In Frankreich wurden angebliche »anarcho-autonome Terroristen« verurteilt

Es zählt das Ziel

In Paris hat der erste Anti-Terrorismus-Prozess gegen die »Anarcho-autonome Bewegung« stattgefunden.

»Man will dissidente Meinungen stigmatisieren, soziale Bewegungen einschüchtern und kleinhalten«, fasst die Verteidigerin Christine Martineau den Prozess gegen sechs Personen in Paris zusammen. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein, der »Anarcho-autonomen Bewegung des Großraums Paris« (MAAF). In einer fünf Jahre andauernden Ermittlung versuchten Staatsschutz und Polizei nachzuweisen, dass die Angeklagten gemeinsam Brandanschläge auf Bahnsignalanlagen und ein Polizeifahrzeug geplant und durchgeführt hätten. Die Beschuldigten wiesen eine direkte Beteiligung an Sabotageakten zurück und betonten, dass die MAAF eine Erfindung der Polizei sei. »Die MAAF ist eine Art Containerbegriff, um den Protest loszuwerden«, sagt Martineau.
Im Verlauf des Prozesses verwiesen die Angeklagten wiederholt auf den politischen Hintergrund vor ihren Verhaftungen: Die Proteste gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) im Frühjahr 2006, der für junge Berufsanfänger die Abschaffung des Kündigungsschutzes vorgesehen hatte, die Unruhen, die die Wahl von Nicolas Sarkozy zum Präsidenten im Mai 2007 begleitet hatten, und die Demonstrationen vor dem Abschiebegefängnis in Vincennes im Winter 2007/08. Tausende Menschen waren auf den Straßen, Dutzende Autos brannten und Züge wurden blockiert, ohne dass von Terrorismus die Rede gewesen sei. Die Anwältinnen und Anwälte der Angeklagten wiesen darauf hin, dass die polizeilichen Untersuchungen von Beginn an dem politischen Willen einer Verurteilung gefolgt seien. DNA-Spuren, die auf deponierten Brandsätzen gefunden wurden, reichten nicht als alleinige Beweise. Doch Olivier Christen, Leiter der Anti-Terrorismus-Abteilung der Staatsanwaltschaft, hielt am Vorwurf der terroristischen Vereinigung fest und forderte Bewährungsstrafen von bis zu drei Jahren und Haftstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Er führte als Beweis für das Bestehen eines »anarcho-autonomen« Zusammenhangs auch Indymedia als Kommunikationsorgan an.
Die Ermittlungen hatten kurz nach dem Amtsantritt der Regierung Sarkozy im Mai 2007 begonnen. Innenministerin Michèle Alliot-Marie richtete die Arbeit des französischen Inlandsgeheimdiensts und der Anti-Terrorismus-Abteilung neu aus. Der Tageszeitung Le Figaro sagte sie im Februar 2008: »Seit mehreren Monaten weise ich darauf hin, dass die Gefahr eines gewalttätigen Wiedererstarkens der radikalen Linken besteht. Seit meinem Amtsantritt als Innenministerin forciere ich eine Strategie dagegen und habe dem Staatsschutz Anweisungen erteilt, diesem Phänomen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.«

Zu diesem Zeitpunkt saßen Bruno L. und Ivan H. bereits in Untersuchungshaft. Im Januar 2008 wurden sie auf dem Weg zu einer Demonstration vor dem Abschiebegefängnis in Vincennes wegen des Besitzes von Rauchpulver und Nägeln verhaftet. Polizei und Medien machten daraus eine »Nagelbombe«. Einige Tage später fanden Zollbeamte bei Inès M. und Frank F. Sabotageanleitungen, Baupläne von einem Jugendgefängnis und Chlorat. Nach Ermittlungen in ihrem Umfeld werden Inès M., Javier M. und Damien B. aufgrund von DNA-Spuren verdächtigt, während der Anti-CPE-Bewegung 2006 und der Präsidentschaftswahl 2007 an Brandanschlägen beteiligt gewesen zu sein. Im Frühling 2008 griff die Anti-Terrorismus-Abteilung der Staatsanwaltschaft die Fälle auf und fügte sie zu einer Ermittlung gegen die sogenannte MAAF zusammen. Den Prozessakten zufolge handele es sich dabei um »ungefähr 50 Individuen zwischen 20 und 30 Jahren, die gemeinsame Aktionen gegen die Polizei und den Kapitalismus durchführen«. Diese vage Bestimmung macht vor allem eines deutlich: Die Ermittlungsbehörden fassen lose organisierte politische Aktivistinnen und Aktivisten zu Gruppen zusammen, um sie besser strafrechtlich verfolgen und in langwierigen Ermittlungen gegen »Terrorismus« überwachen zu können.
Die französische Rechtsprechung erlaubt eine weite Auslegung des Begriffs des Terrorismus. So reicht es aus, wenn »die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung und Angst hochgradig gefährdet« wird. Im Gerichtssaal betonte der Staatsanwalt wiederholt, dass auch Sachbeschädigung dem terroristischen Ziel der Einschüchterung dienen könne. »Wenn die sechs Angeklagten sich auch auf keinerlei Gruppe beziehen, so sind die verfolgten Taten doch in einem gemeinsamen Ziel begangen worden, nämlich dem der Destabilisierung des Staates«, betonte er in seinem Plädoyer. »Nur weil ihnen das nicht gelungen ist, zählt dieses Ziel nicht weniger.«

Die Angeklagten wiesen die ausgiebigen Befragungen nach ihrer politischen Einstellung durch die vorsitzende Richterin zurück. Es sei hier nicht der richtige Ort, um über politische Ideen zu sprechen, meinten sie. Offen bekannten sich die Angeklagten zu ihrer antikapitalistischen Einstellung und zur Beteiligung an Demonstrationen gegen Abschiebegefängnisse.
Mehrfach erinnerte die Verteidigung die Richterin an die Bedeutung ihrer Entscheidung und wies darauf hin, dass es ihr möglich sei, die Angeklagten freizusprechen. Tatsächlich bekam die Anti-Terrorismus-Linie aus Alliot-Maries Amtszeit mehrere Dämpfer ab. Die in den Medien kontrovers diskutierten Ermittlungen gegen die sogenannte Tarnac-Gruppe – neun Personen, die 2008 im Dorf Tarnac wegen angeblich terroristischer Aktivitäten festgenommen worden waren – machten deutlich, dass der politische Wille zur Verurteilung einiger »Anarcho-Autonomen« entscheidend war, Beweise waren zweitrangig.
Die Regierung Sarkozy wurde abgewählt und Alliot-Marie musste zurücktreten, nachdem ihre engen Beziehungen zum tunesischen Diktator Ben Ali bekannt geworden waren. Juristisch stand dem eingeschlagenen Kurs aber nichts im Weg: Das Gericht befand am Montag die Angeklagten in allen Punkten für schuldig und folgte weitgehend den Strafanträgen der Staatsanwaltschaft, nur Frank F. wurde freigesprochen. Die verhängten Haftstrafen stimmen mit der Dauer der Untersuchungshaft ungefähr überein. Die Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung wurde beibehalten. Dies dürften die Ermittlungsbehörden als Bekräftigung ihres Vorgehens werten. Der Prozess gegen die »Tarnac-Gruppe« wird nicht lange auf sich warten lassen.