50 Jahre Fluxus

Keine Kunst

Vor 50 Jahren wurde in Wiesbaden Fluxus erfunden. Das wird jetzt ordentlich gefeiert.

Von außen betrachtet sieht es schon sehr international aus. Vor dem Eingang des Wiesbadener Landesmuseums sind drei Container aufgebaut, zwei längs und einer darübergelegt, über dem Ganzen ein wallendes Plastikdach. An einen Portikus soll das erinnern. Das ganze Ensemble ist der Fluxus-Pavillon von Benjamin Patterson. In einem der Container ist ein Shop, der Fluxshop, im anderen befindet sich ein Café (Fluxfood), nur der dritte Container hat gerade zu, weil Feiertag ist. Die sehr nette Frau vom Café, vom Andrang etwas überfordert, weiß es auch nicht recht: In dem dritten Container ist wohl tatsächlich Fluxuskunst.
Alle Bänke zwischen den Containern und dem Treppenaufgang zum neoklassizistischen Museumsportal sind voll besetzt. Was für ein Erfolg der gerade eröffneten Ausstellung zum 50. Geburtstag von Fluxus!
Vor der Museumstreppe steht seit Urzeiten eine Goethe-Statue, die den Dichter darstellt, wie er einen Schwan umarmt. Neben Goethe und Schwan ist jetzt eine Latte befestigt mit einem sorgsam handgeschriebenen Schild: »Occupy Fluxus«. Davor die vollen Bänke voller Menschen. Endlich wird dem Betrachter dieser für den Ort unübliche Andrang verständlich: Gegenüber, in den Rhein-Main-Hallen, macht die Tagung für Radioonkologie nämlich gerade Pause.
Genau das ist Wiesbaden. Und der Betrachter ahnt: Auch er ist hier Teil eines unendlichen immerwährenden Fluxus-Happenings.
Fluxus kam nämlich so in die Welt: im Wiesbadener Museum 1962 und ab 1982 dann immer im Zehnjahresrhytmus, so viele Kunstjubiläen hat Wiesbaden nämlich nicht, da muss das eine immer wieder herhalten. Und mag man in der übrigen Welt Fluxus vergessen haben oder längst für eine hochhistorische Geschichte halten, in Wiesbaden wird es ganz unerbittlich noch in 100 Jahren Fluxus geben.
Was Fluxus nun eigentlich war oder ist, das ist dabei gar nicht abschließend zu beantworten. Das Programmheft wirbt mit dem Slogan von Ben Vautier: »Art is as Art comes.« Man versteht aus den ganzen Plakaten, Flyern und Lokalzeitungsberichten so viel, dass Fluxus irgendwie etwas mit Leben zu tun hat, dass alles Kunst ist, oder eben Fluxus, das kommt von Fließen, und lustig soll es auch sein. Fluxus ist schon so etwas zum Wohlfühlen, und internationales Flair hat es auch, das wissen alle Wiesbadener, das bekommen sie seit Jahrzehnten gesagt und das verstehen sie auch. Fluxus passt zur hessischen Landeshauptstadt.
Eigentlich war alles ein Zufall: Im September 1962 fand im Wiesbadener Museum etwas statt, das sich »Fluxus – Internationale Festspiele Neuester Musik« nannte. Der Organisator, George Maciunas, war ein leicht verkrachter amerikanischer Graphiker, der in Wiesbaden für die amerikanische Armee arbeitete, wie überhaupt die Internationalität von Fluxus und der starke Bezug zu Westdeutschland als eine Art Underground-Kapitel der Nachkriegszeit und der transatlantischen Beziehungen gelesen werden können.
Maciunas gehörte in New York zum weiteren Kreis um John Cage, der nicht zuletzt mit seinem berühmten Vierminutenklavierstück, in dem der Pianist nichts, das Publikum aber alles tun muss, Fluxus maßgeblich beeinflusste. Maciunas hatte in New Yorks Kunstszene auch Allan Kaprow kennengelernt, der gerade das Happening als Kunstform entwickelte. Der Geburt von Fluxus im Wiesbadener Museum stand nun nichts mehr im Wege.
