Das deutsche Drogenkontrollsystem

Mehr Legal Highs!

Es ist nicht sinnvoll, den Umgang mit psychotropen Substanzen mit dem Betäubungs- oder Arzneimittelgesetz zu regeln.

Die Illegalität von Drogen ist durch deren Aufnahme in die Anhänge des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) bedingt. Dieses erlaubt den Umgang der dann als Betäubungsmittel geführten psychotropen Substanzen (»Drogen«) nur durch Sondererlaubnis zu wissenschaftlichen Zwecken. Bestimmte Substanzen dürfen auf ärztliche Verschreibung als Arzneimittel zum Beispiel an Schmerzpatienten abgegeben werden. Auch können Opiat-Abhängige sich Ersatzstoffe wie etwa Methadon und neuerdings auch das Original Heroin ärztlich verschreiben lassen. Alle anderen Handlungen im Umgang mit Betäubungsmitteln, insbesondere solche, die auf Verwendung zu Genusszwecken abzielen, müssen gemäß den Vorgaben des BtMG bekämpft werden. Lediglich der reine Konsum von Betäubungsmitteln ist nicht strafbar, weil er ein durch Artikel 2 des Grundgesetzes geschütztes Rechtsgut darstellt: Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit beinhaltet auch das Recht auf Selbstschädigung.

