Tanz den Pipi Langstrumpf

Berlin Beatet Bestes. Folge 154. Live aus Herräng, Teil 1.

Herräng ist das größte Swingcamp der Welt. Jedes Jahr kommen Tausende von Swingtänzern aus der ganzen Welt in das idyllische 400-Seelen-Dorf in der Nähe von Stockholm, um fünf Wochen lang an Workshops teilzunehmen, bis in die Morgenstunden zu tanzen und sich von Moskitos zerfressen zu lassen. In diesem Jahr feiert das Tanzcamp bereits sein dreißigstes Jubiläum.
Anfang der achtziger Jahre war der Lindy Hop, der afroamerikanische Tanz schlechthin, bereits tot, bis eine Handvoll Tanzarchäologen, unter ihnen Lennard Westerlund, einer der Initiatoren des Camps, ihn wieder ausgruben. Zunächst dienten nur wenige Videokassetten mit Filmen der dreißiger und vierziger Jahre den Tanzbegeisterten als Vorlage für ihre Wiederbelebungsversuche. Ihr Fokus lag zunächst auf den akrobatischen Figuren, die in den Filmen zu sehen waren. Lindy Hop zu tanzen, war eine hauptsächlich sportliche Angelegenheit. Wieder und wieder wurden die kurzen Sequenzen in Zeitlupe zurückgespult, um die blitzschnellen Schritte der Tänzer zu begreifen. In den Folgejahren wurden Al Minns und Frankie Manning eingeladen, Tänzer, die den Lindy Hop im Savoy Ballroom in Harlem in den dreißiger Jahren miterfunden hatten, um den Schweden die Grundlagen des Tanzes zu vermitteln. Vor allem Frankie Manning, der, nachdem er dreißig Jahre lang Postbeamter gewesen war, als Tanzlehrer über viele Jahre das Camp besuchte, ist es zu verdanken, dass anstelle des rein sportlichen der soziale Aspekt des Tanzes heute wieder im Mittelpunkt steht. Frankie Manning zu Ehren wird sogar eine Straße in Herräng benannt.
Nachdem meine Freundin und ich im vorigen Jahr zwei Wochen in Herräng verbracht hatten, war uns klar, dass wir auch in diesem Jahr einige Wochen unseres Urlaubs hier verbringen würden. Morgens um zehn beginnt meist der Unterricht bei den international besten Swingtanzlehrern. Zwischen den Unterrichtseinheiten gibt es kurze Pausen, im Schnitt tanzen wir aber tagsüber bereits vier Stunden, bevor wir dann abends im »Folkets Hus«, dem Gemeindehaus, auf verschiedenen Dancefloors nochmals einige Stunden tanzen. Fitness und Ernährung sind also wichtig in Herräng. Essen gibt es an jeder Ecke. Alkohol und ausreichend Schlaf sind selten. Trotz aller Anstrengung sind die Tage hier aufgeladen mit Adrenalin und guter Laune. Dazu kommt die unglaublich grüne Landschaft hier an der Ostküste Schwedens. Und da wir fast am Polarkreis sind, wird es nie dunkel. Sonst hätten wir auch Probleme, wenn wir nachts auf unseren klapperigen Damenfahrrädern ohne Licht zu unserem kleinen Pipi-Langstrumpf-Häuschen im Wald radeln.
Ich sitze gerade auf einer kleinen Terrasse eines noch winzigeren schwedischen Ferienhauses, während der Wind zum Glück die Moskitos fernhält. Heute finden am Vormittag keine Tanzkurse statt. Aber um 15 Uhr geht es wieder los. Let’s swing!