Das Zentrum der Ausstellung am historischen Ort bilden Erinnerungen an den markantesten der Wiesbadener Abende Neuester Musik (bloß »Neue« tat es hier nicht mehr). Es war der Abend, der Fluxus hervorbrachte. Man kann sich in einen Klappstuhl setzen und einem damaligen Filmbericht des HR folgen, der seinen postnazistischen ARD-Zuschauern betont gutmütig-jovial zu vermitteln versucht, warum da ein paar sehr ernsthaft agierende Herren – mit Alison Knowles war auch eine Künstlerin dabei, ansonsten war Fluxus etwas für Männer – Steine aneinanderklopften, sich den Schädel rasieren ließen und Eier darauf aufschlugen oder aus einem Kontrabass etwas Essbares löffelten. Nam June Paik, der bald darauf zum Urvater der Videokunst werden sollte, tauchte Haare und Krawatte in Tinte und zeichnete eine Linie: »Zen for Head«. Man hat beim Betrachten des Films nicht das Gefühl, dass Paik hier etwas mit Heiterkeit vollführt hat. Die vergilbte Papierrolle liegt nun unter der Projektionsfläche, oben in der Ecke hängt die dunkel getränkte Krawatte.
Es ist die gemeinsame Zertrümmerung eines Flügels, die den folgenschwersten künstlerischen Fluxus-Akt in Wiesbaden darstellte, beziehungsweise die eingängigen Fotos davon. Sie bestimmen das Bild von Fluxus bis heute und werden es wohl bis in alle Zeiten bestimmen. Dabei sah die Partitur von Phil Corners »Piano Activities« gar keine Zerstörung vor, es war bloß kein Geld da, um den für fünf Dollar gekauften Flügel auch wieder abtransportieren zu lassen.
Maciunas begann bald nach der Wiesbadener Entstehung von Fluxus den Kunstdiktator zu spielen, schrieb Manifeste und verstieß Ungläubige aus dem Fluxus-Reich, aber der Rest der Fluxisten kümmerte sich nicht wirklich darum. Der junge Beuys machte kurzzeitig mit und entfernte sich dann wieder in Richtung organischer Säfte und deutschem Tiefgrund, Yoko Ono machte ebenfalls ein bißchen Fluxus, und Dick Higgins schuf das Wort »Intermedia«. Ben Patterson wiederum wurde New Yorker Kulturbürokrat und macht nun als Alterswerk seit über 20 Jahren sehr nette, sehr harmlose Fluxuskunst in Wiesbaden. Dazu gibt es hier auch eine Ausstellung, in Amerika hat Barack Obama sie besucht.
Fluxus ist eines der letzten Beispiele für ein Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Es war eine Modernisierung von Dada, zuerst verwendete Maciunas auch das Wort Neodada. Und der alte Raoul Hausmann beschwerte sich in den sechziger Jahren: Warum man denn nun so etwas ausstelle, wo doch noch echte Dadakünstler am Leben seien. Er meinte das vermutlich gar nicht ironisch.
Aber auch Fluxus konnte nicht ewig währen: Im Geist von Fluxus wurde in den achtziger Jahren in Wiesbaden die Kaffeetasse für Linkshänder erfunden. Darunter geht nichts mehr.
So war das also mit Fluxus.
Nachdem die Radioonkologen abgezogen sind, wird es wieder ruhig zwischen den FluxusContainern. Und so warten Fluxus und Wiesbaden auf die erhofften kunstbeflissenen Besucher aus aller Welt, die von der Kasseler Documenta vielleicht sogar den Weg hierher finden.

Das Gesamtprogramm zum Fluxusjahr in Wiesbaden findet sich unter: www.fluxus50wiesbaden.de