Auszüge aus »Ein Seemann in der Fremdenlegion«

Die Hose des Sultans

Der ungarische Romancier P. Howard erzählt abenteuerliche Räuberpistolen von Mördern, Säufern und Sultanen.
Von

Einige Worte über eine Hose, ein Tischtuch, mich selbst und andere dubiose Elemente

1.
Der Türkische Sultan hat sich seit zwei Tagen nicht mehr auf der Straße blicken lassen, weil ihm jemand seine Hose gestohlen hat. Dieses Kleidungsstück ist unverzichtbar, wenn man spazierengehen will. Welche Lehre zieht man daraus? Ich weiß nicht. Doch ist es ganz gewiss, dass sich hinter der Sache lehrreiche Folgerungen verbergen. Wenn man nämlich dem Sultan seine Hose ließe, oder wenn Delle Hopkins besser auf seine Kleidung achtete, dann entwickelte sich das Schicksal einiger Leute völlig anders – ja, sogar das Schicksal eines kleinen Reiches. Derlei Rätsel verbergen sich zuweilen im Hintergrund einer Hose.

2.
Nun aber und in erster Linie einige Worte über mich, den bescheidenen Helden dieses Romans. Ich bin ein frommer Mann, vielleicht deshalb, weil mein Onkel mütterlicherseits Kantor war und ich schon in früher Jugend die Achtung vor den Gesetzen der guten Moral in mich aufsog. Deshalb kann ich mich nur ganz selten dazu entschließen, am Marthatag zu stehlen. Denn Martha hieß meine Mutter, und folglich hege ich für diesen Tag eine große Ehrfurcht. Wundern Sie sich bitte nicht über meine altmodische Moral, doch haben meine Erfahrungen sonnenklar bewiesen, dass ohne Respekt vor bestimmten Grundsätzen und Überlieferungen alle Wege unseres Daseins sich schwer und holprig gestalten, während wir – wenn wir nur für unsere Ideale und Grundsätze zu Opfern bereit sind – selbst über holprige Wege leicht dahingleiten.
All das vermag ich deshalb so klug und gewandt und gleichzeitig ergreifend auszudrücken, weil ich als Kind selbst Kantor werden wollte. Dass es trotzdem anders kam, liegt an der Überredungskunst meines heißgeliebten Vaters. Er war zwar nur ein einfacher Fischer gewesen, hatte mich aber darum gebeten, Matrose zu werden wie sein Vater, sein Großvater und sämtliche Ahnen, unter ihnen auch sein Urgroßvater. Er beschrieb mir die Schönheiten eines Lebens auf dem Schiff und die privilegierte Stellung des Seemanns, und er erwähnte sogar Lord Nelson, der sich seinerzeit auf den besonderen Mut meines Urgroßvaters berief, um zu verhindern, dass man den Alten pfählte. Die sanfte Überredung meines Vaters wäre jedoch ohne Folgen geblieben, wenn er im Verlauf seiner Argumentation darauf verzichtet hätte, mich mit einem Mast so lange zu schlagen, bis ich mich dem Gewicht seiner Beweisgründe beugte und als Schiffsjunge anheuerte.
Die Sehnsucht aber, den Frieden und die Menschenliebe zu verkünden, wärmt meinen Busen heute noch gerade so wie in früher Jugend, als ich noch nichts vom Leben wusste, mit meinen Kameraden spielte und meinen heißgeliebten Vater zur Sanitätsstation begleitete, wenn ihn die Übermacht des Kneipengeschwerls zu Boden gedrückt hatte …
Meine Belesenheit verdanke ich meiner mütterlichen Linie. Die Geschichte der Genoveva war das erste Buch gewesen, an das ich Hand legen konnte und das ich im Laufe der Jahre mehrere Male las. Später kam mir das »Gil Blas« betitelte Werk in die Hände, und in Sing-Sing habe ich die Historie des Schwanenritters Lohengrin gleich zehn Mal überflogen. Diese tiefschürfende Moritat hat mein Denken und Fühlen definitiv geprägt, indem ich die ewiggültige menschliche Moral dieses Werkes begriff: Vergebens machst du ein Geheimnis aus deiner Vergangenheit. Das Weib kommt früher oder später dahinter, und du fliegst wie ein Schwan. Welch weiser und tiefschürfender Gedanke. Auf meine mönchischen Ambitionen führe ich es zurück, dass ich stets gerne in der Zelleneinsamkeit meditiere, und nur wer schon mal Papiertüten klebte, weiß um die tiefe Konzentration, welche dem Tütenkleben innewohnt. So wurde ich der fahrende Verkünder von gegenseitigem Verstehen, Frieden und Liebe. Ich habe einige Prinzipien, an die ich mich unter allen Umständen halte:
