Mensch bleibt Mensch und Tier bleibt Tier

Tier und wir

Heiko Werning erläutert, warum Antispeziesisten anthropozentrisch denken und Leguane sich nicht um ihre Freiheit scheren.

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist widersprüchlich und ambivalent. Einerseits würde sich wohl die Mehrheit der Menschen, zumindest in den Industriestaaten, als tierlieb bezeichnen, werden in jedem dritten deutschen Haushalt von der Katze bis zum Goldfisch allerlei Mitgeschöpfe gehätschelt und geknuddelt, gilt vielen gar Freund Tier als der bessere Mensch. Und andererseits hat ein nicht unbeträchtlicher Teil genau dieser Tierliebhaber nicht das geringste Problem damit, nach ausführlichen Streicheleinheiten für den heimischen Fiffi oder Rex in die Küche zu gehen und dort aus dem Körper der tierischen Kollegen des besten Freundes geschnittene Fleischbatzen in die Pfanne zu hauen. Einerseits gilt es als Skandal und barbarische Verhaltensweise, dass in manchen Ländern Hunde und Katzen auf dem Speiseplan stehen, was nicht nur Verachtung, sondern auch Boykottaufrufe nach sich zieht, während andererseits dieselben Empörten nichts gegen die Schlachtung von Ferkel, Lämmchen oder Pute einzuwenden haben. Rational, so viel ist klar, ist das alles nicht. Denn natürlich macht es ethisch keinen Unterschied, ob nun der Schäferhund oder das Schwein am Schlachterhaken baumelt.
Auch der Umgang mit dem Töten selbst entzieht sich logischen Kategorien. Die Jagd etwa gilt in weiten Kreisen der Bevölkerung als böse, mindestens aber moralisch zweifelhaft – und das keineswegs nur bei Vegetariern, sondern auch bei Menschen, die anschließend im Supermarkt beim Sonderangebot für Hackfleisch oder eine Hühnerpfanne beherzt zugreifen, obwohl niemand ernsthaft bezweifeln kann, dass das waidgerecht geschossene Reh ein in jeder Hinsicht besseres Los gezogen hat als das in Massentierhaltung herangezogene Rind. So könnte man endlos weitere Widersprüche aufzählen, und je genauer man hinschaut, desto absurder wird es.