Das erklärte Ziel dieses bürokratischen Drogenkontrollsystems ist es, den Umgang mit jedem Milligramm der als Betäubungsmittel rubrizierten psychotropen Substanz durch staatliche und supranationale Bürokratie zu kontrollieren, um so die Menschheit vor den gesundheitlichen Gefahren von Drogen, oder ehrlicher formuliert, vor sich selbst zu schützen. Doch bewirkt die milliardenschweren Kontroll- und Repressionsmaschinerie genau das Gegenteil: Die Illegalität der Drogen ist zur Geschäftsgrundlage international operierender Produktions- und Vertriebsstrukturen geworden, weil erst sie ihnen die immensen Profite garantiert. Der mit militärischen Mitteln geführte Krieg gegen diese ihrerseits ebenfalls hochgerüsteten Strukturen stürzt Teile Lateinamerikas und Asiens in blutige Drogenkriege, die jährlich Zehntausende von Opfern fordern, staatliche Verwaltungen korrumpieren und die demokratische Entwicklung in diesen Ländern unterminieren. Der Konsum illegalisierter Substanzen konnte in Deutschland jedoch nicht eingedämmt werden, sondern hat sich seit Einführung des BtMG im Jahr 1971 unaufhaltsam ausgeweitet. Insbesondere die Anzahl der psychotropen Substanzen steigt seit Jahren rapide an.
Die Bedingungen, unter denen Drogen erworben und konsumiert werden müssen, haben seit den siebziger Jahren zur Verelendung insbesondere der von Heroin abhängigen Konsumenten geführt und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Aids und Hepatitis C unter den intravenös Konsumierenden bedingt. Ein großes gesundheitliches Risiko für die Konsumenten besteht insbesondere darin, dass die auf dem Schwarzmarkt erworbenen Substanzen keiner Qualitätskontrolle unterliegen.
Aber das BtMG ist überflüssig. Es bedarf keines Gesetzes, das explizit den Vorgang der Betäubung reguliert. Sollte eine Betäubung zu medizinischen Zwecken wie der Einleitung einer Narkose oder die Behandlung von starken Schmerzen am Menschen erfolgen, sind alle erforderlichen Regulierungen durch das Arzneimittelgesetz und durch die Behandlungsleitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften vorgegeben.
Das BtMG und die ihm zugrundeliegenden internationalen Drogenkonventionen haben vor allem zu einer völligen Deregulierung der Märkte für psychotrope Substanzen geführt, die zu anderen Zwecken als den erlaubten wissenschaftlichen und medizinischen Anwendungen bestimmt sind. Daraus resultiert die beschriebene Katastrophe.
Aber es ist auch nicht sinnvoll, den Umgang mit psychotropen Genussmitteln durch das Arzneimittelgesetz (AMG) zu regulieren. Seit einigen Jahren versuchen deutsche Strafverfolgungsbehörden die Verbreitung von sogenannten legal highs, das sind psychotrope Substanzen pflanzlichen oder synthetischen Ursprungs, die (noch) nicht dem BtMG unterstellt sind, auf Grundlage der Strafvorschriften des AMG zu bekämpfen. Dabei wird behauptet, dass diese Substanzen aufgrund ihrer »pharmakologischen Wirkung« Arzneimittel seien. Da sie meist keine arzneimittelrechtliche Zulassung besitzen und außerdem als »bedenklich« im Sinne des AMG einzustufen seien, weil sie keinen therapeutischen Zwecken dienten und deren vermeintliche »pharmakologische Wirkungen« dann absurderweise ausschließlich als »toxikologisch« bewertet werden, werden diese Substanzen arzneimittelrechtlich dem Contergan gleichgestellt und ihre Händler angeklagt und meist auch verurteilt.
Dies führt im Ergebnis zu einer vollständigen Deregulierung der Märkte von psychotropen Genussmitteln, die nicht dem BtMG unterstellt sind und in Kombination mit dem BtMG zu einer weiteren Eskalation: Die Unterstellung von synthetischen Substanzen unter das BtMG provoziert die Produktion und Vermarktung immer neuer Substanzen, die hinsichtlich ihrer psychotropen Wirkungen den verbotenen Stoffen stark ähneln, aber hinsichtlich ihrer toxikologischen Eigenschaften kaum charakterisiert sind. So wurden im Jahr 2011 49 neue synthetische Substanzen identifiziert, die auf dem europäischen Markt als sogenannte Spice-Produkte (synthetische Cannabinoide) oder research chemicals (oft Stimulanzien auf Basis der Amphetamin- oder Cathinon-Grundstruktur) meist über Online-Shops vertrieben wurden.
In einem im Oktober 2011 vorgestelltem Gutachten der Marburger Juraprofessoren Dieter Rössner und Wolfgang Voit zum rechtlichen Umgang mit neuen synthetischen Substanzen, das das Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegeben hatte, wird die Legitimität der Strafverfolgung auf der Grundlage des AMG grundsätzlich in Frage gestellt, weil den legal highs eine objektive Eignung für medizinische Zielsetzungen fehlt. Der in diesem Gutachten unterbreitete Vorschlag, pauschal ganze Stoffgruppen durch Aufnahme in einen neu zu schaffenden Anhang des BtMG zu verbieten, wenn sie zu »Missbrauchszwecken« verwendet werden, würde eine weitere gefährliche Eskalation auf dem Markt für psychotrope Genussmittel bedeuten, wie das Beispiel von Staaten zeigt, die eine solche »generische Drogendefinition« in ihre Drogengesetzen bereits eingefügt haben. So tauchten in Großbritannien kurz nach Inkrafttreten des Stoffgruppenverbots Produkte auf dem Markt auf, die mit dem Schriftzug »100 % legal in UK« bedruckt waren. Sie enthielten ein synthetisches Cannabinoid, das wegen seiner neuartigen Struktur nicht von der erweiterten Verbotsregelung erfasst wurde.

