Ein Graphic Novel über die ägyptische Revolution

Ticket zum Tahrir-Platz

Korruption, Willkür, Hoffnungslosigkeit: Bereits 2008 hat Magdy el-Shafee in seinem Comic »Metro« die Ursachen dargestellt, die zum Sturz des ägyptischen Regimes führten. Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen.

In Ägypten steht der entscheidende Wahlgang zu den Präsidentschaftswahlen an. Die liberalen Kandidaten haben es nicht in die Stichwahl geschafft, die Menschen in Ägypten müssen sich jetzt zwischen dem Mubarak-Vertrauten Mohammed Mursi und dem Muslimbruder Ahmad Schafiq entscheiden. Auch Magdy el-Shafee ist in diesen Tagen in seinen Gedanken oft in Kairo. Gerade ist seine Graphic Novel »Metro. Kairo Underground« auf Deutsch erschienen. Sie wird als erste Graphic Novel Ägyptens beworben. El-Shafee sitzt in Berlin auf der Raucherterrasse der Heinrich-Böll-Stiftung, wo sein im Schweizer Verlag Edition Moderne erschienener Comic vorgestellt wird.
»Ehrlich gesagt, bereitet mir das schlechte Abschneiden der liberalen Parteien große Sorgen«, sagt er. »Das Problem ist, dass die Revolution so zersplittert ist. Mehr als die Hälfte der Stimmen gingen ja nicht an Schafiq oder Mursi, sondern an verschiedene andere Kandidaten. Aber wir wollen auch gar keinen neuen Führer, keinen neuen starken Mann. Wir wollen nicht zurück zu der hierarchischen Machtpyramide, die wir unter Mubarak hatten.«
El-Shafee weiß, wovon er spricht. Er war dabei und gehört zu denjenigen, die sich schon früh mit dem Regime angelegt haben. Bereits Anfang 2008, als sein Comic veröffentlicht wurde, gab es Proteste in Ägypten, auch wenn sie im Westen kaum jemand wahrgenommen hat. In »Metro« spielen die Proteste, die unter dem Motto »kifaya« (»Es reicht«) standen, eine wichtige Rolle. Sämtliche Exemplare des Buches wurden damals beschlagnahmt. El-Shafee stellte sich der Polizei, um einer gewaltsamen Verhaftung zuvorzukommen. So kam er nach nur einem Tag im Gefängnis wieder frei, wurde später lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt. Er ließ sich jedoch nicht einschüchtern und engagierte sich weiter in der Oppositionsbewegung. Er beteiligte sich an der Gruppe »Writers and Artists for Change«, die die Proteste unterstützte. Als vor rund einem Jahr die revolutionäre Bewegung von Tunesien nach Ägypten übergriff, gehörte er zu denen, die auf dem Tahrir-Platz protestierten. »Die Revolution richtete sich gegen drei Dinge – gegen Mubaraks kapitalistisches Regime, gegen den Einfluss des Religiösen und gegen die Macht des Militärs«, sagt er.
In »Metro« geht es jedoch nicht um das Militär, auch die Auseinandersetzung mit der Religion spielt keine große Rolle. Es geht vor allem um Korruption. Wer sich nicht voll und ganz in das System unter Mubarak einfügte, hatte keine Chance, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die Biographien der Protagonisten des Comic erzählen davon. Schihab, ein junger, gut ausgebildeter Softwareingenieur, wurde von einem Ministerium um einen Auftrag betrogen, seine Firma in die Pleite getrieben. Dina, eine kritische Journalistin und Kifaya-Aktivistin, hat tagtäglich mit der staatlichen Zensur zu kämpfen und gerät in das Visier staatlich bezahlter Schläger, die auf Oppositionelle angesetzt werden. Wannas, der Schuhputzer, muss sein Gewerbe aufgeben und betteln gehen, als das Finanzministerium enorme Steuernachzahlungen von ihm verlangt. Mustafa aus dem Armenviertel Ezbet an-Nakhl hat von Anfang an keine Chance, es sei denn, er würde sich wie sein Bruder dafür bezahlen lassen, auf Oppositionelle einzuprügeln.
El-Shafee beschreibt eine Gesellschaft, die nur zusammengehalten wird durch die Repression eines korrupten Regimes, das auf alle einschlägt, die sich widersetzen. Während die Verlierer dieses Systems im Müll leben, bedienen sich diejenigen, die in der Hierarchie der Regierungspartei oben stehen, aus den Kassen des Staats und seiner Betriebe. El-Shafee vergleicht die Gesellschaft unter Mubarak mit einem Käfig, aus dem die Menschen nur gemeinsam ausbrechen können. Dass es drei Jahre nach Veröffentlichung seines Buches tatsächlich dazu kommen würde, hat er wohl selbst nicht zu träumen gewagt.
Der Zeichenstil el-Shafees wirkt hektisch und gehetzt, fast so, als könnten seine Hände nicht mit seinen Gedanken mithalten. El-Shafee ist offensichtlich nicht um Realismus bemüht. Es geht ihm nicht darum, die Dinge so zu zeigen, wie sie aussehen. Er will sie so zeigen, wie sie sich anfühlen. Die Metro, das U-Bahnsystem Kairos, das dem Comic seinen Namen gibt, verbindet nicht nur die einzelnen Handlungssequenzen, sie ist auch das verbindende Element zwischen den verschiedenen und oft völlig gegensätzlichen Welten, aus denen Kairo besteht. Mit ihr pendeln die Protagonisten zwischen dem urbanen Zentrum und den Armensiedlungen in der Peripherie, während die, die es sich leisten können, mit dem Auto fahren oder sich chauffieren lassen.
El-Shafees »Metro« gilt als erste Graphic Novel in arabischer Sprache. In Ägypten wurden bis zur Veröffentlichung von »Metro« lediglich Comics für Kinder auf Arabisch veröffentlicht. Englische und französische Comics und Graphic Novels waren erhältlich. »Mubarak wusste, dass sie kaum jemand lesen konnte«, meint el-Shafee. Er selbst hat schon immer gezeichnet, doch erst als er Independent Comics von Neil Gaiman und Marjane Satrapi in die Hände bekommt und durch Zufall auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo stößt, entschließt er sich, selbst einen Comic zu zeichnen. »Plötzlich habe ich den Drang verspürt, selbst eine Graphic Novel zu zeichnen, die zeigt, wie es bei uns auf der Straße zugeht.«
»Metro« ist ein lesenswerter Comic, schonungslos, aber dennoch nicht hoffnungslos. Und auch el-Shafee selbst scheint die Hoffnung nicht verloren zu haben. »Auch wenn jetzt Schafiq oder Mursi gewählt wird, wird das nicht das Ende der Revolution sein. Die Revolution hat ein echtes Gemeinschaftsgefühl geschaffen. Mehr als acht Millionen Menschen haben für die Kandidaten der Revolution gestimmt. Wer diese Menschen außer Acht lässt, wird sich nicht lange an der Macht halten können.«
In gewisser Weise geht es dem Land damit wie den Helden in seinem Buch. Sie haben Dinge erlebt, die sie für immer verändert haben. Doch am Ende bleibt offen, was sie daraus machen werden. Sie haben die Wahl – und das ist schon mal sehr viel wert.

Magdy el-Shafee: Metro. Kairo Underground. Edition Moderne, Zürich 2012, 96 Seiten, 18 Euro