Akademischer Veganismus

Dass das Mensch-Tier-Verhältnis aber nicht nur widersprüchlich, sondern in dieser Form gar nicht existent sei, ist die Grundannahme der Human-Animal Studies (HAS), manchmal auch nur Animal Studies genannt. Diese im deutschsprachigen Raum noch recht junge, aber gerade durchaus Fahrt aufnehmende Forschungsrichtung widmet sich den vielschichtigen Mensch-Tier-Beziehungen – ein eigentlich ebenso hochspannendes wie ergiebiges Thema. Was verrät uns der Umgang des Menschen mit Hund, Katze, Maus über unsere Kultur, unsere Gesellschaft, uns selbst? Und was über die Tiere? Welche Eigenschaften werden dem jeweiligen Tier zugeschrieben – und welche hat es tatsächlich, welche entspringen hingegen nur der notwendigerweise eingeschränkten menschlichen Sicht? Warum wird der Hund geliebt und die Schlange verachtet? Warum wurde der Frosch erst verachtet und dann geliebt? Die wechselseitigen Einflüsse von Mensch und Tier aufeinander sind praktisch unendlich, mal sind sie einfach nur interessant, mal von nicht zu überschätzender kulturhistorischer oder gar zivilisatorischer Bedeutung. Denn Mensch und Tier teilen sich nicht nur eine gemeinsame Welt, sie entwickeln sich auch in enger gegenseitiger Abhängigkeit und im Antagonismus zueinander. Das gilt schon für die vorgeschichtlichen Jäger, die notwendigerweise abhängig waren von den Launen ihrer Grillspeisen, und es gilt später für die Domestikation, denn ohne die gemeinsame Geschichte des Menschen mit etwa dem Rind gäbe es die menschliche Zivilisation in ihrer heutigen Form überhaupt nicht (und Rinder natürlich auch nicht). Im dichten Mit- und Gegeneinander sind Mensch und Tier miteinander verbunden seit – tja, seit der Mensch eben auch noch ein Tier war. Und was heißt hier überhaupt »war«?
Genau an diesem Punkt verabschieden sich die HAS vom klassischen Blick auf die Mensch-Tier-Beziehungen, von der deskriptiven Forschung um des Erkenntnisgewinns willen zugunsten der Ideologie. Natürlich beschäftigen sich auch zahlreiche althergebrachte Wissenschaften mit den Fragen, die im Mittelpunkt der HAS stehen. Das Alleinstellungsmerkmal der neuen Richtung ist also weniger ihr Thema, sondern ihre Grundannahme. Die lautet: Es gibt sie gar nicht, die Dichotomie zwischen Mensch und Tier. Denn der Mensch ist eben auch nur ein Tier. Was biologisch zweifellos richtig und unter Biologen auch Konsens, ja im Grunde Binsenweisheit ist, wird von den HAS aber nicht biologisch oder gar biologistisch verstanden, ganz im Gegenteil. Während der naturwissenschaftliche Ansatz den Menschen als besonders spezialisierte und hoch entwickelte Tierart begreift, dessen Verhalten zwar letztlich oft erst durch seine naturgeschichtliche Entwicklung, seine Instinkte und hormonellen Steuerungen sinnvoll zu erklären ist, dessen Auszeichnung als Mensch aber eben gerade sein Intellekt und sein Bewusstsein ist – beides in dieser Form im Tierreich einzigartig –, setzen die HAS sozusagen von der anderen Seite her an: Für sie befinden sich all die vielen verschiedenen Tierarten letztlich eben, aus ethischer Sicht, auf Augenhöhe mit dem Menschen, mit ihren jeweils speziellen Eigenheiten natürlich, aber eben doch mit eigenen Rechten und als Teil einer übergeordneten, gemeinsamen Mensch-Tier-Gesellschaft. Weshalb der Mensch sich nicht über die Tiere stellen und diese nicht benutzen darf, sei es als Nahrung, sei es zu anderen Zwecken.
Vor diesem Hintergrund also untersuchen die HAS die Mensch-Tier-Verhältnisse. Sie sind damit sozusagen der akademische Arm des Veganismus, der ja mehr ist als eine Ernährungsweise, nämlich der Versuch, die ideologische Grundannahme des Nutzungsverbots anderer Spezies in praktisches Handeln umzusetzen.
Wenn Tiere Teil der Gesellschaft sind, dann lassen sich die Mensch-Tier-Verhältnisse auch mit dem in der Soziologie üblichen Instrumentarium untersuchen. Tatsächlich sind die HAS keineswegs in der Biologie angesiedelt, sondern in den Kultur- und Gesellschaftswissenschaften, und dort treten sie in die Fußstapfen der Gender Studies und anderer Diskriminierungsforschung. Da die Kuh sich das Bolzenschussgerät nicht selbst und aus freien Stücken an die Schläfe setzt, wird sie, einmal als Teil der Gesellschaft verstanden, auch ausgebeutet, ihr geschieht Unrecht, wie im Kolonialismus und Imperialismus anderen Völkern, wie in der Sklaverei anderen menschlichen Individuen. Natürlich gibt es sie heute immer noch, die strukturell Unterdrückten: Schwule, Frauen, Behinderte. Neuerdings sollen dazu aber eben auch Kühe und Schweine zählen. Dass sich der neue Forschungszweig mit der Analogisierung von Tiernutzung und gesellschaftlicher Diskriminierung auf ein problematisches Terrain begibt, wird spätestens an dieser Stelle offensichtlich.

