Die Panik der deutschen Urheber

Angriff der Urheber

Die deutsche Urheberrechtsdebatte ist eine, bei der alle Beteiligten aneinander vorbeireden.

Während der Proteste gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta) im März äußerte sich Sven Regener, Autor (»Herr Lehmann«) und Musiker (Element of Crime) in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks zu den Themen Urheberrecht, Piratenpartei, Raubkopien im Internet und zum Streit zwischen Google mit seiner Videoplattform Youtube und der Verwertergesellschaft Gema. Seine Darstellung aus der Sicht eines Urhebers (»Ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass die, die den Inhalt liefern, nichts bekommen, das ist kein Geschäftsmodell, das ist Scheiße.«) wurde in den Medien und im Internet sofort als »Wutrede« tituliert und sorgte für großes Aufsehen. Regener wurde im Internet lächerlich gemacht und angefeindet, denn – wie er selbst sagte – es sei nicht gerade »cool«, auf Urheberrechten zu beharren. Eine Woche später meldeten sich 51 »Tatort«-Autoren mit einem an die Grünen, die Linke, die Piraten und die »Netzgemeinde« adressierten offenen Brief auf der Website des Verbands der Drehbuchautoren in der Debatte zu Wort.
Auch ihnen gehe es um die »schlechte Lage der Urheber« auf der einen Seite, und um »die Möglichkeit von Netzsperren und (anlassloser) Vorratsdatenspeicherung, die Sie gerne Zensur nennen«, auf der anderen Seite. Die Gleichsetzung von »frei und kostenfrei« in Bezug auf den Zugang zu Inhalten im Netz wird als demagogisch bezeichnet und zu einer »Lebenslüge« erklärt. Die Autorinnen und Autoren beklagen weiter, dass die Netzgemeinde in der Debatte um Copyright nicht Google, Youtube oder Filehoster wie kino.to und Megaupload kritisiere, die allesamt mit nicht lizensiertem Content Geld verdienen: »Nein, für die Grünen, Piraten und Netzpolitiker aller Parteien ist der große Übeltäter die Verwertungsindustrie: Sony, Universal, Bertelsmann und, ganz wichtig, natürlich die Gema und die anderen Verwertungsgesellschaften. Das sind in ihren Augen die Blutsauger, die sollen die Zeche zahlen.«
Es folgte im April die vom Handelsblatt initiierte Aktion »Mein Kopf gehört mir«, bei der 160 Vertreterinnen und Vertreter aus Kunst, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ihr Statement zum Urheberrecht abgaben. Zuletzt startete im Mai die Kampagne »Wir sind die Urheber« mit einem Aufruf in der Zeit, der von mehr als 100 Autorinnen, Autoren, Künstlerinnen und Künstlern unterschrieben worden ist.
Diese öffentlichkeitswirksamen Aktionen haben sicherlich dazu beigetragen, dass eine Urheberrechtsdebatte überhaupt stattfindet, allerdings eine, bei der alle Beteiligten konsequent aneinander vorbeireden. User und Urheber wollen die Argumente der jeweiligen Gegenseite nicht gelten lassen und werfen einander gern Ahnungslosigkeit vor. Bisher konnte man sich zum Beispiel noch nicht einmal darauf einigen, was »Raubkopien« eigentlich sind: Die Urheber sehen darin eine Form von Diebstahl, die ihre eigene Existenz bedroht, die Netzgemeinde sieht dagegen durch das Urheberrecht die Freiheit bedroht, das Internet weiter anonym zu benutzen. Dabei lehnen sie die Gleichstellung zwischen Kopieren und Stehlen ab: »Wenn ich in einen Supermarkt gehe und da eine Packung Nudeln klaue, dann ist die weg, einen Song aus dem Internet kann ich nicht klauen, ich kann ihn unendlich kopieren«, argumentierte Christopher Lauer von der Piratenpartei in seiner Antwort auf Sven Regener.
Die Befürchtungen der User hinsichtlich ihrer Freiheit im Umgang mit Inhalten im Netz sind durchaus berechtigt. In den USA sollen ab Juli alle Downloads von den Providern überwacht werden. Wird entdeckt, dass jemand urheberrechtlich geschützte Werk sich illegal beschafft oder verbreitet hat, werden die Betroffenen verwarnt, nach drei Verwarnungen wird der Inter­netanschluss gedrosselt oder gekappt. Grundlage dieser Maßnahme ist eine Übereinkunft zwischen den Rechteverwertern und den Internet Service Providern.

In Deutschland haben Downloader dagegen ein ganz anderes Problem: Hierzulande ist eine ganze Industrie entstanden, die vom Geschäft mit Abmahnungen lebt. Schon im Jahr 2009 war eine interne Präsentation der Firma Digi Rights Solution GmbH an die Öffentlichkeit gelangt, in der damit geworben wurde, es sei für Rechteinhaberinnen und -inhaber deutlich einfacher, mit Abmahnungen Geld zu verdienen, als dies über digitale Musikdownloads zu versuchen. Eine Beispielrechnung war auch gleich beigefügt: Ein Musikdownload, der 99 Cent koste, bringe dem Rechteinhaber rund 60 Cent. Bei einer erfolgreichen Abmahnung aber stünden dem Rechteinhaber 90 Euro zu. »Der Ertrag bei erfassten und bezahlten illegalen Downloads ist das 150fache!«, schrieb die Firma, die in einem solchen erfolgreichen Fall übrigens noch kräftiger verdient als der Rechteinhaber und 360 Euro kassiert. Genau diese Verteilung wird von den Kritikerinnen und Kritikern des Abmahnungssystem angeprangert – auch wenn dabei unter den Tisch fällt, dass die Firma die gesamte Arbeit übernimmt und sich dafür auch bezahlen lässt: vom Aufspüren über die Identifikation der User, die das Copyright verletzt haben, bis hin zu den damit verbundenen rechtlichen Schritten wie Abmahnen und gegebenenfalls Gerichtsverhandlung.
Die Urheber argumentieren dagegen klar: Man wolle einfach von der eigenen Arbeit leben können. Und das bedeute, dass man für sein Schaffen als Künstler, Musikerin oder Autorin auch Geld bekommen müsse: »Wir sehen nicht ein, dass Milliardengeschäfte gemacht werden, auch mit Werbung, und wir kriegen davon nichts ab, wir sind sozusagen die Penner in der letzten Reihe.« (Sven Regener)

