Aus dem Hipster-Paradies Portland, Oregon

City of Hipsters

Grün, kreativ und total 2.0: Portland, im US-Bundestaat Oregon, ist eine der angesagtesten Städte der USA.

Mitten in US-Bundesstaat Oregon, direkt am Fluss Willamette, ist Mark Zusman zu Hause. Er ist Chefredakteur und Eigentümer der Willamette Week (), einer Wochenzeitung, die eine Mischung aus Kultur, harter Nachrichtenarbeit und investigativem Journalismus liefert. Im Jahr 2005 hat die Zeitung den Pulitzer-Preis für investigative reporting gewonnen. Ausgezeichnet wurde damals eine Story von Nigel Jaquiss, die nach drei Jahrzehnten zur Aufklärung eines Sexualdeliktes beigetragen hatte, in das ein prominenter Politiker involviert war. Seitdem ist die Willamette Week auch landesweit bekannt.
Die Zeitung versucht seit Jahren, lokale Kultur mit regionaler und nationaler politischer Berichterstattung zu verknüpfen, diesen Spagat meistert sie unter anderem durch eine landesweite Vernetzung. Die Willamette Week gehört zur Association of Alternative Newsmedia (altweeklies.com), einer Vereinigung von mehr als 130 Wochenzeitschriften aus den USA und Kanada, darunter Chicago Reader, Metro Silicon Valley und SF Weekly, mit einer Gesamtauflage von 6,5 Millionen Zeitungen pro Woche.
Die Willamette Week, die selbst auf eine wöchentliche Auflage von 90 000 kommt, ist in vielerlei Hinsicht ein typisches Stadtmagazin, welches die Leserinnen und Leser Portland entdecken lässt und zusätzlich jährlich erscheinende Sonderhefte mit den neusten Kultur- und Lifestyle-Trends aus der Stadt herausbringt. Mark Zus­man ist seit mehr als 25 Jahren dabei. Herausgegeben wird die Zeitung von dem Unternehmen City of Roses News­papers, das auch noch einige andere Magazine und Hefte veröffentlicht.
Die Wweek, wie die Zeitung auch genannt wird, prägt maßgeblich das kulturelle Leben der Stadt. Sie initiierte beispielsweise Großveranstaltungen wie das MFNW, das mittlerweile drittgrößte Indoor-Musikfestival der USA, sowie die dazugehörige Konferenz über Technologie, Startup-Kultur und digitale Kreativität »Portland Digital eXpe­rience«, die in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet.
Das vibrierende Kulturleben Portlands, einer Stadt, die in den vergangenen Jahren umfangreiche Veränderungen erlebt hat, findet sich im Magazin wieder. Portland und der Bundesstaat Oregon insgesamt hatten schon immer eine libertäre Tradition. Daran knüpft die alternative Kultur an, die sich zuletzt hier entwickelt hat.
Mittlerweile erfährt Portland auch außerhalb der USA viel Aufmerksamkeit als Kultur- und Kunstmetropole. Das Pariser Centre Pompidou organisierte dieses Jahr ein Festival mit dem Titel »Keep Portland Weird« und stellte die größte Stadt Oregons in eine Reihe mit europäischen Metropolen wie Berlin oder Istanbul. Im Rahmen des Festivals fanden Ende April im Pariser Theater La Gaîté Lyrique Vorträge, Konzerte und eine Ausstellung über Portland statt.
Mark Zusman, der mit einigen Kollegen das Programm kuratiert hat, wurde dort auch als Redner eingeladen. »Mir kam das schon komisch vor, dass sich so viele Menschen in Frankreich für die Vielfalt und Besonderheiten von Portland interessieren können. Der Saal war voll«, erzählt er, der immer noch überrascht wirkt, wenn er von der internationalen Aufmerksamkeit für seine Stadt spricht.
Über die Gründe für dieses Interesse kann auch der Chefredakteur nur mutmaßen. »Sicher hat die Indierock-Szene die Stadt auf die globale Landkarte der Musikbranche gebracht«, sagt er, »einige dieser Bands sind in Europa sogar populärer als in Portland.«
Ob er hier Sleater-Kinney, Team Dresch, Portugal The Man oder Modest Mouse meint, lässt er offen. Bekannte Namen aus Portland und der Umgebung sind sicherlich Gossip und John McEntire (Tortoise, The Sea and Cake). Vor allem Punk- und Postrock, aber auch viele andere musikalische Spielarten sind beim Festival MFNW zu finden, einer sehr wichtigen Plattform für regionale Bands, die so die Möglichkeit haben, vor einem großen Publikum aufzutreten.

