Gerichtliche Entscheidung zur Funkzellenabfrage in Dresden

Überwachen und nicht Strafen

Das Amtsgericht Dresden hat die Funkzellenabfrage bei den Protesten gegen den Neonaziaufmarsch im Februar 2011 für rechtens erklärt. Dasselbe Gericht hatte damals die richterliche Anordnung dazu gegeben.

Wikipedia zufolge »hat die Bezeichnung Freistaat keine maßgebliche rechtliche Bedeutung. Daher ergeben sich für die Bundesländer, die sie verwenden, auch keinerlei Sonderstellungen.« Wer Bayern, Thüringen oder Sachsen kennt, dürfte einen anderen Eindruck haben. Die dortigen staatlichen Organe jedenfalls sind bekannt dafür, sich allerhand Freiheiten herauszunehmen.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Dresdener Amtsgericht in Sachsen. Dieses wies Ende Mai die Beschwerde von acht Personen ab, die von einer höchst umstrittenen Funkzellenabfrage betroffen waren. Im Februar 2011 gab es in Dresden die bis dahin größten und erfolgreichsten Blockaden des jährlichen Naziaufmarschs anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg. Wenig später kam ans Tageslicht, dass die Polizei zu diesem Anlass wahllos Handydaten im gesamten Stadtgebiet überwacht hatte. Insgesamt waren über 300 000 Personen betroffen – Anwohner, Demonstranten, Journalisten und zufällige Passanten –, die mehr als eine Million dabei gesammelten Verbindungsdaten von Mobiltele­fonen dienten der Polizei monatelang als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. In mindestens 45 Fällen wurden die Daten in Verfahren gegen Blockierer verwendet – unrechtmäßigerweise, wie selbst die sächsische Regierung inzwischen einräumte.

Dass das Amtsgericht nun befand, das Sammeln der Daten sei rechtens gewesen, überrascht nicht wirklich, schließlich handelt es sich um dasselbe Gericht, das damals die Funkzellenabfrage richterlich angeordnet hatte. Interessant liest sich jedoch die Begründung der Entscheidung: Ohne die Überwachungsmaßnahme hätten die »begangenen Straftaten (Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie gefährliche Körperverletzung) nicht oder kaum aufgeklärt« werden können. Allerdings wurde bisher in keinem Fall Anklage nach Paragraph 129, also wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung«, erhoben.

Interesse verdient auch die Informationspolitik der Justiz: Die Entscheidung des Gerichts wurde bereits am Mittwoch, dem 23. Mai, getroffen. Erst zwei Tage später verschickte die Staatsanwaltschaft, und nicht etwa das Amtsgericht, die entsprechende Pressemitteilung – am Freitagabend vor Pfingsten. Für Nachfragen war zu diesem Zeitpunkt niemand mehr zu erreichen. Und während der Staatsanwaltschaft die Entscheidung bereits vorliegt, wurde sie den Betroffenen bis Redaktionsschluss noch nicht einmal zugestellt, wie der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi der Jungle World mitteilte. Von einem Versuch der Staatsanwaltschaft, »ihre illegalen Methoden durch unzureichende Information zu legitimieren«, spricht das Bündnis »Dresden nazifrei« und weist darauf hin, dass die Entscheidung des Gerichts den zentralen Punkt der Beschwerden, die massenhafte Datenabfrage am Schwerpunkt der Blockaden in der Dresdner Südvorstadt, gar nicht umfasse. Das Bündnis zeigt sich daher zuversichtlich, dass die Funkzellenabfrage letztlich für rechtswidrig erklärt werden wird: »Es ist nur noch die Frage, ob dies ein sächsisches Gericht oder ein Gericht außerhalb Sachsens vornimmt.«
Wohl eher Letzteres, darf man mit Blick auf die sächsischen Verhältnisse annehmen. Dass die rechte Szene Mitte der Neunziger den Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten zu einem ihrer wichtigsten Aktionstage auserkor, ist schließlich kein Zufall: Im Gedenkdiskurs der Mitte der Gesellschaft, der geprägten ist von dem Recyclinggedanken, nach erledigter »Aufarbeitung« der Geschichte endlich die Deutschen als die wahren Opfer des Zweiten Weltkriegs sehen zu dürfen, fanden die Nazis einen idealen Anknüpfungspunkt. Da verwundert es auch nicht, dass Vertreter der Neonaziszene in manchen Jahren sogar an den offiziellen Kranzabwurfritualen teilnahmen.
Mittlerweile wollen die braven Bürger Dresdens zwar weiter ungestört um tote Nazis trauern, die neuen, quicklebendigen aber lieber doch nicht dabeihaben. Und so veranstaltet das offizielle Dresden rund um den 13. Februar in der Innenstadt, also ohne zu riskieren, die Nazis tatsächlich aufzuhalten, Lichterketten und öffentliches Händchenhalten »zum Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft«. Diese schambefreite Gleichsetzung von Ermordeten und ihren Mördern (und DDR-Bürgern, denen 40 Jahre lang der Mallorca-Urlaub vorenthalten wurde) ist die eine Perfidie des Spektakels. Die andere ist die den Thesen vom Extremismus gemäße Abgrenzung von denen, die sich dem Aufmarsch wirklich in den Weg stellen beziehungsweise setzen.

