Ohne Elfmeterschießen geriete der Fußball aus den Fugen

Der Münzwurf hat ganz eigene Tücken

Wer über das Elfmeterschießen mäkelt, muss Alternativen in petto haben.

Dass die Fifa 1970 das Elfmeterschießen einführte, hängt zumindest zu einem kleinen Teil mit dem Ausgang eines WM-Qualifikationsspiels zusammen. Im Frühjahr 1969 trafen Marokko und Tunesien in Marseille bereits zum dritten Mal aufeinander. Die ersten beiden Spiele waren 0:0 ausgegangen. Weil Versuch Nummer drei mit einem 2:2 nach Verlängerung endete, musste ein Münzwurf entscheiden. Marokko siegte, und die Tunesier protestierten daraufhin bei der Fifa gegen »die Art, wie die Münze geworfen wurde«, fügten Fotos und Filmsequenzen bei, aus denen hervor gehen sollte, dass Schummelei im Spiel gewesen sei. Die detektivische Beweisführung beeindruckte die hohen Herren nicht, die Hintergrundgeschichte des Protests aber offenbar schon. Tunesien hatte nämlich bereits 1962 und 1968 in der Qualifikation für die WM bzw. für die Olympischen Spiele jeweils nach Losentscheid verloren – und das beide Male gegen den Nachbarn Marokko. Verständlich, dass man da auf die Idee kommen konnte, es gehe nicht mir rechten Dingen zu. Jedenfalls trug das Schreiben der Tunesier dazu bei, dass das Thema Elfmeterschießen zwei Monate später beim Weltverband offiziell auf die Tagesordnung kam.
Wer über Elfmeterschießen mäkelt, muss Alternativen in petto haben. Sind etwa Münzwurf oder Losentscheid vernünftiger, gar gerechter? Der VfL Bochum etwa stieg 1965 in die Regionalliga West auf, weil sich Kapitän Horst Christopeit für »Zahl« entschied, nachdem drei Spiele gegen die Spielvereinigung Erkenschwick keine Entscheidung gebracht hatten. In den Europacup-Wettbewerben der Landesmeister und der Pokalsieger kam es in den sechziger Jahren jeweils fünfmal zu einem Münz- beziehungsweise Losentscheid.

Tony Banks, früherer Sportminister Großbritanniens, schlug 1991 vor, die Anzahl der Ecken und Freistöße entscheiden zu lassen. 1996 brachte die Londoner Times eine modifizierte Version von Banks’ Idee ins Spiel: Endet eine Begegnung mit einem Remis, entscheiden die Ecken, die im Strafraum verursacht werden. Um solche anzuzeigen, hält der Schiri eine grüne Karte hoch. Ist er der Ansicht, dass der Angreifer die Ecke bloß herausgeschunden hat, zeigt er sie nicht. Das wäre wirklich ein großes Kuddelmuddel geworden – und Chelsea hätte in diesem Jahr nicht die Champions League gewonnen.
Natürlich gibt es Argumente gegen das Elfmeterschießen: Als sich in der Saison 1991/92 die Engländer entschieden, es im FA-Cup, ihrem wichtigsten Pokalwettbewerb, einzuführen, war die Ini­tiative dafür von den Polizeichefs des Landes ausgegangen. Die hatten verlangt, es müssten zwischen einem Pokalspiel und einer Wiederholung mindestens neun Tage liegen – sonst ließen sich die Einsätze nicht planen. Weil die Verantwortlichen für den FA-Cup die Forderung nicht für umsetzbar hielten, mussten sie sich als Realpolitiker in Sachen Sicherheit beweisen und sich fürs Elfmeterschießen entscheiden.
Gäbe es heute keinen Shootout, würde man also Wiederholungsspiele ansetzen, wenn nach 120 Minuten noch kein Sieger gefunden ist, geriete der Spielbetrieb zumindest bei den international spielenden Clubs aus den Fugen. Andererseits: Mehr Spiele würden mehr TV- und sonstige Einnahmen bedeuten, und insofern ist es nicht völlig auszuschließen, dass ein in finanziellen Dingen pfiffiger Verbandsfunktionär vorschlägt, bei bestimmten End- oder Entscheidungsspielen per Sonderregel das Elfmeterschießen abzuschaffen. Es ist aber eh nicht davon auszugehen, dass er davon irgendeinen Sicherheitspolitiker überzeugen wird.
Um zu vermeiden, dass es allzu oft zum Elfmeterschießen kommt, gab es zwischen 1993 und 2004 in internationalen Wettbewerben das Golden Goal. Diese Regel – wer in der Verlängerung das erste Tor schießt, gewinnt – war schon deshalb daneben, weil die Nazis sie 1935 für den nach dem sogenannten Reichssportführer benannten Tschammer-Pokal, den Vorläufer des DFB-Vereinspokals, eingeführt hatten. Sie nannten sie zwar nicht Golden Goal, sondern »Sudden death«, aber sie unterschied sich nicht von jener, die Oliver Bierhoff 1996 sein goldenes EM-Finaltor ermöglichte.
Fürs Elfmeterschießen spricht nicht zuletzt, was Francis Hodgson sagt, der das Buch »Only the Goalkeeper to Beat«, eine Hommage an das Torhüterwesen, geschrieben hat: Wenn es dabei zum Duell zwischen Schütze und Keeper komme, sei das für den Feldspieler »der einzige Moment im Spiel, in dem er unter dem Druck steht, der für einen Torwart völlig normal ist«, weil der sich ja ständig in Eins-zu-eins-Situationen beweisen muss. So gesehen ist das Elfmeterschießen allemal etwas sehr, sehr Gerechtes.