Damit stehen sich im Urheberrechtsstreit zwei Parteien gegenüber, die sich aus unterschiedlichen Gründen bedroht fühlen. User wollen sich nicht ständig kontrolliert fühlen und befürchten müssen, jeder Download könnte verdächtig sein. Denn technisch gesehen findet ein Download nicht nur statt, wenn man eine Musikdatei, ein Video oder ein Bild »herunterlädt«, wie das Wort schon sagt, und auf der eigenen Festplatte speichert. Als Download gilt auch jeder einzelne Aufruf einer Seite im Internet: Denn der Computer lädt die HTML-Seite herunter, um sie im Browser anzeigen zu können. In den USA diskutiert man derzeit darüber, wie dieser technische Aspekt gesetzlich geregelt werden sollte.
Debatten über das Urheberrecht sind nicht wirklich neu. Neu ist, dass Texte, Aufrufe und Manifeste geschrieben und unterschrieben werden, und dass sich Prominente an den Kampagnen beteiligen. In der Vergangenheit traten Urheber eher als Kläger gegen Raubkopien und weniger als Teilnehmer an einer öffentlichen Debatte auf. Als in den siebziger Jahren Audiokassetten massenhafte Verbreitung fanden, wurde dies als eine derart große Gefahr angesehen, dass die Privatkopie und die Gema-Abgaben auf Medien erfunden wurden. Schon damals wurde das Ende der Kunst befürchtet, wie die viel persiflierte Kampagne »Home Taping is Killing Music« der British Phonographic Industry aus dem Jahr 1980 zeigte.
Um das Urheberrecht wird auch weiter diskutiert werden, denn neue Speichermedien werden auch wieder neue Möglichkeiten der Verbreitung von Musik, Filmen und Texten bringen. Die aktuelle Debatte wird außerdem so schnell nicht enden, denn sie ist mit anderen Debatten durchaus verknüpft, etwa mit der um Vorratsdatenspeicherung. Denn Internet-Usern droht durch letztgenannte wirklich die vollständige Überwachung und sollte sie wieder in Kraft treten, würde sie den Abmahnern weitere Verdienstmöglichkeiten bescheren.
Auf der anderen Seite stehen die Menschen, die Inhalte schaffen und von ihrer Arbeit leben wollen. Die von ihnen kritisierte »Umsonstmentalität« bei den Internet-Usern ist dabei eigentlich gar nicht das Problem. Denn Filesharing ist ziemlich tot, die meisten Raubkopien werden über Blogs und Filehoster verteilt.
Der Fall des im Januar vom FBI geschlossenen Sharehoster Megaupload bewies vor allem eines: die Zahlungsbereitschaft der Downloader. Schließlich hatte das Unternehmen eine dreistellige Mil­lionensumme von Kunden eingenommen, die dafür bezahlten, schneller und komfortabler an Dateien kommen zu können. Was übrigens genauso für die in Deutschland im Jahr 2005 geschlos­sene Download-Plattform FTP-Welt gilt. Auch in diesem Fall zahlten User für ihre illegalen Downloads.

In Deutschland kommt der politische Erfolg der Piratenpartei hinzu, die in einigen deutschen Parlamenten schon als feste Größe wahrgenommen wird. Die Piraten werden dabei als »Partei der Raubkopierer« gesehen und das löst Ängste aus. Die Wahlerfolge einer solchen Partei wirken bedrohlich auf Menschen, die durch illegale Downloads finanziellen Schaden fürchten – egal ob es sich dabei um »gefühlten« oder tatsächlichen Schaden handelt. Und das obwohl sich die Partei ausgerechnet zum Thema Urheberrecht gewohnt schwammig äußert. In einem Papier mit dem Titel »Vorstellung der Urheberrechtsposi­tionen der Piratenpartei und Aufklärung von Mythen« vom 15. April 2012, heißt es zumindest, dass die Piratenpartei nicht die Position des »alles umsonst« im Netz vertrete: »Niemand verlangt, dass alle Urheber kostenlos Werke schaffen. Die Nutzer sind in der deutlichen Mehrheit bereit, Geld für Kulturgüter auszugeben.«
Das von der Partei so oft angepriesene Modell der Kulturflatrate wird im Dokument dagegen nicht erwähnt. Ein Grund dafür ist möglicherweise, dass die bisherigen Versuche, vergleichbare Modelle zu etablieren, nicht sonderlich erfolgreich waren. An der Universität Göttingen etwa wurde im Januar ein Kultur-Semesterticket angeboten, das für Studenten nur 7,60 Euro kosten sollte und dafür freien oder sehr stark ermäßigten Eintritt in Theater, Museen und kulturellen Veranstaltungen bot. Bei der Urabstimmung fand das Ticket eine Zustimmung von gerade einmal 50,42 Prozent. Deutliche Mehrheiten sehen anders aus.