Beim europäischen Fiskalpakt sind sich im Bundestag fast alle Parteien einig

Sozialabbau leicht gemacht

Die schwarz-gelbe Koalition hat sich mit SPD und Grünen auf die Bedingungen zum europäischen Fiskalpakt geeinigt. Von der rigiden Sparpolitik, die sie der Euro-Zone verordnet hat, musste sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit der Opposition nicht verabschieden.

Auf die Opposition ist Verlass. Man gewinnt fast den Eindruck, dass seit der Bundestagswahl 2009 die schwarz-gelbe Koalition und die rot-grüne Opposition gemeinsam regieren. In Zeiten der Krise demonstrieren die Parteien nationale Geschlossenheit. Auch am Freitag, an dem innerhalb weniger Stunden im Bundestag und im Bundesrat über die Gesetze zum Fiskalpakt und den »Rettungsschirm« ESM abgestimmt werden soll, wird sich daran nichts ändern. Wegen der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und der Zustimmungspflicht der Länderkammer hat sich die Bundesregierung bereits zuvor der Unterstützung von SPD und Grünen versichert, zumindest ging es bei den Verhandlungen um mehr als um bloße Symbolik.
Nach der Einigung mit SPD und Grünen bezogen die Vertreter der Regierung die beiden Oppositionsparteien geradezu generös in ihre Lobreden über die Handlungsfähigkeit der europäischen Führungsnation ein. Volker Kauder, Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, sah in den Verhandlungen zum Fiskalpakt ein Signal des nationalen Zusammenhalts. Rainer Brüderle, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der FDP, sagte, es wäre fatal gewesen, »wenn das wirtschaftlich stärkste Land Europas nicht sichergestellt hätte, dass der Fiskalpakt und der dauerhafte Rettungsschirm ESM den Bundestag passieren könnten«. Angesichts dessen ist es konsequent, dass auch SPD und Grüne den Erfolg für sich reklamieren.

»Das ist unser Sieg«, verkündeten die Sozialdemokraten in ihrer Presseerklärung. Als großen Erfolg wertete die SPD die Selbstverpflichtung der Regierung, sich bis zum Jahresende für eine europäische Finanzmarkttransaktionssteuer einzusetzen. Es wirkt beinahe rührend, dass SPD und Grüne ausgerechnet in der vagen Zusage von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Programme für Wachstum und Beschäftigung in Europa zu unterstützen, eine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Euro-Politik von Merkels Regierung erkennen wollen. »Das ist ein wichtiges Paket, um wegzukommen von einer reinen Sparpolitik«, sagte der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel. Der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, jubelte: »Die Bundesregierung hat sich vom reinen Sparkurs verabschiedet.« Letztlich überwog bei beiden Parteien die Selbstzufriedenheit angesichts der Übernahme nationaler Verantwortung gemeinsam mit der Koalition.
Die Menschen seien das Gezerre leid, man dürfe sich hier nicht verbeißen, sagte Gabriel auf einer Pressekonferenz, bei der auch die Bundesregierung ausdrücklich für ihre Europapolitik gelobt wurde. Und Özdemir hob auf dem Sonderparteitag der Grünen zum Fiskalpakt, der am Sonntag in Berlin stattfand, den »Nachweis der Regierungsfähigkeit« seiner Partei hervor, als hätte es eines solchen noch bedurft.
Als Spielverderber sind lediglich die Linkspartei und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgefallen. Die Linkspartei hat eine Verfassungsklage angekündigt, weil der Fiskalpakt das Mitbestimmungsrecht des Parlaments aushebele und die Gestaltungsmöglichkeiten künftiger Regierungen einschränke. »Ich halte eine Volksabstimmung für zwingend. Alles andere wäre ein kalter Putsch gegen das Grundgesetz«, sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht der Passauer Neuen Presse.
Das BVerfG hat Bundespräsident Joachim Gauck gebeten, die Gesetze zum Fiskalpakt und zum »Rettungsschirm« ESM angesichts der erwarteten Verfassungsklage vorerst nicht zu unterzeichnen. Der Bundespräsident hat bekanntgegeben, dass er dieser Bitte nachgekommen wolle. Mittelfristig dürfte das allerdings lediglich zu einer Verzögerung der Ratifizierung der Gesetze führen, von der Bundesregierung war als Termin der 1. Juli angestrebt worden. Auf die entscheidenden Auswirkungen des Fiskalpakts weist Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, hin: »Wir können keinem Gesetz zustimmen, das die Lebenschancen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner und der Erwerbslosen nachhaltig einschränkt.«