1. Meide Zwist und rohe Gewalt.
2. Meide den Streitsüchtigen.
3. Suche, auf deinen Nächsten mit sanfter Überredung einzuwirken.
4. Berufe dich nicht auf Entlastungszeugen, denn was nützt es dir, wenn man deine Bekannten einlocht?
5. Meide den Betrunkenen, und man wird dich in ähnlichem Zustand in Ruhe lassen.
6. Sei nicht eitel und eingebildet, und du wirst klüger und vortrefflicher sein als deine Mitmenschen.
So viel über mich, meinen Charakter, meine Vergangenheit, meine Grundsätze und meine interessante Persönlichkeit.

3.
Der Namenstag meiner Mutter wurde zur Ursache allen Übels. Ich hielt mich gerade im malerischen Oran auf, ohne Anstellung wegen meines gemütsrohen Kapitäns, nachdem ich auf dem Dreimaster namens »Tagesdecke« als zweiter Alkoholschmuggler Dienst getan hatte. Der Kapitän war ein gewalttätiger Kerl, der seine Körperkraft häufig missbrauchte und erbarmungslos zuschlug, ohne zu schauen, wohin. Irgendwann griff mich dieser Unmensch wegen einer Kleinigkeit an und schlug mir mit einer Latte die Nase ein. Denn seine Herzlosigkeit kannte keine Grenzen, wenn er einen quälen konnte. Nur schwer gelang es mir, weiteren Misshandlungen zu entgehen, währenddessen er auf seinem halben Auge blind wurde. Aber seine Rippen rührte ich nicht an. Die brach er sich erst, als er auf der Wendeltreppe in den Schiffsboden stürzte. Dafür konnte ich nichts. Auf anständigen Schiffen bedeckt man Treppenöffnungen mit einer Klappe.
Nach diesem Zerwürfnis konnte ich nicht mehr in Dienst bleiben, und so stand ich dann da mitten in der malerischen Üppigkeit des ausgehungerten Oran, ohne einen Cent, als armer Matrose. Papiere hatte ich auch keine. Meine alte Widersacherin, die Bürokratie, hatte mich dieser wichtigen Seemannsutensilie beraubt. Zum Glück weilten einige meiner Geschäftsfreunde gerade auf freiem Fuß in der Stadt und wohnten als große Verehrer antiker Bildung in einer Zisterne punischen Ursprungs gleich hinter den Außenbezirken. Das erfuhr ich von Delle Hopkins, nachdem wir uns bei einem befreundeten Hehler getroffen hatten. Delle Hopkins war gedrungen, aber nicht dick, und anlässlich einer Meinungsverschiedenheit war ihm etwas ins Gesicht geschleudert worden, so dass seine Nase winzig wurde und ganz rot. Seine Stimme knarrte, als ob er ständig eine ganze Kompanie unter sich hätte, und seine Melone schob er in den Nacken, rauchte außerdem ganz knappe Zigarren, sicher aus zweiter Hand, und war außerordentlich krummbeinig.
Er hatte mich zuerst bemerkt, als ich direkt vor ihm durch den Menschenstrom watete, und schlug mir freundlich auf die Schulter, half mir dann aber wieder auf und klopfte mir den Staub ab.
»Grüß dich, Keule!«
»Delle!« rief ich hocherfreut. »Dich habe ich gebraucht. Habe keine Wohnung, und für das Ölzeug des Kapitäns hat man mir nur zehn Francs bezahlt.«
»Macht nichts, mein Sohn! Keine Bange, Kopf hoch«, sagte er laut und breit, da er immer zuversichtlich war. »Gar kein Problem!«
»Kann ich auf dich zählen?«
»Bist du blöd? Unter Freunden ist das keine Frage.«
»Also?«
»Wir vertrinken deine zehn Francs, und alles andere wird sich geschichtlich entwickeln. Komm!«
So ein Mensch war er. Ein treuer Freund und durch und durch opferbereit. Außerdem ein richtiger Herr. Er heuerte nie als Matrose an, schmiss mit dem Geld um sich und verehrte überaus die Frauen. Von Beruf bereiste er als Privatier die ganze Welt, nachdem ein übereifriger Kommissar wegen seiner Vergangenheit eine ausgedehnte Korrespondenz mit den Behörden der ganzen Windrose geführt hatte. Wir vertranken die zehn Francs und wollten gerade aufbrechen.
