Mehr Sinn!

In Krisenzeiten sinkt nicht nur der Kurswert vieler Aktien, sondern auch der mancher Ökonomen. So ist nur noch selten von den »fünf Weisen« die Rede, wenn es um den »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« geht. Wer sehr gutwillig ist, mag nun glauben, es erscheine angesichts des völligen Versagens der Ökonomen in der Krise nun selbst wirtschaftsliberalen Journalisten unpassend, von Weisen zu fabulieren. Doch sind wohl andere Gründe ausschlaggebend dafür, dass dem am Freitag voriger Woche erschienenen Gutachten des Sachverständigenrats zur Euro-Krise kaum Beachtung geschenkt wurde. Die Ignoranz ist zwar inhaltlich berechtigt, denn das Gutachten »Nach dem EU-Gipfel: Zeit für langfristige Lösungen nutzen« lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Angela Merkel hat recht. Da die Gutachter auf Vorschlag der Regierung vom Bundespräsidenten ernannt werden, ist ein solches Urteil nicht verwunderlich. Immerhin widmen wenigsten sie sich der von Joachim Gauck gestellten Aufgabe, der nach Belehrungen lechzenden Bevölkerung ausführlich zu erklären, warum Merkel recht hat. Aber wer will das schon so genau wissen?
Die Zeit der Weisen ist vorbei. Weise krakeelen nicht. Der Sachverständigenrat ist das ZDF unter den Wirtschaftsinstituten, ein klassisches öffentlich-rechtliches Gremium. Formal unabhängig, aber staatstragend produzierte es soliden common sense, ohne dass man befürchten musste, jemand würde dort mal eine originelle oder gar kritische Idee vortragen. Das ist öde, gewiss, aber die nun einsetzende Sarrazinisierung der Wirtschaftswissenschaften kann nicht als Fortschritt betrachtet werden. Seit Thilo Sarrazin bewiesen hat, dass ein ehemaliger Finanzbeamter mit strunzlangweiligen Büchern zum populären Bestsellerautoren werden kann, wenn er nur eifrig genug Ressentiments reproduziert, fühlen sich auch andere Ökonomen zum Krakeelen berufen. So kam Hans-Werner Sinn, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung, den »fünf Weisen« mit seinem Aufruf zum Protest gegen die Beschlüsse des jüngsten Euro-Gipfels um einen Tag zuvor. Beim Gipfel sei es den Südländern nur darum gegangen, »an unser Geld zu kommen«, erläuterte Sinn dem Handesblatt, und das gelte es zu verhindern. Fast 200 Ökonomen haben den Aufruf unterschrieben, mittlerweile gibt es aber auch einen Gegenaufruf, und einige besonders flexible Wirtschaftswissenschaftler haben beide unterzeichnet. In jeder Wissenschaft gibt es so etwas wie einen common sense. Auf diesen muss man, insbesondere in der Ökonomie, nicht viel geben. Bemerkenswert ist jedoch, dass Wirtschaftswissenschaftler in aller Welt fast einhellig Merkels rigide Sparpolitik kritsieren, während die deutschen Ökonomen darüber streiten, ob die Kanzlerin nicht noch viel rigider sein sollte. Eine Debatte in solcher ideologischer Ab­geschiedenheit leistet man sich ansonsten nur noch in Nordkorea.