Menschen und andere Tiere

Um die »strukturelle Diskriminierung« zu beschreiben, mit der die HAS sich beschäftigen, wurde bereits 1970 analog zu Sexismus und Rassismus der Begriff des Speziesismus eingeführt, der sozusagen das durch die HAS zunächst zu untersuchende und letztlich zu überwindende Diskriminierungsübel benennt: die Unterdrückung und Ausbeutung von Teilen der Gesellschaft aufgrund ihrer biologischen Artzugehörigkeit. Das Suppenhuhn wandert nun einmal in den Kochtopf aufgrund seines Huhn-Seins. Die Verhältnisse, sie sind halt so. Aber sie sollen keineswegs so bleiben. Entsprechend bilden die Vertreter der HAS mehrheitlich keinen rein akademischen Gesprächszirkel, sondern sind fest verankert in der Tierrechts-, Tierbefreiungs- und Veganismusbewegung. In Deutschland bemühen sich inzwischen mehrere Gruppen um die Akzeptanz der HAS als akademische Richtung, deren Vertreter zu großen Teilen Sympathien mit der Tierrechtlerszene hegen oder ihr selbst angehören. Zu ihnen gehört auch der Berliner Chimaira-Arbeitskreis, der jüngst mit dem Buch »Human-Animal Studies. Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen« auch das erste deutschsprachige Grundlagenwerk zum Thema vorlegte. Spätestens nach dessen Lektüre weiß man: Diese Wissenschaft will etwas ändern und das theoretische Rüstzeug für politische Aktivisten liefern.
Dieser politische und theoretische Hintergrund markiert auch den Unterschied zwischen klassischem Tierschutz und den antispeziesistischen Positionen, auf denen die HAS basieren. In der Öffentlichkeit werden Tierrechtler meistens einfach nur als besonders engagierte oder radikale Tierschützer wahrgenommen, aber das greift zu kurz. Aus Sicht der HAS ist der Tierschützer ungefähr das, was, sagen wir, der Sozialdemokrat für den Antikapitalisten ist: Er möchte die schlimmsten Auswirkungen des herrschenden Systems mildern, ohne dieses aber selbst wirklich zu ändern – womit er es letztlich stützt.
So untersuchen die HAS die gesellschaftlichen Mechanismen der Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung von Tieren, und wie sich das gehört bei Antidiskriminierungstheoretikern, muss zu diesem Zweck zunächst die leidige Sprache angepasst werden, die ja immer auch Ausdruck der herrschenden Verhältnisse ist. Um den Tier-Mensch-Dualismus aufzubrechen, der dazu diene, das Tier niedriger zu stellen, und somit helfe, seine Benutzung zu rechtfertigen, wird das Adjektiv »tierisch« in Analogie zu »menschlich« zu »tierlich«, das Tier selbst zum »nichtmenschlichen Tier«, während der Mensch weiter Mensch heißen darf. Letzteres erscheint allerdings auch innerhalb der HAS-Logik selbst etwas krude, zwingender wäre es, dann auch von menschlichen Tieren zu sprechen – aber geschenkt.
Denn halten wir uns nicht mit Details auf, die HAS denken ebenfalls im Großen. So entdecken sie zahlreiche Parallelen zwischen der Unterdrückung der Tiere und der Diskriminierung von menschlichen Gruppen, ihnen lägen dieselben gesellschaftlichen Mechanismen zugrunde: Entrechtung, Entindividualisierung, das Verwehren einer eigenen Geschichtsschreibung, und eben sprachliche Diskriminierung, die sich nicht nur in der Verwendung unterschiedlicher Vokabeln für scheinbar gleiche Vorgänge (fressen/essen) ausdrücke, sondern vor allem auch in der Gegenüberstellung Tier/Mensch an sich, obwohl es »das Tier« ja überhaupt nicht gebe und der vermeintlichen Überlegenheit des Menschen die moralische Rechtfertigung fehle.
All dies ist Ausdruck der speziesistischen Grundannahme von den Sonderrechten, die der Mensch sich selbst einräume, den Tieren aber verwehre. Denn die Übergänge zwischen Mensch und Tier sind in der Logik der HAS ja sowieso fließend. So stehen Menschenaffen dem Menschen nicht nur nahe, ihre kognitiven Möglichkeiten übersteigen auch die vieler Menschen, etwa geistig Behinderter oder Babys. Daher ist es kein Zufall, dass ausgerechnet einer der Vordenker der Tierrechtler, der australische Philosoph Peter Singer, nicht nur Menschenrechte für Menschenaffen fordert, sondern es auch moralisch legitim findet, besonders schwer behinderte Menschen direkt nach der Geburt zu töten. Der Gesellschaft nutzen sie schließlich nicht, ein Bewusstsein haben sie auch nicht, also gibt es für ihn keinen rationalen Grund, sie am Leben zu lassen, denn einen besonderen Wert des menschlichen Lebens an sich mag er nicht gelten lassen. Schließlich werden Hund oder Katze ja auch durch Einschläfern »erlöst«, wenn sie keine Hoffnung auf ein lebenswertes Leben mehr haben, warum sollten Menschen da also anders behandelt werden. Das ist sozusagen angewandter Antispeziesismus.

