Anne Schindler im Gespräch über ihren queeren ökologischen Sexshop in Berlin

»Wenn das Sextoy nach Duschvorhang riecht, schmeiß es weg«

Raus aus der Schmuddelecke, rein ins Bio-Segment. Anne Schindler, Inhaberin eines Ladens für Erotikspielzeug, meint, dass Berlin einen ökologischen, queeren Sexshop für Frauen braucht.
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Haben die Menschen in Krisenzeiten weniger oder eher mehr Sex?
In der Sexindustrie sagt man, dass sich Leute gerade in Krisenzeiten stärker ins Private zurückziehen und sich auf Familie und Beziehungen konzentrieren. Ich habe gar nicht so viel Angst, dass um mich herum alles zusammenbrechen könnte, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es gar nicht so verkehrt wäre, wenn sich das System verändern würde. Wir müssen das gesamte System ändern und nicht nur schauen, dass wir die Wirtschaft ankurbeln. Unser Laden läuft auf jeden Fall sehr gut, und die Leute hier freuen sich, dass es ihn gibt. In Berlin gibt es im Unterschied zu vielen anderen Städten noch nicht viele solcher Läden. Die Leute haben das richtig vermisst.
In letzter Zeit wird immer häufiger das Thema Asexualität behandelt. Wie steht ein sexpositiver Laden dazu?
Bei uns liegt ein Magazin über Asexualität aus, das sich sehr gut verkauft. Ich habe schnell verstanden, worum es bei dem Thema geht und welchen gesellschaftlichen Stellenwert es hat. Deshalb kann ich das unserer Kundschaft bei Nachfragen auch gut vermitteln.
Was ist der Bestseller?
Der klassische Vibrator und die Divacup, auch Menstruationstasse genannt, die man statt Tampons benutzen kann. Das ist ein Produkt, für das keine Werbung gemacht wird. Die Leute erfahren nur über Mundpropaganda davon, und trotzdem verkaufen wir total viele davon.
Warum sind Vibratoren der Verkaufsrenner?
Weil es viele Körperbereiche gibt, die man damit stimulieren kann. Der Vibrator hat eigentlich eine ganz üble Geschichte. Er wurde anfänglich in der Psychiatrie eingesetzt, weil man der Überzeugung war, weibliche Hysterie würde in der Klitoris sitzen. Deshalb wurden Frauen mit Vibratoren mehr oder weniger vergewaltigt. Später wurde der Vibrator jahrelang als Haushaltsgerät deklariert und als Nackenmassagestab oder Anticellulititsgerät verkauft. Aber die Muttis haben sich zu Hause damit nicht die Orangenhaut am Arsch weggeschubbert. Die wussten schon, wo man den am besten hinsteckt. In Amerika gab es sogar jahrelang ein Gesetz, das es verbot, Sextoys getarnt als Haushaltsgeräte zu verkaufen.
Ihr Sexshop hat den Namen »Other Nature«. Was verstehen Sie darunter?
Wir haben im Laden einen Öko-Schwerpunkt, und deshalb ist der Bezug auf die Natur im Namen enthalten. Wir sehen aber auch in jeder geschlechtlichen Beziehung oder Orientierung eine Natürlichkeit. Im Bereich Sexualität ist sehr viel gesellschaftlich konstruiert, aber wir sind eben auch Naturwesen. Sexualität hat stark mit Körperlichkeit und Natürlichkeit zu tun, und wir möchten Leute dazu auffordern, Sex in allen Formen als natürlich zu betrachten.
Auf der Website des Ladens sieht man das Foto eines Spargels, der wie ein Dildo aussieht, und das einer Birne, die an eine Möse erinnert. Sind Obst und Gemüse als Sexspielzeug empfehlenswert?
Klar, da gibt viele schöne Sachen: Karotten, Bananen, Auberginen, Gurken.
Dann aber nur ökologisch angebautes Obst und Gemüse?
Auf alle Fälle. Chemikalien, die man nicht essen will, sollte man sich auch nicht unbedingt auf eine andere Art und Weise einführen. Entweder ein Kondom drüberziehen oder gut reinigen. Am besten kauft man es im Biomarkt. Und dann schön abwaschen.
