Über den Streit um das Gebührensystem der Gema

Feiern bis die Gema kommt

Im Streit um das neue Gebührensystem der Gema bilden sich neue Fraktionen in der Musik- und Clubszene heraus. Das ist ganz im Interesse der Politik.

Protest statt Party: Seit der vergangenen Woche scheint sich die Clubszene, vom versteckten Underground-Schuppen bis zur Dorfdiskothek, bundesweit zu verbünden. Der gemeinsame Feind ist dieses Mal nicht die Gentrifizierung, sondern die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (Gema) – und auch die Politik, die die Clubszene zu wenig unterstütze. Die Gema möchte ihr Gebührensystem grundsätzlich umstellen und für die Künstler, die sie vertritt, mehr Einnahmen erzielen. Statt wie bisher pauschal soll nun für die professionelle Nutzung von Musik eine Abgabe erhoben werden, die prozentual von den Eintrittspreisen der jeweiligen Lokalität abgezogen wird. Den Diskotheken- und Clubbetreibern zufolge droht nach dem »Kneipensterben« der vergangenen Jahre nun auch die Schließung zahlreicher Clubs.

Interessant ist an diesem Konflikt, dass die drei Fraktionen, die ihn austragen, zumindest in den Großstädten häufig aus derselben »Kreativszene« stammen: Musiker, Clubbetreiber und -besucher. Während sich schon beim Thema »Raubkopien aus dem Internet« Produzenten und Konsumenten uneins sind, wem denn das »geistige Eigentum« nun gehöre, so entfernen sich die Kontrahenten beim derzeitigen Streit noch weiter voneinander. Die Repräsentanten der »Popkultur« sind darauf bedacht, sich als Inbegriff der urbanen Nonkonformität zu inszenieren, die sich Freiräume erkämpfen gegen die angeblichen Spießer aus dem Mainstream, die etwas auf Sperrstunden und Lautstärkebegrenzungen halten. Bezeichnend an der derzeitigen Diskussion ist, dass die Gema von ihren Kritikern als spießiges, kulturfeindliches staatliches Monstrum dargestellt wird, obgleich sie in Wirklichkeit ja auch die Interessen kleinerer Bands vertritt. Es geht in dem Streit also weniger um einen Konflikt zwischen hedonistischen Kulturfreunden und verstockten Gebühreneintreibern, sondern vielmehr um die materiellen Interessen der verschiedenen Seiten.
Zwar geben sich die Gema-Kritiker vom Bundesverband deutscher Diskothekenbetreiber und vom mächtigen Deutschen Hotel- und Gaststättenverband in der Öffentlichkeit gerne sehr einmütig. In Berlin brachte man in der vergangenen Woche etwa 5 000 Demonstranten »für die Clubkultur« auf die Straße, an der Aktion »Fünf Minuten Musik aus!« am vergangenen Wochenende beteiligten sich Hunderte Diskotheken und Clubs. Das verdeckt jedoch, dass das neue Gebührenmodell die einzelnen Betreiber wirtschaftlich unterschiedlich stark trifft. Manche Etablissements könnten es mühelos verkraften, bei anderen könnte es tatsächlich zur Schließung führen. Neben Berlin steht vor allem Hamburg für die Entwicklung, verschiedener Geschäftsmodelle vom arrivierten Nobelclub bis hin zum politisierten Underground-Laden. Diese verschiedenen Etablissements handeln nicht mehr miteinander, sondern versteckt oder offen gegeneinander, um einen möglichst großen Anteil an Besuchern und städtischer kulturpolitischer Unterstützung zu gewinnen. Diese Konkurrenz ist ganz im Interesse städtischer Kulturpolitik, um Stadtteile neu ausrichten zu können.