Die Vielfalt der Stadt ist nur zum Teil auf die lebendige Musikszene mit ihren vielen Bars und Konzertorten zurückzuführen. Nicht nur in der Musik gilt Portland als Trendsetter, sondern auch in der Esskultur. Die Tendenz zur gesunden Ernährung hat sich hier sogar in den großen, schwer aufgemotzten Supermärkten etabliert, die eine schier unerschöpfliche Bandbreite an gesunden, regionalen, glutenfreien und veganen Produkten anbieten. Zum Glück gibt es noch Burger-Läden, die dann aber Namen wie »Little Big Burger« tragen, klein und überlaufen sind und meistens Bio-Buletten anbieten.
Sehr stolz sind die Portlander auf die vielen Mikrobrauereien in der Stadt. Allein in der Innenstadt soll es mehr als 30 solcher kleinen Hausbrauereien geben, die ihre eigenen Marken herstellen. Für den härteren Geschmack findet sich an jeder zweiten Ecke eine kleine Schnapsbrennerei.
Technik und Design spielen in Portland ebenfalls eine wichtige Rolle, sowohl für das reale Business als auch für das Image der Stadt. Dass hier die feinsten Fahrradbauer der Welt mit ihren zum Teil sehr teuren und nur in Kleinstauflagen hergestellten Vehikeln (signalcycles.com) nicht fehlen dürfen, hat man sich da schon fast gedacht. »In Portland kauft man sich eher ein Fahrrad für 2 000 Dollar als einen BMW für 30 000«, da ist Mark Zusman sich ganz sicher.
Um diese trendige Atmosphäre in der Stadt geht es auch in der sehr erfolgreichen Fernsehserie »Portlandia«. Durch diese Serie, in der unter anderem die verschiedensten und teilweise grotesken Aspekte der Alternativ- und Hipsterkultur persifliert werden, hat der Hype um Portland einen weiteren Höhepunkt erreicht. Die Serie wird von Carrie Brownstein – ehemals Sängerin und Gitarristin bei der Band Sleater-Kinney – produziert. »An mancher Stelle werden wir etwas mehr gehypt, als wir es verdienen haben«, meint Zusman über »Portlandia«, »aber das ist schon okay.«

Ein Eckpfeiler der neuen Musikszene in Portland ist das Mississippi Studio, eine angesagte Location für Konzerte, die in einem nördlichen Stadtteil rund um die Mississippi Street liegt. Diese Gegend sei ein gutes Beispiel für das »Hipster Entrepreneurship«, wie Zusman es nennt. Dabei handelt es sich um die radikale Aufwertung eines Stadtteils, der noch vor wenigen Jahren als Problembezirk galt. Damit einher gehen die üblichen Konsequenzen der Gentrifizierung: Mietsteigerungen, Verdrängung der ursprünglichen Einwohner und Zuzug der neuen sozialen Schicht des kreativen Prekariats und der klugen Geschäftemacher.
Die Gegend um die Mississippi Street, in der sich schicke Cafés, Bars und Restaurants auf engstem Raum befinden, ist derzeit die angesagteste in der Stadt. »Small Businesses« und »Creatives« sind hier zu Hause, also Menschen, die nicht nur Geld verdienen wollen, sondern für die auch eine gewisse Selbstdarstellung von existentieller Bedeutung ist. Man könnte diesen Stadtteil als amerikanische Version von Kreuzkölln oder als Torstraße 2.0 bezeichnen.
Was diesen Stadtteil bestimmt, fasst Zusman so zusammen: »Handarbeit, Kaffee und das Essen allgemein«. Doch nicht nur die hippen Seiten der Stadt fallen einem sofort ins Auge. An die für den europäischen Besucher ungewöhnlich deutlich sichtbare Obdachlosigkeit kann man sich nur schwer gewöhnen. Dass es hier mehr Arme und Obdachlose als in anderen US-Städten gibt, findet Zusman nicht, obwohl die Stadt viele Dienstleistungen und Unterkünfte zur Verfügung stellt: »Vielleicht herrscht hier einfach mehr Toleranz als in anderen Städten.« Portland habe viele Probleme, sagt er: »Der Hype wird sicher nicht weiter anhalten, aber man lebt hier ja nicht, weil es toll ist, in den internationalen Medien zu sein, sondern einfach, weil die Stadt toll ist.«