Im Laden gibt es auch vegane Sextoys. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Es geht dabei nicht um Dildos, die schon immer frei von tierischen Zusätzen waren. Es geht eher um die Gleitgels. Das Glyzerin kann tierischen oder pflanzlichen Ursprungs sein. Bei allen, bis auf zwei Kondomherstellern, wird Latex immer mit Kasein, einem tierischen Protein, produziert. Diese tierischen Bestandteile kommen im Herstellungsverfahren vor, aber nicht im Endprodukt. Deshalb ist es für Veganer und Veganerinnen schwer, den Herstellungsprozess nachzuvollziehen. Unser veganes Angebot umfasst Harnessen, Strap-Ons, Peitschen und Handschellen, bei denen wir statt Leder Fakeleather, Gummi oder Fahrradschläuche als Materialien anbieten. Außerdem verkaufen wir auch Zines über Veganismus.
Sie warnen vor Gelee-Sexspielzeug, das giftige Zusätze enthält.
Wir sagen immer, wenn dein Sexspielzeug nach einem Duschvorhang riecht, dann schmeiß es weg. Gelee-Spielzeug enthält immer Phtalate. Das sind Giftstoffe, die zu Unfruchtbarkeit, Diabetes oder auch Krebs führen können. Wir achten darauf, kein poröses Sexspielzeug anzubieten, dass zum Beispiel zu 100 Prozent aus Silikon besteht.
Auf Ihrer Website sprechen Sie sich für eine »gesunde Sexualität« aus. Was meinen Sie damit?
Gesund heißt für uns, dass man sich selbst mögen soll, wissen soll, wo man erregbar ist, was einem gefällt. Jeder Mensch ist unterschiedlich gebaut und reagiert anders, deshalb muss man sich selbst kennenlernen. Das macht auch gesunde Sexualität aus: die Akzeptanz des Andersseins, sich zu lieben und Scham abzulegen. Deshalb kann ich Leuten auch keine giftigen Toys verkaufen, wenn ich ihnen gleichzeitig erzähle, sie sollen gesund mit sich selbst umgehen.
»Other Natur« ist nicht nur ein veganer, sondern auch ein feministischer Laden.
Wir benutzen das Wort »frauenorientiert«, das heißt, wir sind für alle offen, aber der Laden ist von Frauen für Frauen.
Frauen gelten als zurückhaltender im öffentlichen Umgang mit ihrer Sexualität. Sehen Sie da Veränderungsbedarf?
Auf alle Fälle. Es geht hier um die gesamten gesellschaftlichen Normen, wie Männer und Frauen sich zu verhalten haben und ihre Sexualität ausleben können. Frauen lernen schon früh, ihre Gefühle zu ignorieren. Sie fangen oft so um die 30 an, ihren Körper neu zu entdecken und sich zu emanzipieren, und deshalb brauchen sie definitiv noch ein bisschen mehr Raum für sich.
Sie bieten auch Workhops im Laden an.
Gerade haben wir einen Workshop zu Cunnilingus und Fellatio gegeben. Die meisten Workshops bei uns werden allerdings von externen Veranstalterinnen angeboten, weil wir momentan keine Zeit haben, neben dem Ladengeschäft welche zu organisieren. Es gibt aber auch immer wieder DIY-Workshops für Sextoys, die hier in Berlin angeboten werden. Im Bereich Sexualität sind Menschen unglaublich erfinderisch. Die verwenden alles, was ihnen in die Finger kommt. Es gibt auch Leute, die sich ihre Sextoy-Materialien im Baumarkt kaufen.
Sind DIY-Sextoyworkshops eine Konkurrenz zum Ladengeschäft?
Einen richtig guten Vibrator oder eine Analkette kannst du dir nicht einfach so basteln. Man kann lediglich sein Repertoire zu Hause erweitern. Die meisten Toys, die wir verkaufen, haben einen bestimmten Verwendungszweck. Was du hinterher damit machst, ist deine Sache. Aber das ist keine Konkurrenz, weil die Leute alles verwenden, worauf sie Lust haben. Das tun Menschen sowieso. Aber viele Leute, die selbst basteln, wollen auch richtig gute Toys haben, und kaufen sie bei uns.