»Du! Von den zehn Francs haben wir ja gar nichts für Essen ausgegeben.«
»Pfeif drauf, Kumpel, solange ich bei dir bin. Pass mal auf! Wir gehen zum Türkischen Sultan und essen was.«
Über den Türkischen Sultan habe ich schon anfangs verlauten lassen, dass er seit zwei Tagen nicht mehr auf der Straße war, weil man ihm die Hose gestohlen hatte. Von diesem Umstand ließ uns Delle profitieren. Der Türkische Sultan, der seinen Namen der großen Nase und den überlangen Armen verdankte, lag halbtot in seinem Zimmer, auf einem Schleppkahn. Das Boot war für das Trockendock bestimmt, und um zu verhindern, dass es schon vorher Planke für Planke gestohlen wird, hatte man den Türkischen Sultan als Wächter angestellt. Dafür ließ man ihn dort wohnen und stellte ihm 200 Francs in Aussicht. Aber vor zwei Wochen war er so betrunken, dass ihm, während er schlief, die Hose gestohlen wurde, so dass er sich seitdem nur nachts in der Stadt sehen lässt: in ein buntes Tischtuch eingewickelt, wie Harun Al Raschid, der Kalif.
Dem Türkischen Sultan machte Delle Hopkins das folgende Angebot: Er sei bereit, ihm seine Hose zur Verfügung zu stellen, und zwar auf der Tarifgrundlage maschinenbetriebener Fahrzeuge, das heißt für einen Franc und 45 Centimes die Stunde, oder aber für sieben Francs während des Nachmittags und ein Abendessen für zwei Personen. Der Sterbende zündete eine Zigarette an.
»Teuer«, sagte er. »Vier Francs kannst du haben, aber nur, wenn du auch dein Hemd hergibst.«
Reden wir jetzt nicht von Delles Hemd. Die Bitte des Türkischen Sultans wird erst durch den Umstand nachvollziehbar, dass er gar kein Hemd besaß.
»Für acht Francs leihe ich dir auch noch das Hemd. Wenn nicht, dann nicht.«
Nach einigen auffallend rohen Ehrenrührigkeiten einigten sie sich auf 6,40 Francs, später zu zahlen. Delle übergab die Hose und das beinahe vollständige Hemd. Eines der Ärmel, das sich selbständig gemacht hatte, steckte er in seine Manteltasche. Die Hose war überaus weit und kurz. Der Türkische Sultan eilte davon. Danach setzten wir uns auf das Deck des Kahns. Delle sah mit seinem Tischtuch wie ein Häuptling aus, und so warteten wir.
»Bist du sicher, dass der Türkische Sultan zurückkommt?« fragte ich.
»Da kannst du Gift drauf nehmen.«
»Ist er so anständig?«
»Das … glaube ich nicht … «, antwortete er nachdenklich. »Aber er wird trotzdem zurückkommen. Er hat eine Wohnung hier, und ein Zimmer trägt sich bequemer als eine Hose.«
Traurig, dass sich selbst so kluge Leute wie Delle Hopkins irren können. Über dem Lärm des Hafens von Oran dämmerte es langsam, aber der Sultan kam nicht wieder. Delle betrachtete angewidert die Tischdecke auf seinem Bauch. Er machte den Eindruck eines sorgengeplagten Tisches.
»Ob ihm etwas zugestoßen ist?« ventilierte er.
»Hm … wenn er nach Geld Ausschau hielt und auf frischer Tat ertappt wurde, dann kann es sogar sein, dass er schon einsitzt …«
»Meine Hose!« rief mein Freund verbittert.
Schon bald zog sich der dunkle Himmel sein Sternenkostüm an, der Mond erschien – und auch noch eine Wachtruppe mit Bajonetten.
»Dieser Gauner kommt nicht.«
»Vielleicht doch noch.«
»Ach was! Dieser Frechdachs hat sein ständiges Domizil gekündigt. Nicht die Hose schmerzt mich. Seine Garderobe kann man immer irgendwie auffrischen, aber die Mannesehre … Der Türkische Sultan stiehlt meine Hose. Ich hatte schon mit vielen Gaunern zu tun, und du bist auch ein guter Freund, aber wir haben uns noch nie übers Ohr gehauen … Eine traurige Geschichte.«
»Was sollen wir tun?« fragte ich Delle.