Die sächsische Justiz hat in den vergangenen Jahren das ihre dazu beigetragen, und zwar umso vehementer, je erfolgreicher sich das Blockadekonzept erwies. Die Funkzellenabfrage war nur einer von unzähligen Kriminalisierungsversuchen: Die Staatsanwaltschaft wertete die Ankündigung von Blockaden als »Aufruf zu Straftaten«, ordnete Durchsuchungen von Infoläden und Aktionsbüros an, die Homepage des Bündnisses »Dresden nazifrei« wurde vom Netz genommen und musste auf einen ausländischen Server umziehen. Business as usual in einem Bundesland, dessen Innenminister nach dem Bekanntwerden der Morde des »Nationalsozialistischen Untergrunds« meinte: »Antifaschismus ist keine Lösung.«
Umso erfreulicher ist es, dass die staatliche Repressalien eher noch zur Mobilisierung des antifaschistischen Widerstands beitrugen. Während 2009 noch 6 500 Nazis durch Dresden zogen, wurde ihr Aufmarsch im darauffolgenden Jahr erstmals durch massive Blockaden gestoppt – ein Erfolg, der sich 2011 wiederholte. Diese Frustrationserlebnisse dürften maßgeblich dazu bei­getragen haben, dass sich die rechte Szene bei der Vorbereitung des diesjährigen »Trauermarschs« heillos zerstritt; in der Folge wurde eine der angemeldeten Demonstrationen kurzfristig abgesagt, zu einer zweiten erschien ein im Vergleich zu den Vorjahren eher armseliges Häufchen von 1 600 Teilnehmern. Und auch die Anhänger des Lichterketten-Antiextremismus dürften sich geärgert haben; nicht nur, weil Antifaschismus offensichtlich doch eine Lösung sein kann, sondern auch, weil sich in diesem Jahr sogar der linksradikaler Umtriebe gänzlich unverdächtige Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, mit den Blockierenden solidarisierte.
Aber auch in Hamburg tut man sich von offizieller Seite mit Blockaden schwer. Anlässlich eines Naziaufmarsches fand am Wochenende unter dem Motto »Hamburg bekennt Farbe« eine Alibiveranstaltung des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz auf dem Rathausplatz statt, während gleichzeitig Tausende Aktivisten im Stadtteil Wands­bek die Demonstration der Nazis blockierten und auch deren Ausweichroute trotz bru­taler Polizeieinsätze noch einmal erheblich verkürzten (siehe auch Seite 17). Medien und Vertreter der Politik dürfen nun wieder über die schreckliche »Gewalt« der Antifaschisten, nicht der Polizei lamentieren; denn was man im Freistaat Sachsen kann, kann man in der Freien und Hansestadt Hamburg schon lange.