Nichts zu danken

Dankbarkeit hat die noch von George W. Bush geführte US-Regierung vermutlich nicht erwartet, als sie im Herbst 2008 im Alleingang die Weltwirtschaft vor dem Zusammenbruch bewahrte. Ein beachtlicher Teil der Krisenhilfe in Höhe von 3,3 Billionen Dollar floss an ausländische Finanzinstitute, Unternehmen und Notenbanken, letztlich im Interesse der amerikanischen Wirtschaft, aber ohne dass die US-Regierung versucht hätte, von den Empfängern politische Zugeständnisse zu erpressen. So griff die Deutsche Bank 38 Mal auf Notkredite der Federal Reserve zurück, die US-Notenbank kaufte Josef Ackermann überdies Hypotheken im Nennwert von 290 Milliarden Dollar ab, die sonst kaum noch jemand hätte erwerben wollen. Nun wird die US-Regierung von den Profiteuren der damaligen Ausschüttung gemahnt. »Herr Obama soll sich doch vor allen Dingen mal um die Reduzierung des amerikanischen Defizits kümmern«, doziert der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble.
Wirtschaftliberale Deutungen der Krise kursieren nicht nur in Deutschland. So glauben auch die Anhänger der Tea-Party-Bewegung, dass die Armen und die ihnen hörigen Politiker zu viel Geld ausgegeben haben. Doch in den USA, die tatsächlich für die Wirtschaft anderer Staaten gezahlt haben, ohne Gegenleistungen zu verlangen, ist vom Hass auf die undankbaren deutschen Schnorrer nichts zu bemerken. In Deutschland hingegen verbindet sich der Wirtschaftliberalismus mit nationalchauvinistischen Ressentiments, der weinerlichen Pose des Opfers und kaum verhüllter Aggression gegen das Ausland zu einem neuen Nationalmythos. Das patriotisch korrekte Weltbild fasst Andrea Seibel in der Welt zusammen: »Die Tage der Nachkriegsordnung, des Nachkriegsgefühls, sind endgültig vorbei. Deutschland ist stabil, stark, und es ist deswegen verhasst, bei den Griechen, bei den Franzosen und wohl bald bei Spaniern und Italienern. Stark war es vor der Krise auch. Aber es war still. Demütig und selbstlos, um dem ungeschriebenen Gesetz der Nachkriegszeit Folge zu leisten: die Verbrechen der Vergangenheit zu sühnen. Dass Deutschland lange Zahlmeister der EU war, kann kein Freibrief für notorische Alimentierung sein. Und erst gar nicht solcher Länder, die unverfroren auf diesen Geldern bestehen, als seien sie ewige Reparationsleistungen.« Bemerkenswert ist, dass eben jene, die von »Nachkriegsgefühlen« nichts mehr wissen wollen, zwanghaft auf die angeblich nach dem Zweiten Weltkrieg erlittenen Demütigungen zurückkommen. Bemerkenswert auch die Formulierung »erst gar nicht«, die Heraushebung der von Deutschland überfallenen Staaten, die am allerwenigsten deutsche »Hilfe« verdienen. Mehr als 60 Jahre lang mussten die Deutschen so tun, als betrachteten sie andere Europäer als gleichberechtigte Partner. Für Herrenmenschen war das eine unerträgliche Demütigung.