Alejandro Martínez und David Acevedo Straulino im Gespräch über die Bewegung »Yo soy 132«

»Noch kein Mexikanischer Frühling«

Alejandro Martínez (21) und David Acevedo Straulino (25) sind Studenten an der Autonomen Nationalen Universität von Mexiko (UNAM) in Mexiko-Stadt und Sprecher der Bewegung »Yo soy 132«.

»Yo soy 132« ist aus dem Nichts zu einem entscheidenden Faktor für die Präsidentschaftswahlen geworden. Wie ist diese Entwicklung zu erklären?
Martínez: Das hat damit zu tun, dass die Bewegung an einer privaten Universität entstanden ist. So etwas hat es hier noch nicht gegeben, und so berichteten Zeitungen, Fernsehen und Radiosender außergewöhnlich viel darüber. Zugleich hat unsere Forderung nach Demokratisierung der Medien viele Menschen angesprochen.
Und die sozialen Netzwerke?
Martínez: Die waren natürlich wichtig. Weil an den Unis Ferien waren, haben uns Facebook und Twitter noch mehr genutzt. Eine große Bedeutung hatte der erste Aufruf, den die Studenten der Privatuniversität Iberoamericana über Youtube verbreitet haben. Dort riefen sie dazu auf, sich der Bewegung anzuschließen. Das war sehr effektiv. Viele nicht organisierte Studierende haben das wahrgenommen.
Acevedo Straulino: Die sozialen Netzwerke waren der Katalysator, ohne sie hätte es die Bewegung nicht gegeben. Es wäre sonst schwierig gewesen, der medialen Macht der Konzerne Televisa und TV Azteca etwas entgegenzusetzen. Die Videos auf Youtube machten es möglich, die Lügen der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) zu entlarven. Die Feststellung, dass die großen Medien dermaßen lügen, hat viel Wut hervorgerufen. Es ist einfach ein Unterschied, ob ein PRI-Politiker im Fernsehen etwas erzählt und man auf die Straße geht, um diese Lüge zu denunzieren, oder ob man auf Facebook beweist, dass es sich um eine Lüge handelt. Dieser demokratische Aspekt des Internet war für die Mobilisierung grundlegend.
Die Bewegung ist in Mexiko-Stadt sehr präsent. Wie sieht es in anderen Regionen aus?
Acevedo Straulino: Auch in anderen Städten gibt es Mobilisierungen. Im Rest des Landes sind die Bedingungen für Demonstrationen und andere Aktionen jedoch viel schlechter. Die Repression ist stärker, die Drogenmafia ist aktiver, es gibt mehr Gewalt. Die Mehrheit der Angriffe auf Demonstranten finden in den Bundesstaaten statt. Aber es gibt dort sehr aktive Gruppen, wir sind eine bundesweite Bewegung.
Ist »Yo soy 132« geprägt davon, dass sie ihren Anfang in einer privaten, also eher elitären Universität genommen hat?
Acevedo Straulino: Die Studierenden aus der Iberoamericana forderten zunächst eine Demokra­tisierung der Medien und wollten sich explizit nicht an eine Partei binden. Als sich dann Leute aus der UNAM und anderen öffentlichen Universitäten eingeklinkt haben, hat die Bewegung weitere Forderungen aufgegriffen. Der Kampf gegen den PRI-Kandidaten Peña Nieto rückte in den Vordergrund, inzwischen spielt auch die Kritik am neoliberalen System eine Rolle.
Die Bewegung versteht sich nicht als parteipolitisch, aber die Nähe zum Kandidaten der Linken, Andrés Manuel López Obrador, ist kaum zu verleugnen. Oft folgen auf Parolen gegen Peña Nieto Solidaritätsbekundungen für López Obrador, der für ein Bündnis antritt, in dem unter anderen die sozialdemokratische Partei der demokratischen Revolution (PRD) ist.
Acevedo Straulino: Es hat in letzter Zeit viel Aufregung gegeben, weil einige aus der Bewegung im PRD oder sogar in der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) aktiv sind. Wir haben von Anfang an klargestellt, dass wir keine Partei und keinen Kandidaten unterstützen. Individuell kann das natürlich jeder machen, nicht aber als Vertreter von »Yo soy 132«. Wir haben uns darauf geeinigt, zu respektieren, dass sich manche in den Wahlkampf einbringen, andere wiederum betonen, dass die Ziele der Bewegung über die Wahlen hinausgehen. So ist diese vielfältige Bewegung entstanden.
