Der Streit um das realsozialistische Architektur¬erbe in Potsdam

Der große Aufriss um den Abriss

In Potsdam tobt ein architekturpolitischer Streit. Denn das alte Bürgertum und zugezogene Besserverdiener wollen ein realsozialistisches Gebäude aus dem Stadtbild tilgen.

Eines der Wahrzeichen Potsdams ist das Hotel Mercure. Das 17stöckige Hochhaus, das eine phantastische Aussicht über Potsdam und Umgebung bietet, prägt das Stadtbild und ist eines der bedeutendsten Gebäude aus der Zeit des in den sechziger und siebziger Jahren vorgenommenen Umbaus der ehemaligen preußischen Residenzstadt zur sozialistischen Bezirkshauptstadt. Darum steht das Hotel der seit den neunziger Jahren angestrebten »Wiederherstellung der historischen Innenstadt« im Weg, die die Spuren des Nationalsozialismus und der DDR aus dem Stadtzentrum zum Verschwinden bringen soll.

Eine Gelegenheit für den Abriss des Mercure ergab sich, als Ende vergangenen Jahres der Mitbegründer des Softwarekonzerns SAP, Hasso Plattner, ein Grundstück suchte, um eine Kunsthalle für seine private Sammlung zu errichten. Der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) schlug dem Milliardär vor, die einem Immobilienfonds gehörende Fläche zu erwerben, auf der das Hotel steht, dieses abzureißen und dort die Kunsthalle bauen zu lassen. Plattner ging bereitwillig auf den Vorschlag ein, schließlich befindet sich das Grundstück in herausragender Lage im Stadtzentrum und am Ufer der Havel. Mitte Juni gab Plattner jedoch bekannt, dass es an dem Standort etliche Schwierigkeiten gebe, die das Vorhaben verteuerten. Zudem habe er aus der Potsdamer Bevölkerung Widerspruch gegen den in Hinterzimmergesprächen beschlossenen Abriss des Hotels vernommen, er wolle sich nicht in örtliche architekturpolitische Auseinandersetzungen einmischen und werde die Kunsthalle deshalb auf einem ihm gehörenden Grundstück im Norden der Stadt errichten lassen.
Diese Entscheidung, die das Fortbestehen des Hotels bedeutet hätte, sorgte im gehobenen Bürgertum Potsdams für Unmut. Jakobs sagte in einer internen Runde im Rathaus: »Mein Interesse ist, dass wir mit Plattners Hilfe das Ding abräumen, und dafür werde ich alles tun.« Öffentlich ließ der Bürgermeister verlauten, dass die Stadt notfalls mit eigenem Geld die von Plattner erwähnten Probleme am Mercure-Standort beseitigen werde. Die zum Berliner Tagesspiegel gehörenden Potsdamer Neuesten Nachrichten begannen eine umfangreiche Kampagne für den Abriss des Hotels und gegen die Kritiker des Vorhabens. Diese werden in der Zeitung seither nur noch als »Nörgler«, »Kaputtlaberer«, »Betonköpfe« und »vertrocknete SED-Altkader« bezeichnet.
Gemeinsam mit der Bürgerinitiative »Mitteschön«, die sich für den Wiederaufbau zerstörter oder abgerissener preußischer Bauwerke einsetzt, und vom Oberbürgermeister unterstützt, riefen die Potsdamer Neuesten Nachrichten unter dem Titel »Aufstand der Vernunft« zu einer Kundgebung auf, die Plattner doch noch dazu bewegen sollte, die Kunsthalle am Standort des Mercure zu errichten. Mit Schildern, auf denen Parolen wie »Gegen Nörgler«, »Danke Hasso Plattner« und »Plattnerbau statt Plattenbau« zu lesen waren, versammelten sich in der vergangenen Woche einige hundert Menschen im Potsdamer Stadtzentrum, dem äußeren Eindruck nach vor allem sogenannte Besserverdienende der Altersgruppe über 50.