»Kein Problem, mein Alter«, antwortete mein Freund. Und er saß da wie die Kreuzung aus einem Indianerhäuptling und einem Küchentisch.
»Schließlich geht das Leben weiter, und ich werde nicht in dieser Tischdecke alt werden. Zu Hause in der Zisterne wohnen meine alten Mieterfreunde. Du gehst hin und bringst mir eine Hose.«
»Es kann aber auch sein, dass der Sultan noch kommt … «
»Der nicht. Ich habe eine Hose und einen guten Freund für immer verloren. Um die Hose ist es jammerschade, keine sieben Jahre alt. Aber egal. Nicht die Kleidung macht den Mann. Ich werde mich mit einer schlechteren zufrieden geben.«
Wenn Sie je seine Hose gesehen hätten, dann würden Sie sich jetzt vor seiner Genügsamkeit verbeugen.
»Aber … wenn du mir deine Hose leihen würdest«, sagte Hopkins, »könnte ich in einer halben Stunde zu einer Hose kommen.«
Von dieser Idee war ich gar nicht begeistert.
»Sieh mal … ich möchte meinen Freund und meine Hose behalten … «
»Du zweifelst also an meiner Anständigkeit?« sagte er mit schneidend kaltem Spott. »Ausgerechnet du, mit dem ich zwei Jahre in Sing-Sing verbrachte? Mit dem ich das bittere Brot der Gefangenschaft teilte?«
Seine Worte rührten mich sehr, denn sie beruhten auf Tatsachen.
»Delle, mein Herz blutet, aber ich werde mich nicht nackt in die Tischdecke setzen … «
Jemand klopfte gegen die Plankendecke: Es war ein barfüßiger Bursche mit einem Brief.
»Stammt von einem Irren«, sagte er. »Er wurde von jedermann angestarrt, da er bis zu den Knien in einem Elefantenleder steckte … Polizisten mussten die Ordnung wiederherstellen … «
Aus dem Gesagten war klar: Das war der Türkische Sultan, in Delles Hose.
»Was hat er uns zu sagen?«
»Ich musste ihn zu einem Bekleidungsgeschäft begleiten, wo er die Hose gegen eine rote Pluderhose eingetauscht hat.«
Delle heulte auf.
»Was?!«
»Ja. Eingetauscht. Er sagte, er zahlt drauf, als er aber die Pluderhose anhatte, drohte er dem Besitzer mit Prügel und gab ihm kein Geld … Dann schrieb er diese Notiz und schickte mich damit hierher. Man würde mir hier fünf Francs geben und Schnaps … «
Als wir den Jungen verscheucht hatten, rissen wir den Umschlag auf. Folgendes schrieb uns der Türkische Sultan:

Liebe Junks!
Leider habe ich euch unvorhergesehen ein kleinwenig übers Ohr gehauen. Man muss vom Schiff abhauen. Die Besitzer haben nämlig nachts eine große Kiste gebracht. Als ich die stehlen wollte, wo die schon weg waren, die Besitzer, sah ich, dass in der Kiste eine Leich wohnte. Wegen der Bolizei. Das tut mir aber von Herzen leid. Mit einer ganz ausgezeichneten Hochachtung an euch.
Der türkischer

Brenzlige Sache. Eine Leiche auf dem Schiff.
»Renn«, sagte Delle. »Wenn du nicht in einer Stunde zurück bist, springe ich ins Wasser, und ohne Hose kann ich nie wieder an Land.«
Das Vorgehen des Türkischen Sultans war aus mancherlei Hinsicht verständlich, in Anbetracht seiner verzweifelten Lage, aber es war doch gemein von ihm, uns mit einem Toten zurückzulassen.
»Ich gehe … «
»Durch die Avenue Maréchal Joffre, wo du auf jedem Kotflügel die Straße zum Friedhof erreichst. Dahinter liegen die Zisternen.«
»In Ordnung.«
»Hinter der Post kannst du eventuell ein Auto stehlen, so kommst du schneller voran.«
Entsetzt wies ich es zurück:
»Heute? Es ist doch Marthatag?«
»Ja, stimmt. Du bist schwachsinnig … Das heißt, egal, nur mach schnell.«
Ich rannte.