Nur nicht vermenschlichen

Nun ist es einerseits unbestreitbar richtig, dass der Schimpanse dem Homo sapiens näher steht als der Schimpanse der Rotbauchunke oder gar dem Borstenwurm und dem Rädertierchen. Andererseits aber führt das Niederreißen der Tier-Mensch-Grenze eben nicht automatisch dazu, dass alle Spezies sozusagen auf Augenhöhe agieren. Das Problem erkennen natürlich auch die HAS, sie bleiben hier aber merkwürdig vage. Man dürfe nicht vermenschlichen, lautet die Devise, und so, wie der weiße Imperialist auf andere Völker mit dem eurozentrischen Blick schaue, so blicke der Mensch anthropozentrisch auf die nichtmenschlichen Tiere, was es bestmöglich zu verhindern gelte. Dieser Einwand wird in den HAS zu einer Art Generalentschuldigung für theoretische Defizite. Wir sind eben Menschen, was wissen wir schon über die Wahrnehmungswelt des Meerschweinchens oder der Stabheuschrecke, wir können sie ja nun einmal nur aus menschlicher Perspektive, eben anthropozentrisch, denken.
Dasselbe gilt allerdings auch für jede andere Spezies. Wenn nun also die bestehende Herrschafts- und Ausbeutungsordnung kritisiert wird, stößt man auf ein nicht unerhebliches theoretisches Problem: Ganz anders nämlich als den Sklaven, den Frauen oder den Homosexuellen dürfte den bislang unterdrückten Tieren die Vision einer gerechteren Welt nur schwer zu vermitteln sein. Der Mensch kann Freund Tier also als noch so gleichberechtigt annehmen, der Löwe schnappt sich doch das Zebra, der Hai, wenn’s halt grad mal passt, auch den Menschen, und der von Tierrechtsaktivisten gerade »befreite« und in die Freiheit entlassene Nerz richtet nicht nur Verheerungen im Ökosystem an, sondern haut sich den Bauch voll mit Mäusen und Fischen, deren Recht auf körperliche Unversehrtheit damit von den Tierrechtlern sehr direkt und empfindlich tangiert wird.
Natürlich, sagen nun die HAS, wir dürfen Hai, Nerz und Löwe nicht nach unseren Wertvorstellungen beurteilen, das wäre ja anthropozentrisch. Wir haben eben, anders als Hai, Nerz und Löwe, die Wahl. Was, und da beißt sich der Nerz selbst in den Schwanz, aber gleich wieder eine neue Tier-Mensch-Mauer aufbaut, die auch nicht niedriger erscheint als ihre Vorgängerin. Indem der Tierrechtler nur dem Menschen die Möglichkeit und damit die Pflicht zu einem moralisch korrekten Umgang mit seinen Mitgeschöpfen zuspricht, überhöht er ihn gleichzeitig als über allem Tierischen oder, wenn’s sein soll, auch Tierlichen stehend. Denn selbst die mit Menschenrechtgewährung vergleichsweise verwöhnten Menschenaffen haben ja nichts Besseres zu tun, als ihre Artgenossen zu meucheln, wenn es ihnen probat erscheint, etwa wenn ein Schimpansenmännchen einen neuen Harem übernimmt und erstmal den aus seiner Sicht genetischen Ballast des Vorgängers in Form der in der Gruppe lebenden Jungtiere tötet. Vor Gericht aber müsste der Schimpanse wohl auch nach Meinung von Tierrechtlern nicht kommen – weil er eben ein Tier ist und kein Mensch. Gleichberechtigung sieht anders aus.
Tiere dürfen also einerseits nicht benutzt und ausgegrenzt werden, andererseits aber gelten anthropozentrische Moralvorstellungen für sie natürlich nicht. Aber auch innerhalb der Spezies Mensch ist es mit der Moral so eine Sache. Der Feminismus musste sich früher (und muss sich teils auch heute noch) vorwerfen lassen, nur die Interessen einer weißen, wohlhabenden Frauenschicht zu vertreten, diese besonderen Interessen aber als allgemeine Interessen von allen Frauen zu deklarieren und damit beispielsweise schwarze Unterschichtfrauen auszugrenzen, die wohl ganz andere Sorgen und Bedürfnisse haben mögen.
Auch der Tierrechtler muss damit leben, dass er innerhalb der Menschen nur für eine bestimmte, sehr kleine Schicht sprechen kann. Denn das Verständnis für HAS dürfte sich außerhalb der gut situierten, gebildeten Schicht westlicher Industrieländer doch arg in Grenzen halten, und so wird aus dem gegen jede Diskriminierung von jedergeschöpf Kämpfenden rasch der propere, neokoloniale Rechthaber und Besserwisser, der den primitiven Völkern im Rest der Welt erklärt, was moralisch hochwertig ist (nämlich er/sie selbst), und was barbarisch (nämlich sie, die anderen). Eigentlich ist genau das ein gutes Beispiel für das in den HAS so intensiv beklagte »Othering«, mit dem die nichtmenschlichen Tiere ausgegrenzt würden.
Ein unschöner Nebeneffekt, der sich noch verstärkt durch die banale Erkenntnis, dass der tierlich korrekte, mithin also vegane Lebensstil halt auch so ein Luxusprivileg ist, denn der größere Teil der Weltbevölkerung hat erst gar nicht die Möglichkeit, ohne das Risiko gesundheitlicher Folgeschäden auf tierische Produkte in der Ernährung zu verzichten. Das menschliche Tier, so hat’s die Evolution nun einmal eingerichtet, ist ein omnivores, das also von Natur aus auf eine gemischte Kost aus pflanzlichen und tierischen Produkten eingestellt ist, und so richtig es ist, dass es bei kluger Nahrungszusammenstellung auch vollständig vegan leben kann, so steht die dafür notwendige, qualitativ hochwertige Nahrung seinen meisten Artgenossen überhaupt nicht zur Verfügung, zumindest nicht in der übel bestellten Welt, in der wir leben.

