Über den Einsatz von Drohnen im Krieg

Krieg aus der Ferne

Der Einsatz von Drohnen zur gezielten Tötung wird von Militärstrategen wegen seiner Effektivität gerühmt. Kritiker halten ihn für illegal und fordern die Ächtung des Kriegsgeräts.

»Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin« – der Ausspruch des Dichters Carl Sandburg ist nicht mehr nur eine pazifistische Losung. Jedenfalls war kein US-Soldat vor Ort, als am Montag vergangener Woche in der westpakistanischen Bergregion Waziristan der mutmaßliche stellvertretende Anführer von al-Qaida, Abu Jahja al-Libi, und mindestens 14 weitere Personen getötet wurden. Der Angriff wurde mit einem unbemannten Flugobjekt, einer Drohne, durchgeführt. Gesteuert wurde sie aus mehr als 11 000 Kilometern Entfernung, wahrscheinlich aus einer Schaltzentrale der CIA an der US-amerikanischen Ostküste.
Mehr als 2 000 Menschen sind seit 2002 im weltweiten Kampf der USA gegen den Terrorismus durch solche Drohnen getötet worden. Der unabhängige Think Tank New America Foundation kommt nach Auswertung von Presseberichten zu dem Ergebnis, dass seit 2008 allein in Pakistan mindestens 1 800 Personen auf diese Weise ums Leben kamen. Nach Informationen des Long War Journal, das die Antiterrorpolitik der US-Regierung seit 2004 kritisch begleitet, haben die USA die Aktivitäten in Pakistan seit Ende Mai diesen Jahres nochmals intensiviert und seitdem bereits acht Drohnenangriffe durchgeführt. Gesteuert werden die Drohnen von der CIA und dem US-Militär, Ziel sind mutmaßliche al-Qaida-Kämpfer und Angehörige anderer islamistischer Terrorgruppen. Auch in Afghanistan, dem Jemen und in Somalia finden solche Angriffe statt.

Die modernsten Drohnen, die vor ihrem Start mit Raketen oder Bomben bestückt werden, verfügen über hochentwickelte Sensoren und Kameras, sie sind klein und wendig, wegen ihrer Präzision werden sie von Militärstrategen als Musterbeispiel effektiver Kriegsführung gerühmt. Von anderer Seite werden sie verdammt: Während eines Fachgesprächs der Partei »Die Linke«, das am Montag voriger Woche nahezu zeitgleich mit dem US-Angriff in Pakistan im Bundestag stattfand, kritisierte der ehemalige Abgeordnete Norman Paech, dass der Einsatz von Drohnen die Hemmschwelle zum Gewalteinsatz senke. Es werde, warnten mehrere der Anwesenden, eine Distanz zum Opfer geschaffen, und Kriege ließen sich öffentlich besser legitimieren, weil der Angriff per Joystick aus der Ferne keine Opfer in den eigenen Reihen fordert.
Wie so oft, beruft man sich von antimilitaristischer Seite zudem auf das internationale Recht: »Eigentlich ist das völkerrechtlich alles unzulässig«, sagte Annette Groth, die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linkspartei, im Bundestag. Tatsächlich ist dem internationalen Recht kein Verbot von Drohnen zu entnehmen. Nils Melzer, der lange Jahre als Rechtsberater für das Internationale Rote Kreuz gearbeitet und über gezielte Tötungen promoviert hat, wies bei dem Fachgespräch auf die banale Tatsache hin, dass es nichts Neues und auch nicht unzulässig sei, dass in einem Krieg gegnerische Kämpfer getötet werden. Vielmehr komme es darauf an, ob die Tötung erforderlich sei oder die betreffende Person auch verhaftet werden könne, und ob Zivilpersonen durch die Angriffe unnötig gefährdet würden.
Insofern mag man in der Theorie gar den Befürworterinnen und Befürwortern des modernen Kriegsgeräts zustimmen: Punktgenaue Angriffe können im Vergleich zum Einsatz von Bodentruppen oder konventionellen Bomben und Raketen »Kollateralschäden« mindern. Und ob die Tötung aus der Ferne enthemmend wirkt oder nicht vielmehr der Nahkampf die irrationale und rassistische Lust am Töten beflügeln kann, ist umstritten. Schließlich kann die Kriegsführung mittles Computer die Transparenz und öffentliche Kontrolle erleichtern.
Eben diese Theorie stößt jedoch angesichts der Praxis auf Zweifel. Einem aufsehenerregenden Bericht der New York Times von Ende Mai zufolge entscheidet der US-Präsident nach der Ansicht von Fotos und Kurzbiographien persönlich, wer getötet werden soll. Zur Auswahl wird ihm eine »Todesliste« vorgelegt. Nicht nur ist jedoch unklar, wer nach welchen Kriterien auf diese Liste kommt, auch sind bei den Angriffen neben den Zielpersonen zahlreiche Zivilisten zu Tode gekommen. Die New America Foundation geht von etwa 300 Getöteten seit 2008 in Pakistan aus, die Zahl kann um einiges höher liegen, da die Hinterbliebenen im Regelfall keine Möglichkeit haben, auf eine Entschädigung zu klagen und damit den Fall ans Licht zu bringen.