Tatsächlich besteht das Ziel des im März zwischen den Regierungsvertretern der EU-Staaten vereinbarten Vertragswerks darin, verbindliche und dem parlamentarischen Prozess letztlich entzogene Regelungen zu schaffen, die eine strengere Haushaltsdisziplin und eine größere wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Euro-Zone gewährleisten sollen. Zukünftig sollen die öffentlichen Haushalte der Euro-Staaten maximal ein Defizit von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) statt der bisher gültigen Ein-Prozent-Marke erreichen dürfen. Wichtiger als diese Absenkung der Defizitgrenze ist aber, dass bei deren Überschreitung die EU-Kommission berechtigt sein wird, Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, die »automatisch ausgelöst und inhaltlich von der Kommission vorgegeben werden«, wie es im Vertrag heißt. Obwohl geringfügige Ausnahmen bei dieser Regelung vorgesehen sind, soll die Wirtschafts- und Finanzpolitik von Krisenstaaten oder jenen Euro-Staaten, die aus politischen Gründen nicht bereit sind, sich an die Vorgaben zu halten, von der EU-Kommission übernommen werden. Die Grundlage dieser Politik sollen »Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme« sein, die von der EU-Kommission nicht nur konzipiert, sondern auch von ihr überwacht werden sollen. Bei Nichtumsetzung werden Finanzhilfen verweigert und das Auflegen von Staatsanleihen durch die jeweiligen Staaten von der Europäischen Zentralbank (EZB) unterbunden.

Wer noch Zweifel hatte, wozu diese »verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung« dienen soll, findet in den Richtlinien des Vertrages zumindest eine Zielvorstellung. Neben der »langfristigen Stabilität der öffentlichen Finanzen« und der Absenkung der Arbeitslosigkeit will man sich vor allem auf die »Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit« und die Finanzmarktstabilität in Europa konzentrieren. Es geht um die Anziehung und Sicherung der globalen Kapitalströme und die Bildung eines Exportstandortes Europa nach deutschem Vorbild, mit entsprechend geringen Lohnstückkosten und verringerten Sozialtransfersummen. Diese Absicht entspricht auch den Vorgaben des 2010 erarbeiten Strategiepapiers »Europa 2020«, in dem der »Ausbau eines weltweit wettbewerbsfähigen, nachhaltigen Industriesektors« als wesentliche Voraussetzung europäischer Wettbewerbsfähigkeit bezeichnet wurde (Jungle World 18/2012). José Manuel Barroso, der Präsident der EU-Kommission, hatte bereits damals die Programmatik für eine Wirtschaftspolitik, die weniger auf der Souveränität der Staaten beruht, vorgegeben: »Was sich gegenwärtig vollzieht, ist eine stille Revolution, in kleinen Schritten, hin zu einer stärkeren wirtschaftspolitischen Steuerung. Die Mitgliedsstaaten haben akzeptiert – und hoffentlich verstanden –, dass den europäischen Institutionen größere Aufsichtsbefugnisse übertragen werden.« Der Fiskalpakt ist ein weiterer, und bisher sicher der wichtigste Schritt in diese Richtung.
Nach der Erfahrung, dass EU-Verträge gebrochen werden können, scheinen sich die europäischen Führungsmächte zu bemühen, ihre Politik von den nationalen Parlamenten und damit von jeglichem sozialen Druck unabhängig zu machen, um eine bessere »Durchregierbarkeit« (Helmut Kohl) zu gewährleisten. Schon seit geraumer Zeit weisen Kritiker dieser »Postdemokratie« darauf hin, dass »moderne Demokratien hinter einer Fassade formeller demokratischer Prinzipien zunehmend von privilegierten Eliten kontrolliert« würden, wie es die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe formuliert hat. Die Verfassungsklage der Linkspartei gegen die Aushebelung der Parlamentsrechte beruft sich auf diese Kritik. Angesichts dessen, dass sich die Fraktionen in den europäischen Parlamenten – es handelt sich nicht um ein rein deutsches Phänomen – über den Vollzug der kapitalistischen Sachzwänge weitgehend einig sind und dafür ihre parlamentarische Rechte abtreten, kann man, abgesehen von Verzögerungen durch Verfassungsklagen, keine Blockaden erwarten. Solange nicht nur die »Verfälschung der Norm«, sondern auch die »politische Norm (selbst) zur Diskussion und Destruktion« gestellt wird, wie es der Politikwissenschaftler Johannes Agnoli bereits vor über 20 Jahren forderte, besteht die Alternative zum »Sozialabbau-Automatismus« offensichtlich nur in parlamentarisch beschlossenen sozialen Angriffen. Dass sich Europas Eliten auch dabei auf die Oppositionsparteien verlassen werden können, steht außer Zweifel.