»Echt Hamburg«, »hier passt keine Schablone« – unter diesen Mottos wirbt die Hamburg Tourismus GmbH für die »kreativen Quartiere« und das »schillernde Nachtleben« der Hansestadt. Mit dem verruchten Image der früheren Reeperbahn, das Hamburg erst für sein Nachtleben bekannt werden ließ, möchte man indes nicht mehr so viel zu tun haben: »Hier hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge verändert. Eine äußerst lebendige Kneipen- und Clubkultur hat Striplokalen und Pornoschuppen sichtbar den Rang abgelaufen.« Aber auch in anderen Vierteln hat die Subkultur den Werbern zufolge einiges verändert: »Noch vor wenigen Jahren eher ein Problemstadtteil, ist das Schanzenviertel heute ein echtes Szenequartier. Auf der ›Piazza‹ vor der umstrittenen Ruine der ›Roten Flora‹ mischen sich bereits gegen 10 Uhr Kreative aus den diversen Agenturen des Viertels mit Studenten, Musikern und übrig gebliebenen Nachtschwärmern.«
Die Beschreibung dieser »äußerst lebendigen Kneipen- und Clubkultur«, in der die zahlreichen Empfänger von ALG II, Niedriglohnkräfte und Milieucharaktere der Schanze, St. Georgs, Altonas und St. Paulis nicht mehr auftauchen, verdeutlicht den Hintergrund des derzeitigen Gema-Streits. Die Protagonisten der heterogenen »Clubkultur« versuchen, steigende Betriebskosten auszugleichen, um zumindest ihren eigenen Platz in den neuen Szenevierteln behalten zu können. Fragwürdig bleibt, warum das durchaus berechtigte Individualinteresse der »Kreativen« fast immer populistisch als Allgemeininteresse ausgegeben werden muss. Auf diese PR-Strategie, die etwa auch Betreiber von Strandbars in Berlin in der Kampagne »Mediaspree versenken!« angewandt haben, setzen auch diverse Hamburger Kiezgruppen wie »Supra – Reclaim your Viertel!« mit ihrem Aufruf: »Hamburgs Sub-/Club-Kultur darf nicht sterben!«
Der zwiespältige Charakter der »Kreativszene« zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen Gema-Nutznießertum und -Kritik, kommt unverbrämt zum Vorschein in dem auch finanziellen Forderungskatalog »Recht auf Hamburg« des Hamburger Musikwirtschaftsvereins »Rockcity« an die Politik: Hamburg als »Chancenraum« müsse zu einem »kulturellen Abenteuer« werden. »Musikwirtschaft in Hamburg – das bedeutet in erster Linie die herausragende Positionierung von Vermarktern« wie Jan Delay oder Scooter. Im Wettbewerb mit dem kostengünstigen Berlin solle die Politik vor allem »auf die vitalen Impulse aus der Popkultur« setzen, die aus »Clubs, Blogs und Kellerräumen« kämen.

Wie sich zurzeit abzeichnet, wird die urbane Club- und Vergnügungskultur, die früher in Teilen wirklich subkulturell war, in den nächsten Jahren eine grundsätzliche Veränderung erfahren, in deren Verlauf ihre Vertreter trotz aller Beschwörungen und »vitaler Impulse« nicht miteinander, sondern gegeneinander kämpfen. Der Gema-Streit ist nur einer der ersten Vorboten dieser Partikularisierung der Interessen und der wachsenden Konkurrenz. Sie zeigt sich auch in der Zentralisierung von Vergnügungsvierteln, die der Hamburger Verein »Rockcity« etwa als »Kulturzonen« bezeichnet, in der räumlichen Trennung von in den Kiez integrierten, lärmfreien Kneipenvierteln und ausgelagerten Clubvierteln, wie man sie in Berlin im Prenzlauer Berg einerseits und der Gegend um die Oberbaumbrücke andererseits beobachten kann, oder in der Konkurrenz zwischen zahlungskräftigen Kulturbürgern und imageträchtigen, aber nicht kaufkräftigen alten Bewohnern der Viertel. Die Kampagne gegen die Gema-Gebühren kritisiert nicht diese allgemeine Neuordnung der Clubszenen und der Viertel, in denen sie ansässig sind – im Gegenteil: Irgendjemand muss die Rechnung ja bezahlen, wenn die Musik weiterspielen soll.