Delle Hopkins bekommt eine Hose, aber sie ist noch schäbiger

1.
Unter den Zisternen hinter dem Friedhof fand ich bald die Wohnung meiner Freunde. Die Altmieter hielten sich gerade zu Hause auf. Es waren Alfons Nobody und zwei seiner ständigen Mittäter. Über Alfons Nobody nur so viel, dass er aus sämtlichen Staaten der Welt für immer ausgewiesen war, so dass er sich seit längerer Zeit nur insgeheim auf Erden aufhalten konnte. Vor allem nachts. Laut Delle war er ein Däne, aber ein Giftmischer aus Guatemala schwor, dass er ein Spanier war, und er selbst bekannte sich als »geburtslandlos«, da ein Eingeborenenkanu seine Wiege gewesen war – in der Nähe von Colombo, und keiner der Anrainerstaaten war bereit, das Kind standesamtlich einzutragen. Getauft wurde er auf einem armenischen Dampfer, doch gibt es den betreffenden Staat gar nicht mehr. Fachleute der Polizei sind der Ansicht, man müsse ihn auf dem Verwaltungsweg auf einen anderen Planeten verfrachten. Ein hübscher Junge ist er, schlank – fast wie eine Frau, mit vornehmen Manieren und großer Kultur. Aber nur wenige benützen das Messer wie er, und sein Kinnhaken verhalf unlängst einem Finanzbeamten aus Suez zu mehrjährigem Schulterzucken, was einige medizinische Fachzeitschriften in längeren Artikeln würdigten.
Alfons Nobody und seine ständigen Mittäter hatten die Zisterne gemütlich eingerichtet. Einem Wanderzirkus hatten sie gegen bescheidenes Entgelt und unter großen Mühen den Vorhang abgeluchst, womit sie den kalten Steinboden bedeckten. Sie schliefen zu dritt auf dem Fahrgestell eines Lastwagens.
»Was gibt’s Neues, Keule?«
»Delle Hopkins erwartet euch sehnlichst auf einem Schleppkahn, vom Scheitel bis zur Sohle in eine Tischdecke gehüllt.«
Ich erzählte ihnen unsere traurige Geschichte. Alfons Nobody fluchte leise vor sich hin. Die beiden ständigen Mittäter lästerten laut.
Der Türkische Sultan wird noch draufzahlen, wenn er denen begegnet.
»Gibt mir schnell was zum Anziehen«, drängte ich.
»Ja, was denn? Hältst du uns etwa für Filmstars? Wer hat hier schon zwei Anzüge?«
»Es kann aber auch nicht sein, dass Hopkins in seiner Tischdecke alt wird!«
»Das wollen wir auch gar nicht. Wir werden jemanden um einen Anzug bitten.«
»Kinder«, ermahnte ich sie sanft, »das muss aber auf anständige Art sein, denn heute ist der Namenstag meiner Mutter.«
»Gut! Wir lassen jemanden vollaufen«, sagte einer der ständigen Mittäter, doch sagte der andere, es sei billiger, den Betreffenden zu züchtigen. Dabei sind sie dann verblieben.
Zum Glück fanden sie in der Hütte der Straßenarbeiter ohne jede Gewaltanwendung eine zerlöcherte Kutte mit Ölflecken. Wir eilten zum Kahn. Es war schon spätabends, gegen elf Uhr. Es lungerte kaum jemand durch die Dunkelheit.
»Welches ist es denn?« fragte Alfons und zeigte auf die Schiffe.
»Das da, hinter dem Kohlefrachter.«
»Ihr steht hier Wache«, befahl er seinen ständigen Mittätern. »Wenn was ist, gebt ihr ein Zeichen. Komm mit, zeig den Weg.«
Als wir oben waren, meldeten wir uns mit einem scharfen Pfiff. Ruhe … Vielleicht war er eingeschlafen, verbittert in seiner Tischdecke … Wir kamen zu der Stelle, wo ich zusammen mit Hopkins gewartet hatte. Es lag nur die Tisch­decke auf dem Boden.
»Es ist unwahrscheinlich, dass er sich davongemacht hat. Er ist nicht der Mann, der ohne Kleidung in einer Großstadt loszieht.«
»Das ist wahr, Hopkins gibt was auf sich. Deshalb gehen wir jetzt nach unten. Vielleicht hat er eine bessere Decke gefunden und ist eingeschlafen.«
Nach kurzem Herumtasten fanden wir den Treppenaufgang, dem ein salziger Fischgeruch entströmte. Alfons Nobody leuchtete mit einer Lampe auf die morschen Rippen des Kahns.