Wir sind alle Kannibalen

Überhaupt zeitigt die Konzentration auf das Ziel, über Artgrenzen hinweg Gerechtigkeit zu schaffen, mitunter äußerst grausame Ergebnisse. Es gehört zur auch internen Kritik an der Tierrechtsbewegung, dass zum Zweck der Besserstellung der Tiere Kollateralschäden bei den eigenen Artgenossen hingenommen werden. Die mit Abstand erfolgreichste Gruppe der Szene ist die Tierrechtlerorganisation PETA, die dank ihrer sehr professionell aufbereiteten und populistisch wirksamen Aktionen viel Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erhält. Und dabei andere eman­zipatorische Anliegen schlichtweg verrät. Aus feministischen Kreisen etwa wird PETA schon lange offensiver Sexismus vorgeworfen. Wegen der »Lieber nackt als Pelz«-Kampagne etwa, die keineswegs Erika Musterveganerin abbildete, sondern allen patriarchalen Körperidealen entsprechende Models und Schauspieler, und es überdies damit in alle Medien brachte, weil sich halt auch der tierrechtsferne männliche Zeitungsleser gern mal Nackerte anschaut, denn die Möglichkeit zur Fleischbeschau gefällt ihm genauso gut, wenn sie vegan motiviert ist.
Vor allem aber führt die ideologische Erhöhung des Tiers auf das Niveau des Menschen automatisch zu einer Entwertung des Menschen, sie ist diametral entgegengesetzt zum gesellschaftlichen Minimalkonsens: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Antispeziesisten argumentieren, dass sie diese Würde doch unangetastet lassen wollen, dass nur auch die anderen Spezies in den Genuss dieser Unantastabarkeit kommen sollen. In der gesellschaftlichen Realität sieht das dann aber so aus, dass auf einem Werbeplakat von PETA neben Legehennen KZ-Häftlinge abgebildet werden und neben einem Haufen toter Schweine ein Berg getöteter Juden. Selbst wenn man den Initiatoren zugutehielte, dass ihr Bild von Huhn und Schwein ein so positives ist, dass die direkte Gegenüberstellung angesichts des grassierenden Antisemitismus gar als eine Aufwertung der Juden gemeint sein könnte – selbst dann wird ein solches Motiv von einem Großteil der Betrachter aus der Mitte der Gesellschaft doch zweifellos mit anderen Augen gesehen (ganz zu schweigen von ihrem rechten Rand, der sich dabei in die Schlägerfaust lacht). Es gibt eben nicht nur eine anthropozentrische, sondern auch innerhalb der Spezies Mensch sehr unterschiedliche Perspektiven.
Eine solch geschmacklose Variante der Gleichsetzung von Mensch und Tier ist kein einmaliger Ausrutscher von PETA, sie hat systematischen Charakter. Wird irgendein Fall von Kannibalismus bekannt, werden die Tierrechtler nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es sich nicht gehöre, Menschen zu essen, denn die würden ja genauso leiden wie die Abermillionen von Tieren, die jeden Tag verputzt werden. So annoncierte PETA 2008 in einer Zeitungsanzeige zum Prozess vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegen den ehemaligen liberianischen Diktator Charles Taylor, dem unter anderem Kannibalismus vorgeworfen wurde: »Charles Taylor ist nicht allein! Schweine und Kühe und Hühner und Lämmer fühlen Schmerz genauso wie Menschen.« Womit allein durch die zahlenmäßige Gegenüberstellung selbst die ungeheuerlichsten (menschlichen) Verbrechen bagatellisiert werden. Denn aus der Perspektive des Antispeziesisten, der seine Sache ernst meint, stellt sich natürlich auch die Shoa letztlich nur als die kuschelige Hobbyvariante dessen dar, was heute in der Massentierhaltung und in den Schlachthöfen geschieht: »Zwischen 1938 und 1945 starben zwölf Millionen Menschen im Holocaust. Genauso viele Tiere werden für den menschlichen Verzehr jede Stunde in Europa getötet« (PETA-Anzeigentext).
Angesichts dieser Logik mag man sich kaum vorstellen, wie ein überzeugter Antispeziesist eigentlich psychisch klarkommt in dieser Welt. Denn wer möchte tagein, tagaus nur von Mördern umgeben sein, von Geiselnehmern und Sklavenhändlern, wer hält es aus, wenn sich sogar die eigenen Verwandten und Freunde dieser Verbrechen schuldig gemacht haben und es nicht einmal bereuen, sondern schon wieder das Messer wetzen? Schön kann das eigentlich nicht sein.