Nicht erst durch den Zuzug der Drupal Foundation, einer Stiftung der Content-Management-Plattform Drupal, sieht sich Portland auch als eine Stadt des Open Source. Für viele junge talentierte Softwareentwickler ist Portland auch aus einem anderen Grund interessant: Hier findet jährlich die O’Reilly Open Source Convention statt (Oscon, ), zu der seit 2003 jeden Sommer mehr als 3 000 Besuchern kommen. Die Veranstaltung gilt als eine der wichtigsten Konferenzen der Open-Source-Community. Dazu gibt es kleinere Konferenzen, etwa die Open Source Bridge, die die Vermittlung von Open Source in die Gesellschaft zum Ziel hat und sich an der Schnittstelle zwischen den einfachen Internetnutzern und den Entwicklern oder Technikern bewegt.
Dass die Stadt als Hauptstadt der freien Software gilt, kann also nicht nur auf den Umstand zurückgeführt werden, dass Linus Torvalds, der Finder von Linux, hier in der Nähe wohnt – und der Wweek noch kein Interview gegeben hat. Und nicht nur viele Start-ups nutzen hier Open-Source-Technologien, auch in der Stadtverwaltung wird über die Nutzung von freier Software diskutiert, es scheint hier zum Mainstream zu gehören.
Ähnlich wie in Berlin wird auch in Portland über den Zugang zu freiem W-Lan in der Stadt debattiert. Eine zivilgesellschafltliche Bewegung engagiert sich dafür, den freien Zugang zum Internet in der Stadt zu verbreiten. »Freies W-Lan hat in Portland viel mit dem Selbstbild der Stadt und ihrer Bewohner zu tun«, erzählt Mark Zusman. »Es herrscht hier eine Ethik der Commons, die besonders ist.«
Verglichen mit anderen Städten der USA ist Portland in gewissen Aspekten sehr europäisch. Es gibt vergleichsweise wenige Autos, aber ein gut ausgebautes Nahverkehrsnetz mit Straßenbahnen und Bussen, die in der Innenstadt kostenlos genutzt werden können. Fahrräder bestimmen das Stadtbild und auch die Fußgänger haben es hier gut, denn die Straßenblocks in der Innenstadt sind deutlich kürzer, als es in anderen Städten üblich ist. Oregon hat als erster Bundesstaat der USA die Strände für die Allgemeinheit geöffnet und eine umfassende Planung der Bebauung vorgenommen. All dies mag Bewohnern einer nordeuropäischen Metropole selbstverständlich scheinen, nicht jedoch denen der USA, weshalb das Ansehen Portlands im Rest des Landes sehr hoch ist. Über die Hauptstadt Oregons existieren auch reichlich Klischees und Vorurteile, etwa über die typischen Portlander, die angeblich Dreadlocks tragen, tätowiert, gepierct, Skater oder Vegetarier seien. Dass an diesen Klischees allerdings etwas dran sein könnte, deutet Mark Zusman an: »Viele junge Leute aus dem ganzen Land kommen nach Portland, viele haben keinen Job und fühlen sich gleich willkommen«, sagt er. »Dies tut nicht nur den Zugezogenen, sondern auch der Stadt sehr gut.«
Ob dann auch alle gleich einer der größten Leidenschaften der Portlander verfallen, den Portland Timbers, ist allerdings nicht bekannt. Fast überall sieht man in der Stadt Werbeplakate oder Anhänger der Fußballmannschaft, ein weiteres Beispiel dafür, wie europäisch die Stadt ist. Statt Football oder Baseball, wie es in den USA üblich ist, sind in Portland Basketball und Fußball die Sportarten, die die meisten Zuschauer anziehen. Zwar hat der Fußball hier noch kein europäisches Niveau erreicht, populär ist er trotzdem. Zum letzten Spiel gegen Seattle kamen über 20 000 Besucher ins Stadion – die Timbers gewannen in einer dramatischen Partie 2:1.

Portland gilt inzwischen sogar als internationale Design-Metropole. Fashion und User-Interface-Design sind hier die Schlagworte. Ziba, eine der wichtigsten Design-Agenturen weltweit, kommt aus Portland. Und auch an das internationale Netzwerk der Creative Mornings ist man angeschlossen. Dort werden monatlich kreative Ideen präsentiert und ausgetauscht, Veranstaltungen dieses Netzwerks finden weltweit statt, auch in Berlin.
Politisch wird Portland wird durch die starke Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewegung geprägt. »Gäbe es eine starke nationale Grüne Partei, hätte sie ihre Zentrale in Portland«, sagt Zusman. »Barack Obama hat hier starken Rückhalt und wird wohl nicht so oft im Wahlkampf vorbeikommen.« Insgesamt ist Oregon ein von der Demokratischen Partei dominierter Bundesstaat, zwei Senatoren, vier der fünf Kongressabgeordneten und der Gouverneur sind Demokraten, ebenso wie der Bürgermeister Portlands.
Wie sich Portland jenseits des Hipster Entrepreneurship entwickeln wird, weiß Mark Zusman noch nicht so recht, »aber es wird sicher etwas mit Esskultur, Technologie und kleinen Unternehmen zu tun haben«, da ist er sich sicher. Die Stadt sei zwar kein Paradies, »Kriminalität, Rassenkonflikte, Armut und eine Infrastruktur, die verbessert werden muss, gibt es auch hier, aber man ist ein wenig weniger angeschissen als in anderen Teilen des Landes.« Mark Zusman überlegt kurz: »Berlin soll ja eine der schönsten Städte der Welt sein«, sagt er, »Stephen Malkmus lebt ja jetzt auch da.«