»Da steht die Reisekiste«, sagte ich. »Da ist angeblich eine Leiche drin.«
»Na und?«
»Was weiß man, ob so ein Toter nicht was bei sich hat?«
»Ausgeschlossen, dass er was bei sich hat.«
»Wieso?«
»Sobald du nämlich weg warst, ist Delle nach unten zu der Leiche gegangen, um nachzuschauen. Wenn der Tote noch Kleider angehabt hatte, dann hat Hopkins sie sich angezogen.«
»Das ist trotzdem unwahrscheinlich«, bemerkte ich.
»Wieso?«
»Wenn sich die ausgeschaltete Person in Kleidern befunden hätte, dann hätte der Türkische Sultan nicht in der Tischdecke auf uns gewartet.«
»Das stimmt auch wieder.«
»Dann schauen wir mal nach.«
Wir tappten nach unten, und Alfons knipste seine Lampe an. Ich griff nach meinem Stemmeisen, aber es war überflüssig. Der Deckel hob sich leicht, sie war nicht verschlossen. Alfons leuchtete in die offene Kiste, dann schrie er auf und ließ seine Lampe fallen. Ich selbst dachte, ich verliere den Verstand …
Delle Hopkins lag in der Kiste!
Tot!
»Carràmba!«
Alfons Nobody fluchte. Großen Aufregungen setzte er leise Flüche entgegen, aber es ist irrig zu meinen, dass man daraus auf seine Herkunft schließen könnte. Er fluchte selten zwei Mal in derselben Sprache. Aufgrund seiner Flüche hätte ihn jedwede Nation für sich beanspruchen können. Aber das ist nur ein theoretisches Beispiel, denn man war nicht so scharf auf ihn.
»Du«, flüsterte er. »Keule! … Was … meinst du?«
Ich konnte nichts sagen. Ich stand nur da. Meine Güte … armer … Delle, der feine, fidele Kumpan …
Alfons leuchtete wieder hin. Der Tote war entkleidet. Er war voller Blut, doch war ihm keine Wunde anzusehen; erst als wir ihn auf die andere Seite drehten, bemerkten wir die Schusswunde in seinem Nacken.
»Wir finden heraus, wer das war«, sagte ich.
»So ist es … «
»Und wir werden es ihm heimzahlen.«
»Jawohl … mit allen gesetzlich angemahnten Zinsen … «
Wir standen sehr traurig da. Es gab wenige so wirklich gute, lustige Kumpel auf der Welt wie Delle Hopkins.
»Jetzt wollen wir den Armen erstmal auf anständige Matrosenart bestatten.«
»Ruhe!« sagte Alfons und griff nach meinem Arm.
Ein Geräusch, aber nicht so, wie wenn eine Ratte auf ein Brett springt.
Alfons leuchtete in die Ecke, und … Zwei Sprünge … Ein Schatten läuft auf der Treppe. Hinterher. Alfons fällt um, da wir gleichzeitig springen. Es ist stockdunkel. Die Stufen dröhnen, bevor jedoch der Flüchtende die Klapptür erreicht, erwische ich einen Knöchel, und ich werde wieder in die Tiefe gerissen, wir rollen zusammen, ich greife nach seinem Hals, und als wir unten ankommen, gebe ich ihm einen Faustschlag auf den Schädel, dass es nur so kracht.
Ich bin ein sanfter Mann, aber meine linken Geraden werden auch schon mal an Räuberstammtischen gern und ausführlich erörtert.
»Die Lampe!« keuchte ich. Das Licht ging an.
Unsere Erschütterung war noch größer als eben.
Mit blutigem, aufgeplatztem Gesicht, halb ohnmächtig, saß der Türkische Sultan vor uns auf dem Boden. In roter Pluderhose!

2.
»Jetzt bringt ihr mich natürlich um?« fragte der Sultan.
»Das ist sicher«, sagte ich, aber nur deshalb, weil ich niemanden gern in die Irre führe.
»Es kann aber auch sein«, sinnierte Alfons, »dass wir vorher noch hier und da etwas von dir abschneiden. Ein Ohr, eine Nase und ähnliche Dinge, weil es in diesem Fall kaum eine angemessene Strafe wäre, einfach nur zu sterben.« Der Türke zündete sich eine Zigarette an.
