Syndikalismus in Spanien

Zurück zur Basis

In Spanien konnten syndikalistische Gewerkschaften nach Jahrzehnten wieder viele Menschen mobilisieren. Die Krise, staatliche Repression und ideologische Differenzen erschweren jedoch ihre Arbeit.

Kommt die Farbkombination Schwarz-Rot in Spanien wieder in Mode? Mehrere Hundert Menschen trugen sie am 29. Mai in Madrid bei einer antikapitalistischen Demonstration gegen die jüngsten Wirtschaftsreformen und für einen unbefristeten Generalstreik. Sie fand im Rahmen der Aktionstage zwischen dem 29. Mai und dem 15. Juni statt, zu denen die drei syndikalistischen Gewerkschaften Solidaridad Obrera (SO), Confederación General del Trabajo (CGT) und Confederación Nacional del Trabajo (CNT) aufgerufen hatten. In ihrem Aufruf beziehen sie sich ausdrücklich auf die Bewegung »15M« und deren Forderung nach einem »Leben in Würde«. Die zahlreichen Proteste seit dem 15. Mai 2011 haben bislang aber wenig erreicht. Bei den Wahlen im vergangenen November feierte der konservative Partido Popular sogar einen deutlichen Wahlsieg. Seitdem gibt es nur noch härtere und schneller umgesetzte »Reformen«, während die Wirtschaftskrise das Land immer stärker trifft.

Ein unbefristeter Generalstreik könnte nach Auffassung der drei Gewerkschaften Druck auf die Regierung erzeugen. Bereits im vergangenen Sommer riefen sie gemeinsam die Kampagne »¡Hacia la Huelga general!« (Auf zum Generalstreik!) ins Leben. Deren vorläufiger Höhepunkt war der eintägige Generalstreik am 29. März, zu dem die libertären Gewerkschaften gemeinsam mit verschiedenen lokalen Gewerkschaften und Teilen der 15M-Bewegung mit so großer Resonanz aufrufen konnten wie zuletzt Ende der siebziger Jahre. In Barcelona und Madrid nahmen jeweils Zehntausende Menschen an den alternativen Gewerkschaftsdemonstrationen teil.
Die CNT, die nach der Niederlage im spanischen Bürgerkrieg 1939 in den Untergrund oder ins Exil gedrängt worden war, erlebte nach dem Tod Francisco Francos 1975 in der Übergangsphase vom Nationalkatholizismus zur parlamentarischen Demokratie zunächst ein fulminantes Comeback. Wenige Monate nach der offiziellen Rückkehr der CNT hatten sich ihr bereits über 100 000 Menschen angeschlossen. Überall in Spanien fanden anarchistische und syndikalistische Kundgebungen statt, deren Höhepunkt eine Veranstaltung am 2. Juli 1977 war, als unter anderem die aus dem Exil zurückgekehrte Anarchistin und Syndikalistin Federica Montseny, die während des Bürgerkrieges Gesundheitsministerin der Republik gewesen war, in Barcelona vor mehr als 200 000 Menschen sprach.