Die Freiheit der Leguane

Was zurückführt zu einem grundlegenden Problem der HAS, nämlich ihrer Verortung in der Soziologie. Was will das Tier überhaupt? Das ist eine Frage, die eigentlich eher Biologen als Soziologen beantworten können. Natürlich: Kein Tier lässt sich gerne aufessen. Der Selbsterhaltungstrieb ist eine starke Triebfeder. Die HAS fassen den Begriff der Ausbeutung und Unterdrückung allerdings erheblich weiter. Zu dem, was Tieren nicht gefällt und ihnen daher auch nicht zuzumuten sei, gehören für sie auch Freiheitsberaubung (Zoos, Haustiere), jede Form von physischer Nutzung (Reiten, Melken, Eiersammeln), von Teilen der Bewegung wird auch Diebstahl (Honig) gegeißelt. So lehnen Tierrechtler durch die Bank die Haltung von Wildtieren ab, sei es in Zoos, die sie als Tierknäste denunzieren, sei es in Privathand (auch die Haltung domestizierter Tiere wird abgelehnt, da ist die Gemengelage aber natürlich komplexer). Denn es gehöre nun einmal zu den Rechten des Tiers, nicht in seiner Freiheit eingeschränkt und nicht zum Schauobjekt degradiert zu werden.
Nur: Wer legt das eigentlich fest? Wer sich ein bisschen auskennt mit Tieren, der wird kaum zu dem Schluss gelangen, dass es die meisten Arten großartig kümmert, ob sie zur Schau gestellt werden oder nicht. Das Missverständnis der HAS in dieser Hinsicht ist ein schönes Beispiel dafür, wie anthropozentrische Moralvorstellungen einfach auf andere Arten übertragen werden. Der Frosch ist Frosch, er will machen, was Frösche eben machen: etwas Anständiges fressen, in Ruhe an einem als sicher empfundenen Ort dösen, nicht gefressen werden und sich bei Gelegenheit reproduzieren. Ob ihm dabei Leute zuschauen, ist ihm egal. Zumindest spricht erheblich mehr für diese Annahme als für die Gegenthese, dass es ihn in irgendeiner Weise stören könnte.
Mit dem Freiheitsbegriff sieht es ähnlich aus. Zumindest bei weniger hoch entwickelten Spezies darf man getrost bezweifeln, dass sie von Freiheit überhaupt irgendeine Vorstellung haben. Die meisten Tiere laufen ja nicht aus lauter Lebensfreude durch die Gegend, sondern im Gegenteil aus Notwendigkeit. Das Gnu ist nicht scharf auf lange Wanderungen, es braucht frisches Gras. Als die Amseln spitzgekriegt haben, dass sich in menschlichen Städten der Winter auch ganz gut rumkriegen lässt, sind sie einfach hier geblieben und haben sich den mühsamen Weg in den Süden gespart. Und ein Leguan bewegt sich umso mehr, je schlechter er dran ist: Nur wer lausige Reviere an ungeeigneter Stelle hat, muss permanent unterwegs sein, um seine Bedürfnisse zu befriedigen – und setzt sich damit einem deutlich erhöhten Risiko aus, einem nichtveganen nichtmenschlichen Tier zu begegnen. Warum also soll es dem Zootier schlechter gehen als seinem Artgenossen draußen in der Natur, wenn es sich um Fressfeinde und ausreichende Nahrung keine Sorgen machen muss, wenn ihm sozusagen anstrengungsloser Wohlstand winkt? Hier macht sich der Tierrechtler schnell zum Westerwelle der Fauna: Mag das Leben da draußen auch noch so ruppig sein, mag das Tier nicht genug zu fressen finden oder zur Beute werden – es soll gefälligst auf seinen eigenen vier Füßen stehen, denn die Freiheit ist schließlich das höchste Gut.