»Es ist so«, sagte er leise, obwohl er ein durch und durch unwirscher Mann war. »An eurer Stelle würde ich auch nichts anderes tun.«
»Hör zu, Türkischer Sultan«, sagte Alfons Nobody, »wer seinen Kumpanen auszieht, später zurückkommt und ihn umbringt, der ist für mich ein größerer Mistkerl als ein Kannibale.«
Und er spuckte ihn an. Dann trat er ihm die Zigarette aus der Hand.
»So geht es auch«, sagte der Sultan und rauchte nicht weiter. Seltsam, dass der laute Türke, der vor nichts Angst hatte, alles gleichmütig über sich ergehen ließ.
»Bevor wir dich töten, musst du uns nur das eine sagen: Warum hast du Delle umgebracht? Hast du ihn gehasst?«
»Ihr würdet mir doch nicht glauben, wenn ich die Wahrheit sage.«
»Raus damit!«
»Ich habe ihn nicht umgebracht!«
Ich gab ihm einen Tritt, dass er auf den Rücken fiel.
»Du feiger, hinterhältiger Mörder!«
Er stützte sich auf und sprach weiter:
»Deshalb wollte ich es nicht sagen. Ich wusste, ihr glaubt es doch nicht. Ich würde es auch nicht glauben. Dass ich aber so feige wäre, habt ihr bis jetzt nicht erlebt.«
Das war richtig. Eine dumme Situation.
»Dann erzähle uns die Sache, wie du sie für wahr hältst.«
Und er begann:
»Ich brachte Delle etwas zum Anziehen, weil ich inzwischen bereut hatte, dass er so hier zurückgeblieben war. Ich fand den Armen aber nicht an Deck. Ich dachte mir, der ist hier heruntergekommen, um Leichenschau zu halten. Ich kam auch herunter und fand ihn in der Kiste, so wie ihr. Zur Flucht hatte ich keine Zeit mehr. Ihr wart schon auf dem Anmarsch. So war es.«
»Wo ist der Anzug, den du geholt hast?« sagte Alfons Nobody.
Der Sultan erhob sich, ging in eine Ecke und zeigte ihnen einige Kleidungsstücke.
»Das ist eine Uniform!« rief Nobody, der das sogar im Dunkeln erkennen konnte.
»Stimmt. Aber es gab nichts anderes. Wozu hätte ich sie geholt, wenn ich nur gekommen wäre, ihn umzubringen?« Und er zündete sich eine Zigarette an.
Wer sollte das wissen! Schwer zu glauben, dass er Delle Hopkins erschossen hatte. Ein Mörder raucht nicht so gelassen im Schatten des Todes, von Alfons Nobody konnte er keine Gnade erhoffen, und ich muss gestehen, dass trotz meiner Sanftmut nicht viele überlebten, wenn ich mal zu Recht entrüstet war. Dieser Alfons Nobody wurde auch schon ein bisschen unentschlossen.
»Man müsste beweisen, was du sagst«, antwortete Alfons nach kurzem Zögern und stellte die Lampe auf eine Kiste, »denn sonst muss ich davon ausgehen, dass wir dich doch noch umlegen.«
Der Sultan warf seine Zigarette weg, und die Glut sprang in weitem Bogen davon. Dann zuckte er die Achseln:
»Ich spucke auf euch.«
So ein Junge war das. Mit einer Hakennase, grauen Haaren und unglaublich langen und mageren Armen. Seine kalten Fischaugen blickten mit verächtlicher Frechheit in die Welt. Was kann ich dafür, dass ich solche Leute mag und schwer töten kann.
»Was regst du dich so auf, was!« schrie ihn Alfons Nobody an.
»Du … «, sagte ich, »ich glaube nicht, dass es der Türke war.«
»Ich glaub’s auch nicht. Aber wenn wir uns irren?«
»Was hast du hier unten gemacht, als wir kamen?« fragte ich.
»Ich war entschlossen, Hopkins zu rächen, und war jemandem auf der Spur.«
»Auf wessen Spur?«
»Des Mörders.«
»Du kennst den Mörder?« fragte Nobody.
»Ich kenne ihn.«
»Wer ist es?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Und wenn ich dich erwürge?« erkundigte sich mein Freund.
»Dann sage ich es erst recht nicht. Ihr dürft mich nur antasten, wenn ich Delle umgebracht habe. Wenn ich es nicht getan habe, dann gehe ich euch nichts an.«
Da steckte eine Menge Wahrheit drin.
