeutung des Jugendstils kommt in dieser Ideologie nicht zum Ausdruck. (…) Das Fazit des Jugendstils zieht der ›Baumeister Solneß‹ von Henrik Ibsen: Der Versuch des Individuums, auf Grund seiner Innerlichkeit mit der Technik es aufzunehmen, führt zu seinem Untergang.« (10) Und Musil formulierte, als wollte er diese Überlegungen für den »Jugendstil 2000« fortschreiben: »Es ist eine Welt von Eigenschaften ohne Mann entstanden, von Erlebnissen ohne den, der sie erlebt, und es sieht beinahe so aus, als ob im Idealfall der Mensch überhaupt nichts mehr privat erleben werde und die freundliche Schwere der persönlichen Verantwortung sich in ein Formelsystem von möglichen Bedeutungen auflösen solle. Wahrscheinlich ist die Auflösung des anthropozentrischen Verhaltens, das den Menschen so lange Zeit für den Mittelpunkt des Weltalls gehalten hat, aber nun schon seit Jahrhunderten im Schwinden ist, endlich beim Ich selbst angelangt.« (11)

Anmerkungen
(1) Adolf Loos: Ornament und Verbrechen, in: Ders.: Sämtliche Schriften, hg. von Franz Glück, Wien/München 1962, Bd. 1, S. 2 ff., hier S. 277
(2) Adolf Loos: »Von einem armen reichen manne«, in: Ders.: Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 201 ff., hier S. 202. Soweit nicht anders angegeben, stammen die folgenden Zitate aus diesem Aufsatz.
(3) Karl Kraus: »Nachts«, in: »Die Fackel« 389/390 (Dezember 1913), S. 37 (Reprint, Bd. 6, München 1968–1976). Vgl. Carl Schorske: »From Public Scene to Private Space: Archi­tecture as Culture Criticism«, in: Ders.: Thinking with History, Princeton 1998, S. 155
(4) Vgl. Walter Benjamin: »Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts«, in: Ders.: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schrif­ten, Bd. V.1, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt/Main 1982, S. 52 ff.
(5) Jean Baudrillard: For a Critique of the Political Economy of the Sign, St. Louis 1981, S. 186
(6) Vgl. T. J. Clark: Farewell to an Idea, New Haven 1999, S. 306
(7) Vgl. etwa Ash Amin (Hg.): Post-Fordism, Oxford 1994
(8) Bruce Mau u. a.: Life Style, London 2000. Soweit nicht anders angegeben, stammen die folgenden Zitate aus diesem Buch.
(9) Viele jüngere »deleuzianische« Künstler und Architekten scheinen diesen grundlegenden Punkt misszuverstehen, wenn sie »kapitallogische« mit kritischen Positionen verwechseln.
(10) Walter Benjamin: »Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts«, S. 52 f.
(11) Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, hg. von Adolf Frisé, Bd. 1, Reinbek 1978, S. 150

Hal Foster lehrt Kunstgeschichte an der Princeton-Universität in New Jersey, gibt die Zeitschrift »October« heraus und arbeitet als Architekturkritiker. 2011 war er Fellow an der American Academy in Berlin.

Abdruck mit freundlicher Genemigung des Verlags aus: Hal Foster: Design und Verbrechen. Und andere Schmähreden. Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Atzert. Edition Tia­mat, Berlin 2012, 224 Seiten, 18 Euro. Das Buch ist soeben erschienen.