Die Sinnlosigkeit eines solchen Stoffgruppenverbots wird bei der Betrachtung der Zahl von 50 Millionen chemischen Substanzen deutlich, die gemäß dem Chemical Abstracts Service der American Chemical Society in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben sind. Auch wenn nur ein Bruchteil dieser Substanzen die Blut-Hirn-Schranke passieren kann, um im zentralen Nervensystem psychotrope Wirkungen zu entfalten, ist es unmöglich, diese gesetzlich in zu verbietenden Stoffgruppen zu erfassen. Das Verbot von Stoffgruppen würde das Auftauchen immer neuer Stoffgruppen provozieren. Um sich des Phänomens der research chemicals auf repressive Weise zu entledigen, müsste man schon den Chemie-Unterricht an Schulen und Universitäten, das Internet und den Buchdruck verbieten. Außerdem verstößt ein Pauschalverbot von Stoffgruppen gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes. Wenn psychotrope Substanzen nicht als Arzneimittel oder Betäubungsmittel eingestuft werden, könnte der Umgang mit ihnen durch das Lebensmittelgesetz reguliert werden, weil sie dann der gesetzlichen Definition für Lebensmittel entsprächen: Stoffe, die dazu bestimmt sind, vom Körper aufgenommen zu werden. So wird eine der gefährlichsten psychotropen Substanzen, der Alkohol, in Deutschland als Lebensmittel eingestuft.
Einen anderen Weg hat Österreich im Hinblick auf die research chemicals eingeschlagen. Dort wurde Ende vorigen Jahres ein schlankes »Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz« erlassen. Darin wird sinnvollerweise eine Risikobewertung auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen vorgeschrieben. Auch wenn auf den Eigenkonsum bezogene Handlungen (Erwerb und Besitz) durch dieses Gesetz nicht mehr sanktioniert werden, verbietet es die Produktion und den Handel einzelner Stoffe oder ganzer Stoffgruppen, was weiterhin die gebotene Regulierung des Marktes verhindert.
In dieser Hinsicht zielführender sind einzelne Passagen im »Bericht der Europäischen Kommission über die Bewertung der Wirksamkeit des Beschlusses 2005/387/JI des Rates betreffend den Informationsaustausch, die Risikobewertung und die Kontrolle bei neuen psychoaktiven Substanzen« vom 11. Juli 2011. Darin heißt es zum Beispiel, dass ein Mitgliedsstaat zu bedenken gab, dass ein im Eilverfahren erlassenes Verbot möglicherweise nicht mehr aufgehoben wird, selbst wenn im Zuge der Risikobewertung nicht nachgewiesen wird, dass die Substanz Schäden verursacht. In dieser Aussage liegt der Schlüssel zu einer realistischen Marktregulierung.
Eine Aufhebung des Verbots nach einer Risikobewertung bedeutet die Zulassung dieser Substanz nach einem qualifizierten Zulassungsverfahren, wie es für Arzneimittel oder Lebensmittelzusatzstoffe seit langem vorgeschrieben ist. Solche Verfahren basieren auf einer Nutzen-Risiko-Bewertung. Das bedeutet, dass für psychotrope Genussmittel ein wissenschaftlich zu ermittelnder Gewinn für die Konsumenten anzuerkennen wäre, der sich aus der psychotropen Wirkung der zu bewertenden Substanz ableitet. Weil die Weltgesundheitsorganisation Gesundheit als einen Zustand körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens definiert, wird der Nutzen eines zugelassenen psychotropen Genussmittels immer auch gesundheitsförderliche Aspekte beinhalten. Viele der klassischen Drogen wie Amphetamin, Cannabis und Kokain sind bereits als Arzneimittel zugelassen, wodurch umfangreiches Datenmaterial zu deren toxikologischen Wirkungen vorliegt und für diese Substanzen unverzüglich Risikobewertungen vorgenommen werden können. Durch ihre schnelle Zulassung als Genussmittel würde der Marktdruck zur Produktion neuer Substanzen vermindert.
Ist ein psychotropes Genussmittel zugelassen, können die Bedingungen für dessen Produktion und Handel reguliert werden. Dabei sollten Kriterien des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und des Jugendschutzes maßgeblich sein. Des Weiteren müssen derartige Regulierungen durch umfassende Präventionsprogramme begleitet werden, die auf ein eigenverantwortliches Risikomanagement zielen.

Der Autor ist Pharmazeut und Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Drogenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen Berlin.