Die Euphorie währte nicht lange. Nach den Jahren der Diktatur, in der sich die Ansätze einer libertären Gesellschaft in Spanien nicht weiterentwickeln konnten, kehrte nun keine einheitliche Bewegung an die Öffentlichkeit zurück, vielmehr bildeten sich verschiedene und widersprüchliche Strömungen. Neue soziel Gruppen wie die Frauenbewegung und die Studentenbewegung standen dem traditionellen libertären Denken gegenüber, das vor allem von der älteren Generation im Exil all die Jahre gepflegt worden war. Nach der Epoche des Autoritarismus fehlte der sich neu konstituierenden Bewegung die Erfahrung, mit so einer Situation adäquat umzugehen.
Erschwert wurde dies durch eine Strategie der Spannung seitens des Staates. Das bekannteste Beispiel hierfür dürfte der sogenannte »Caso Scala« gewesen sein, der Brandanschlag auf einen Festsaal in Barcelona 1978, bei dem vier Arbeiter ums Leben kamen und dessen die CNT beschuldigt wurde. Einige Jahre später stellte sich heraus, dass ein agent provocateur für die Tat verantwortlich gewesen war. Der Niedergang der CNT endete schließlich in ihrer Spaltung und der sich anschließenden Marginalisierung der Gewerkschaft im Laufe der achtziger Jahre. Flankiert wurde diese Entwicklung durch Massenentlassungen im Zuge der Deindustrialisierung und den fatalen Einfluss harter Drogen auf die sozialen Bewegungen.
Erst in den vergangenen zehn Jahren hat die syndikalistische Bewegung begonnen, sich langsam von diesem Desaster zu erholen. Eine neue Generation von Aktivisten und Aktivistinnen gibt sich nicht mehr damit zufrieden, den alten Zeiten nachzutrauern. Sie sind allerdings mit einer Situation konfrontiert, in der es drei syndikalistische Gewerkschaften gibt: Neben der CNT gibt es die CGT, die sich 1979 von der CNT abgespalten hatte, und die SO, die kleinste der drei, die sich wiederum 1990 von der CGT abgespaltete. Vorausgegangen waren diesen Spaltungen jeweils Streitigkeiten in ideologischen Fragen; etwa darüber, ob man sich als Gewerkschaft an den Wahlen der Betriebskomitees beteiligt und damit staatliche Subventionen in Anspruch nimmt. Die CNT lehnt dies rundheraus ab, während sich die CGT vollständig und die SO teilweise an dem System beteiligt. An eine Zusammenarbeit der zerstrittenen Gruppen war lange Zeit nicht zu denken. Erst in der derzeitigen Krise siegte die Einsicht, dass an einer Kooperation kein Weg vorbei führt.

»Jetzt erscheint es uns naheliegend, dass wir zur selben Bewegung gehören, auch wenn wir in verschiedenen Organisationen aktiv sind. Diese gemeinsame Identität haben wir in den gewerkschaftlichen und politischen Kämpfen der letzten Zeit entwickelt«, sagt José Luis Carretero, Mitglied der SO und Mitarbeiter des Institut für Wirtschaftswissenschaften und Selbstverwaltung, der Jungle World. Es ist allerdings fraglich, ob alle Mitglieder der syndikalistischen Gewerkschaften diese Einschätzung teilen. Lange war man darauf bedacht, sich voneinander abzugrenzen. Überdies gibt es nicht unwesentliche Unterschiede zwischen den Organisationen: Die Tätigkeit der CGT in den Betrieben stützt sich seit Jahrzehnten auf die Kapazitäten der von der Arbeit freigestellten Mitglieder, während die CNT auf das ehrenamtliche Engagement ihrer Mitglieder zurückgreift.
In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob die libertären Gewerkschaften in Spanien auch dauerhaft wieder eine bedeutende Rolle in den politischen Auseinandersetzungen spielen können und es schaffen, einen unbefristeten Generalstreik zu initiieren. Dafür ist unter anderem entscheidend, dass sie trotz der bestehenden Widersprüche weiterhin gemeinsam agieren. Auf den Generalstreik vom 29. März dieses Jahres folgte eine Repressionswelle. In Barcelona kam es am Rande der Demonstration zu Sachbeschädigungen an Müllcontainern und Banken. Der katalanische Innenminister Felip Puig von der nationalkonservativen Partei Convergència nahm dies zum Anlass, juristische Konsequenzen für CNT und CGT als angebliche Urheber der Ausschreitungen während des Streiks anzukündigen. »Es geht darum, dass die Menschen mehr Angst vor dem System haben«, sagte Puig. Über 100 Personen, die sich an den Protesten beteiligt hatten, wurden verhaftet. Die vielleicht Prominenteste unter ihnen war die Organisationssekretärin der CGT Barcelona, Laura Gómez. Ihr wird Brandstiftung vorgeworfen, weil sie während des Generalstreiks in einer symbolischen und angekündigten Aktion einen Karton mit Geldscheinimitaten vor der Börse von Barcelona angezündet hatte. Nachdem eine internationale Solidaritätskampagne für sie organisiert worden war, wurde sie am 17. Mai nach 23 Tagen aus der Haft entlassen.
Der SO-Aktivist Carretero ist hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit der syndikalistischen Gewerkschaften optimistisch: »Mit noch vielen Menschen mehr werden wir gemeinsam eine breite Bewegung zur Verteidigung der Klasse der Lohnabhängigen bilden. Damit werden wir gleichzeitig einen Prozess des Überganges hin zu einer radikal anderen Gesellschaft einleiten.« Optimismus ist momentan wohl die einzige Haltung, mit der sich in Spanien ein Ausweg aus dem Dilemma finden lässt.