»In Ordnung«, sagte ich. »Ich glaube dir.«
»Ich auch«, nickte Alfons Nobody.
»Demnach bin ich kein Gefangener?« fragte der Sultan.
»Nein.«
»Warum hast du mir dann eben«, wandte er sich an Alfons, »einen Tritt auf den Kopf gegeben?«
Und sein langer Arm schwang heraus und schlug meinem Freund so ins Gesicht, dass jeder ausgewachsene Mann halbtot umgefallen wäre. Doch Nobody antwortete auf der Stelle mit einem Kinnhaken.
Da begann eine entsetzliche Schlägerei. Ich denke, Alfons Nobody hätte leicht gesiegt, war er doch der Tollste von allen, die ich im Laufe meiner Weltreisen getroffen hatte, aber er wollte den Türken nicht völlig fertigmachen. Sie fielen um. Vier harte Fäuste sausten in ununterbrochener Folge. Ich störte sie nicht. Es war eine Privatangelegenheit von Gentlemen. Ich betrachtete meinen verstorbenen Freund. In der Kiste. Seine geschlossenen Augen … Der arme Hopkins … Wie friedlich und ruhig sein Gesicht aussah …
Aber was war das?!
Ich sah deutlich, dass sein Gesicht zuckte. Neben der Nase. Heiliger Strohsack! Wir hatten ja gar nicht nachgeschaut, ob er noch lebte!
»Halt!« rief ich den beiden Streithähnen zu und gab Nobody ein paar rege Fußtritte, um ihn zu beruhigen, denn er war gerade dabei, den Kopf des Türken gegen den Boden zu hämmern, wobei er ihn an beiden Ohren festhielt.
»Kinder! Ich glaube, ich sah ein Zucken auf Delles Gesicht. Schauen wir ihn uns an, es könnte doch sein, dass er noch am Leben ist …«
»Hast du sein Herz nicht untersucht?« fragte Alfons Nobody den Türken.
»Ich hatte gedacht … «, keuchte dieser.
Wir rannten zu Hopkins und legten ihn auf den Boden. Alfons presste sein Ohr an sein Herz. Wir warteten aufgeregt.
»Na?«
»Ich höre nichts …« Aber er presste sein Ohr weiter an die Brust unseres toten Kumpels. Dann sagte er endlich: »Könnte sein … manchmal glaube ich, ein Pochen … Und kalt ist er auch nicht … ganz … «
Er zog einen Flachmann aus der Tasche und goss einige Tropfen Rum zwischen die Zähne des bewegungslosen Hopkins, dem ich inzwischen die Brust rieb. Wenn er noch lebte, so verdankte er das nur der Schwere seiner Wunde. Jawohl, genau so war es! Ein Polizeiinspektor aus Singapur erzählte mir einmal, dass kein Mensch bei tiefer Bewusstlosigkeit verblute, da das Blut dann sehr langsam fließe, an der Wunde gerinne und sie so verschließe.
Nach einigen Minuten konnten wir in langen Abständen ein leises Pochen hören …
»Er braucht einen Arzt«, sagte der Türke. »Und zwar einen sehr guten.« Wir legten Hopkins auf ein paar leere Säcke. Dann rannten wir nach einem Arzt … Die beiden ständigen Mittäter wachten geduldig neben dem Schleppkahn.
»Ihr könnt gehen«, sagte Alfons. »Den Rest erledigen wir schon zu dritt.«

P. Howard ist eines von mehreren Pseudonymen des 1905 geborenen ungarischen Schriftstellers Jenö Reich alias Rejtö Jenö. In den dreißiger Jahren wurde er als Autor makabrer Kriminal- und Abenteuergeschichten bekannt, die zum Teil hohe Auflagen erreichten. Er lebte als Schauspieler, Fremdenlegionär und Streuner in vielen Ländern Europas sowie in Afrika. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er von den Nationalsozialisten in ein ukrainisches Arbeitslager deportiert, wo er 1943 erforen ist. Bis heute gehört er in Ungarn zu den bekanntesten Schriftstellern. Die Figur des Seemanns tritt in vielen seiner Romane auf.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus:
P. Howard: Ein Seemann in der Fremdenlegion. Roman. Aus dem Ungarischen von Vilmos Csernohorszky jr. Elfenbein-Verlag, Berlin 2012, 250 Seiten, 22 Euro. Das Buch erscheint dieser Tage.