Die noch grundsätzlichere Frage ist, ob der weltweite Kampf der USA gegen den Terror überhaupt als Krieg, als bewaffneter Konflikt, bezeichnet werden kann. Nur dann sind nach dem internationalen Recht gezielte Tötungen zulässig, in diesem Fall ist nach der Genfer Konvention im Ausnahmefall sogar die Tötung von Zivilisten erlaubt. Ansonsten gelten uneingeschränkt die Menschenrechte. Diese verbieten eine präventive Liquidierung, soweit keine konkrete Gefahr vorliegt, also etwa ein terroristischer Anschlag unmittelbar bevorsteht. Andreas Schüller vom European Center for Constitutional Rights warnte während des Fachgesprächs davor, die Rede der US-Regierung vom grenzenlosen »Krieg gegen den Terror« beim Wort zu nehmen. Tatsächlich ist zweifelhaft, ob al-Qaida als eine organisierte bewaffnete Kriegspartei bezeichnet werden kann. Hingegen beruft sich die US-Regierung weiterhin auf den permanenten Kriegszustand und ihr weltweites Selbstverteidigungsrecht. Der amerikanische Justizminister Eric Holder erklärte im März, dass es das Recht seiner Regierung sei, Terroristen ohne ein Gerichtsurteil unschädlich zu machen, da es sich um feindliche Kämpfer handele.
Trotz aller Kritik auch im eigenen Land können Barack Obama und seine Regierung mit dieser bedingungslosen Haltung innenpolitisch vor den anstehenden Wahlen Sympathien gewinnen. Von den Vereinten Nationen wurde das Vorgehen indes bereits als völkerrechtswidrig bezeichnet, und auch die pakistanische Regierung kritisiert die USA mittlerweile. Sie moniert, dass die Einsätze, wie schon die Tötung Osama bin Ladens, nicht abgesprochen seien. Dahinter steckt allerdings innenpolitisches Kalkül: Weite Teile der pakistanischen Bevölkerung sind verärgert über das Vorgehen der US-Amerikaner in ihrem Land – während der pakistanische Geheimdienst nach eigenen Angaben über die Tötung von Abu Jahja al-Libi informiert gewesen ist.

Auch die israelische Regierung wurde während des Fachgesprächs der Linkspartei kritisiert. Annette Groth sagte, dass das israelische Militär »unbemerkt von der Weltöffentlichkeit« illegale gezielte Tötungen durchführe. Dabei ist weithin bekannt, dass Israel seit mehr als zehn Jahren bei der gezielten Tötung von Terrorverdächtigen auch auf Drohnen zurückgreift. Zudem ist die juristische Lage eine andere: Zwar ist auch hier die Auswahl der Angriffsziele keineswegs transparent, auch sind durch israelische Drohnenangriffe Zivilisten zu Tode gekommen. Jedoch befand sich Israel zweifelsohne in den vergangenen Jahren zumeist in einem bewaffneten Konflikt mit der Hamas – grundsätzlich waren die Drohneneinsätze damit jedenfalls nicht illegal.
Viele der beim Fachgespräch anwesenden Politikerinnen und Politiker forderten eine generelle Ächtung der tödlichen Drohnen. Ebenso naiv, aber wenigstens konsequent und ehrlich wäre eine Gesetzesinitiative gegen den Krieg gewesen.