Als Redner traten mehrere in Potsdam lebende Prominente auf, unter ihnen der Fernsehmoderator Günther Jauch. In einer emotionalen Rede bezeichnete dieser den Hotelbau als »sozialistische Notdurftarchitektur« und die Gegner des Abrisses als »letzte Stalinisten«, deren Zeit nun endlich abgelaufen sei. Dermaßen angestachelt fiel der bürgerliche Mob über etwa 30 Menschen her, die versucht hatten, die gegenteilige Auffassung kundzutun. Es blieb nicht bei Beschimpfungen der Gegendemonstranten als »Stasi-Spitzel« und »SED-Bonzen« und Aufforderungen wie »Geh arbeiten« und »Zieh doch weg«. Unter den Augen eines großen Polizeiaufgebotes wurden die Protestierenden auch angegriffen, geschlagen und ihre Transparente zerstört.
Belohnt wurde diese Form bürgerschaftlichen Engagements durch einen Auftritt Plattners. Sichtlich geschmeichelt von dem Aufmarsch sagte er: »Ich habe total überschätzt, wie viele dagegen sind.« Er habe erwartet, dass viel mehr Gegner des Abrisses ihre Stimme erheben würden. Und als handele es sich bei der Kundgebung um eine Art Plebiszit, verkündete er, seine Entscheidung über den Standort der Kunsthalle noch einmal zu überdenken. Nachdem er zuvor immer betont hatte, er wolle sich wegen des Vorhabens auch nicht mit einer Minderheit, ja nicht einmal mit einem einzigen Potsdamer anlegen, rief er den anwesenden Kritikern des Abrisses fröhlich zu: »Ihr seid so wenige!«
Der Furor, der das bürgerliche Potsdam angesichts Plattners Ankündigung befiel, nicht im Stadtzentrum bauen zu wollen, lässt sich mit den besonderen Konflikten in der Stadt erklären. Das politische Geschehen wird maßgeblich von den Vertretern dreier großer Bevölkerungsgruppen bestimmt. Zum einen gibt es die Überreste des alten konservativen Bürgertums, das die Zeit des Realsozialismus überwintert hat, dann die Einwohner, die im Zuge des Umbaus zur sozialistischen Verwaltungs- und Industriestadt nach Potsdam kamen, und schließlich jene »Besserverdienenden«, die nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin die brandenburgische Landeshauptstadt als adretten Villenvorort der Bundeshauptstadt entdeckten. Die Vertreter des alten und des zugezogenen Bürgertums sind dabei ein Bündnis gegen ihre zahlenmäßig etwa gleichstarken Gegner eingegangen.
Gerade weil die Machtfrage eigentlich zugunsten des Bündnisses aus konservativen Alt-Potsdamern und zugezogenen Reichen entschieden ist, wird der Kampf um die kulturelle Hegemonie in der Stadt sehr hart geführt, was sich vor allem in langwierigen Diskussionen über jedes städtebauliche Vorhaben und über jedes Großprojekt sowie in zeitaufwendigen Kompromissfindungen niederschlägt. Große Hoffnungen setzte das Bürgertum deshalb auf Plattner, schließlich verfügt der Unternehmer über ausreichend Kapital, diese Pattsituation zu seinen Gunsten zu entscheiden.

Von Befürwortern des Hotelabrisses wird der Konflikt gern als einer zwischen den unverbesserlich nostalgischen Anhängern und den freiheitlich-demokratischen Gegnern der DDR-Architektur dargestellt. Offenbar bewertet Plattner die Angelegenheit ähnlich, glaubte er doch, mit dem Angebot, in seiner Halle auch eine neu anzulegende Sammlung von »DDR-Kunst« zu zeigen, die Linkspartei ködern zu müssen. Doch tatsächlich geht es in dem Streit darum, wer auf welche Art entscheidet, wie sich die Stadt weiterentwickelt, wessen Bedürfnissen die Stadtplanung folgt und wie öffentliche Mittel dabei eingesetzt werden. Und gleichgültig, wie Plattner den Konflikt bewertet: Eine Kunsthalle am Standort des Mercure dürfte von vielen Potsdamern als architektonisches Denkmal des Sieges über ärmere und in der DDR sozialisierte Einwohner verstanden werden.