Martínez: Es liegt in der Natur der Sache, dass López Obrador davon profitiert, wenn sich eine Bewegung gegen dessen Konkurrenten stellt. Aber das spiegelt schlicht die Realität wieder: In der UNAM hat der Linkskandidat eine Unterstützung von 80 Prozent. Viele finden seine Projekte gut und suchen trotzdem darüber hinaus Alternativen, um das gesellschaftliche Modell zu verändern. Die UNAM steht für fortschrittliche Positionen, und López Obrador vertritt sie eher als die anderen Kandidaten. Aber es existiert ein Konsens: Wir werden uns nicht von einem Kandidaten vereinnahmen lassen.
Es ist ungewöhnlich, dass eine Studentenbewegung ein so breit gefächertes Spektrum von Meinungen vertritt und sogar manche den PAN unterstützen. Wie kommt es dazu?
Martínez: Studenten privater und öffentlicher Universitäten haben sehr unterschiedliche Weltsichten, sie kommen meist aus verschiedenen sozialen Verhältnissen. Zudem existieren an den Hochschulen verschiedene Bildungsansätze. In der privaten ITAM wird zum Beispiel nicht die Politische Ökonomie von Marx gelehrt. Die UNAM hat dagegen eine lange Tradition des Kampfes. Es gibt dort viel mehr Diskussionen über ökonomische und politische Modelle.
Es war nicht einfach, Studierende aus den beiden Bereichen zusammenzubringen. Aber letztlich haben wir uns auf ein gemeinsames Ziel geeinigt: Wir wollen verhindern, dass Peña Nieto Präsident wird. Das entspricht der Sorge, die die Mehrzahl der jungen Leute hat. Und zwar nicht nur wegen des Kandidaten, sondern wegen der Struktur, für die er steht. In den 71 Jahren, in denen der PRI das Land regiert hat, gab es immer wieder brutale Repressionen gegen studentische und soziale Bewegungen.
Und was wird »Yo soy 132« machen, wenn Peña Nieto gewinnt?
Acevedo Straulino: Das hängt davon ab, wie er an die Macht kommt. Viele sind der Meinung, dass er das nur mit Betrug schafft, und tatsächlich gibt es ja schon eine lange Geschichte des Betrugs: Peña Nieto hat Televisa finanziert, der PRI kauft Stimmen, Gewerkschafter müssen für die Partei stimmen, weil sie sonst Ärger bekommen. Das passiert – ganz abgesehen davon, ob am Wahltag an den Urnen gefälscht wird. Wir stellen uns deutlich gegen einen Sieg dieser Art. Nach dem 1. Juli wird sich zeigen, wie stark wir tatsächlich sind. Wir werden nicht hinnehmen, dass Peña Nieto durch Wahlbetrug an die Regierung kommt.
In Anlehnung an den sogenannten Arabischen Frühling ist von einem Mexikanischen Frühling die Rede. Ist das ein realistischer Vergleich?
Acevedo Straulino: Das erscheint mir zu optimistisch. Der Kontext ist sehr unterschiedlich. In den arabischen Staaten geht es um den Sturz von Machthabern. Auch wir stehen im Widerspruch zur Politik des Präsidenten Felipe Calderón, wollen ihn aber nicht stürzen – abgesehen davon, dass seine Amtszeit ohnehin zu Ende geht. Von einem Mexikanischen Frühling können wir erst sprechen, wenn wir Ergebnisse vorlegen können. Etwa wenn wir erreichen, dass Peña Nieto scheitert.
Martínez: Klar, die Unterschiede sind groß, aber es gibt auch Parallelen. Die Situation in den arabischen Staaten ist auch nicht mit der in Griechenland zu vergleichen. Manche Bewegungen sind politisch, andere ökonomisch orientiert. Dennoch haben sie etwas gemein: Sie sind der Ausdruck der globalen kapitalistischen Krise. Und das trifft ebenso auf »Yo soy 132« zu.