Graue Seelen jetzt und damals

Er gilt hierzulande noch immer als Geheimtipp: der französische Schriftsteller, Dramatiker und Filmemacher Philippe Claudel. Sein preisgekrönter, während des Ersten Weltkrieges spielender Roman »Die grauen Seelen« stand eine kleine Ewigkeit auf Frankreichs Bestsellerlisten. Es geht um einen brutalen Mord und um die Geheimniskrämerei einer düsteren Dorfgemeinschaft. Undurchsichtige Menschen mit »grauen Seelen« bevölkern die Szenerie. Ein atmosphärisch dichtes, auch in Deutschland erfolgreiches Buch über eine dunkle Zeit. Eher unbeachtet blieb indessen »Das Geräusch der Schlüssel«, eine literarische Studie des 1962 geborenen Autors über die Mikrogesellschaft des Gefängnisses, erhellend, nüchtern und klug.
Da ist es vielleicht nur halb so schlimm, dass Claudels ambitionierter jüngster Roman, »Die Untersuchung«, nicht hält, was er verspricht. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung einer Reihe von Selbsttötungen in einem Unternehmen. Der Autor hat sich dabei von der Serie von Selbstmorden bei der France Télécom im Jahr 2009 anregen lassen. Die globalisierungskritische Tendenz des Buches hätte eine Stärke sein können. Leider kam dem Autor ein nahezu unbändiger Hang zur kafkaeseken Verrätselung in die Quere. Die Geschichte aber, sie hätte anderes verlangt, ein wenig Recherche über die Arbeitsbedingungen der unglücklichen Personen zum Beispiel. So laufen sämtliche literarischen Anstrengungen ins Leere. Schade.

Philippe Claudel: Die Untersuchung. Kindler, Reinbek 2012, 224 Seiten, 18,95 Euro