Das irische Referendum zum Fiskalpakt

Play the wild rover no more

Die Mehrheit der irischen Bevölkerung hat sich bei einem Referendum für den Fiskalpakt entschieden – aus verständlichen Gründen.

Die Iren sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Die Helden ihrer traditionellen Balladen sind stolze Rebellen oder fröhliche Zecher, oft auch beides. Doch etwas mehr als 60 Prozent der Bevölkerung stimmten am Donnerstag vergangener Woche bei einem Referendum brav für den Fiskalpakt und damit für eine Fortsetzung der Sparpolitik. Verschuldet hat sich der Ire der Balladen vornehmlich in der Schenke. »I asked her for credit, she answered me nay / such a customer as you I can have any day«, eine Zeile aus »The Wild Rover«, taugt aber auch als Zusammenfassung der Lage Irlands in der EU. Obwohl außerhalb Deutschlands das Urteil der Politiker und Ökonomen über Angela Merkels Krisenpolitik vernichtend ausfällt, hat die Bundesregierung noch keine Anzeichen von Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Dass die rigide Sparpolitik nicht nur die Menschen, sondern auch die Märkte ruiniert, scheint in Deutschland kaum jemanden zu stören. Wer braucht schon Irland und andere Pleitekandidaten? Kunden für die deutsche Exportindustrie findet man auch anderswo, das glaubt nicht nur Thilo Sarrazin.
Nur die Zustimmung zum Fiskalpakt sichert den weiteren Zugriff auf Geld aus den europäischen »Rettungspaketen«, das haben Ministerpräsident Enda Kenny und andere irische Politiker den Wählern eingebläut. Staatsbankrott oder Sparpolitik – vor diese Wahl gestellt, hat jene Hälfte der Bevölkerung, die sich am Referendum beteiligte, für den Fiskalpakt gestimmt. Das hat viele Linke enttäuscht, denn sie teilen mit den irischen Balladendichtern die Vorliebe für romantische Verlierer, die nach einem niedergeschlagenen Aufstand beim Bier ihr Schicksal beklagen. Die Mehrheit der Iren aber hat sich diesmal gegen eine Rebellion entschieden, deren Erfolgsaussichten zu gering erschienen.
In der Linken herrscht der Irrglaube vor, die Krise sei eine besonders gute Gelegenheit, gegen den Kapitalismus zu agitieren. Doch dass nicht alles so läuft, wie Börsenanalysten und andere Fernsehprediger des Wirtschaftsliberalismus es verkündet haben, bringt den Kapitalismus noch nicht in Misskredit. Gierige Banker und faule Südländer stehen als Schuldige bereit, nicht nur in Deutschland fördert die Krise den nationalen Chauvinismus. Die radikale Linke ist nicht für konstruktive Lösungsvorschläge zuständig, sollte aber die gesellschaftliche Realität zur Kenntnis nehmen. Vor allem sorgen sich die Menschen um ihre Existenz und treffen auf dieser Grundlage pragmatische Entscheidungen.
Noch vor 30 Jahren war der Lebensstandard in Irland kaum höher als in der »Dritten Welt«. Doch in den neunziger Jahren stiegen die Einkommen der Lohnabhängigen erheblich, so dass noch vor kurzem deutsche Krankenschwestern wegen der weitaus besseren Bezahlung nach Irland auswanderten. Es ist daher kein Wunder, dass viele Iren unabhängig von ihren Ansichten über die Ursachen der Krise das bisschen Wohlstand, das sie sich erarbeitet haben, nicht durch ein trotziges Nein riskieren wollten. Die Krise kann auch die Anpassungsbereitschaft fördern, selbst wenn es angesichts einer desaströsen Sparpolitik und ständig neuer Pleitekandidaten – derzeit sind viele spanische Banken vom Bankrott bedroht – ungewiss ist, ob sich das Ja auszahlt.