Aber bleiben wir mal beim Beispiel Leguan und schauen auf die bekannteste Art dieser Reptilien, den Grünen Leguan, bekannt aus zahlreichen Zoos und Privatwohnungen: Wenn so ein Kerlchen aus dem Ei schlüpft, hat es in der Natur eine Chance von etwa 25 Prozent, die ersten drei Monate zu überleben, und von etwa fünf Prozent, nach einem Jahr noch im Rennen zu sein. Betrachten wir zudem ein Leguanmännchen: Wenn es tatsächlich im zweiten oder dritten Jahr die Geschlechtsreife erreicht hat, dann stellt sich ihm ein weiteres Problem. Es ist zwar nun groß genug, um nicht mehr von jedem daher­geflogenen Vogel gefressen zu werden, aber das reicht ihm nicht. Es will sich fortpflanzen. Denn stärker noch als der Trieb zum Selbsterhalt ist der zum Arterhalt – fragen Sie mal Spinnen und Gottesanbeterinnen, wenn Sie’s nicht glauben. Das Problem für das Leguanmännchen ist aber nun, dass seine Artgenossen es vorziehen, in Haremsgruppen zu leben. Auf ein dominantes Männchen kommen etwa fünf Weibchen. Bei ­einer Geschlechterquote von 1:1 heißt das, auf ein geschlechtsreifes Männchen, das problemlosen Zugang zu Partnerinnen hat, kommen vier, denen ihr sehnlichster Wunsch verwehrt bleibt. Damit findet sich ein Leguan aber nicht einfach ab – er zieht los in die Welt und hofft, irgendwo ein freies Revier zu finden. Das erhält das Kolonisationspotential der Art für neue Lebensräume und garantiert die sofortige Neubesetzung, falls mal ein Revierinhaber ausfällt. Für das Individuum ist es aber eine im Grunde aussichtlose Sache, denn natürlich, so ist die Welt nun einmal eingerichtet, ist jedes geeignete Leguanhabitat auch von Leguanen besiedelt. Mit größter Wahrscheinlichkeit also fällt das Männchen auf seinen Wanderungen schließlich dann doch einem Beutegreifer zum Opfer. Oder sucht irgendwann die Konfrontation mit einem Revierinhaber, bei der einer von beiden über kurz oder lang draufgeht.
Natürlich, so ist die Natur. Da mischt sich ein Tierrechtler nicht ein, das geht ihn nichts an. Nur: Woran macht er fest, dass der Leguan im Zoo mit seiner Situation unzufrieden sein könnte? Beziehungsweise eben, dass es ihm draußen besser geht? Nur daran, dass sein Aufenthalt im Zoo nicht dem romantisierten und selbstverständlich anthropozentrischen Freiheitsbegriff entspricht, dem der Tierrechtler selbst aber nun einmal anhängt. Das Recht auf Freiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit gehen in der Lebensrealität der meisten Tiere schlicht nicht zusammen. Erst recht nicht mit dem Recht auf Reproduktion, die letztlich die stärkste Triebfeder tierischen Lebens ist.

Im Reich der Tierrechtler

Tierrechtler finden es seltsamerweise ganz unproblematisch, Tiere zu sterilisieren, sie organisieren sogar Kampagnen dazu. Da sie Haustierhaltung eigentlich ablehnen (Freiheitsberaubung, Abhängigkeit vom Menschen), wollen sie nicht, dass weitere Haustiere entstehen. Die Befreiung für Hund, Katze, Kuh und Schwein ist für den aufrechten Antispeziesisten erst vollendet, wenn es keine Hunde, Katzen, Kühe und Schweine mehr gibt auf der Welt. Versuchen Sie mal im Tierheim ein Kaninchen zu bekommen, weil Ihre Tochter zu Hause schon eines hat und sie ihrem Liebling nun Elternfreuden ermöglichen möchte. Sie werden oft nicht nur das Tier nicht bekommen, sondern stattdessen ordentlich was zu hören.
Für den Tierrechtler ist es mit den Tierrechten also genau so weit her, wie sie ihm, dem Tierrechtler, gerade gefallen. So hält PETA es in den USA auch für richtig, in Tierheimen herrenlose Tiere, die nicht vermittelt werden können, einzuschläfern, statt sie dauerhaft unter Heimbedingungen zu halten (und zu finanzieren). In dem Punkt allerdings gleichen sich dann Tierheimtier und Schlachtvieh wiederum sehr: Freiwillig setzt sich auch der Hund im Zwinger die Spritze nicht. Da ist es wieder, das menschliche Tier, das über die Rechte des nichtmenschlichen Tiers entscheidet, wenn auch diesmal nach Meinung des menschlichen Tiers nur zum Besten des nichtmenschlichen. Dem ja leider die Weitsicht fehlt, das für sich selbst richtig zu entscheiden.
Die zentrale Frage der HAS ist die nach den Herrschaftsverhältnissen in der tier-menschlichen Gesellschaft. Der Antispeziesist lehnt jede Form der Herrschaftsausübung seiner eigenen Spezies über andere ab. Die anderen Tiere, so fordert er, mögen in Freiheit und nach ihrem eigenen Willen leben. Allerdings handelt es sich dabei um sowohl rein menschliche als auch vermenschlichende Kategorien. So erheben sich die Antispeziesisten über das gesamte Tierreich, und damit auch über die übergroße Mehrheit ihrer eigenen Artgenossen. Sie lehnen es ab, Tiere zu töten oder zu unterdrücken, um Nutzen für den Menschen daraus zu ziehen. Sie finden es jedoch in Ordnung, dasselbe aus moralischen Gründen zu tun – solange es ihre eigene Moral ist. An diesem Dilemma ändert sich auch dann nichts, wenn diese Moral theoretisch überhöht und als neue Forschungsdisziplin propagiert wird. Um neue Einsichten in die lange Geschichte des Zusammenspiels von Menschen und Tieren zu gewinnen, wird man also nicht das Schriftum der HAS konsultieren müssen. Gehen Sie lieber in den Zoo!