Ein neues Arbeitsmarktprogramm in Berlin

Neues aus der Arbeitswelt

Die Berliner Senatorin für Arbeit, Dilek Kolat, hat ein neues Arbeitsmarktprogramm präsentiert. Es sieht vor, dass auch ehemalige Arbeitslose von den Jobcentern »betreut« werden.

Stellen Sie sich vor, Sie waren eine Weile arbeitslos, haben aber wieder einen Job gefunden oder sind vom Jobcenter tatsächlich in eine sozialversicherte Stelle vermittelt worden. Dennoch können Sie an manchen Tagen nach Feierabend nicht einfach ins Schwimmbad gehen, eine Bibliothek besuchen oder sich um die Kinder kümmern, denn Sie haben einen Termin beim Coach.
Ihr Coach möchte wissen, wie es so läuft im neuen Job. Besteht das Risiko, dass man die Stelle aufgrund seines Verhaltens bald wieder verlieren könnte? Wie man im Team zurechtkommt und ob man sich gut eingefügt hat, interessiert den Coach, auch ob der Chef einen mag und wie es um das pünktliche Erscheinen am Arbeitsplatz bestellt ist: »Was, Sie waren schon zwei Mal unpünktlich bis jetzt? Das geht aber gar nicht!«
Ein anderes Beispiel: Man ist 17 Jahre alt und macht eine Ausbildung zum Koch. Die Arbeitszeiten sind scheußlich, abends wird es oft sehr spät, vormittags besucht man die Berufsschule und auch am Nachmittag hat man keine Freizeit, wenn der Mentor Gesprächsbedarf angemeldet hat.

Was nach dem Szenario für einen beklemmenden Film aussieht, ist ein recht konkreter Plan der Berliner Senatorin für Arbeit, Dilek Kolat (SPD). Sie möchte ehemalige Arbeitslose, insbesondere Langzeitarbeitslose, die wieder in Arbeit sind, bis zu zwölf Monate nach ihrer Arbeitsaufnahme auch weiterhin intensiv von den Berliner Jobcentern betreuen lassen. Kolat nennt es coachen.
Auch Jugendliche mit »Startschwierigkeiten« sollen von sogenannten »Mentoren« durch ihre Ausbildung »begleitet werden«, um die hohen Abbruchquoten zu senken, die es in Berlin insbesondere im ersten Ausbildungjahr gibt. Außerdem sollen Jugendliche aus Berlin eine Ausbildung auch in Brandenburg antreten müssen. All das gehört zu »BerlinArbeit«, einem neuen Arbeitsmarktprogramm, das die Zahl der Arbeitslosen in Berlin auf unter 200 000 senken soll. Obwohl die Frage der Finanzierung noch völlig offen ist, wurde es dem Berliner Senat Anfang Juli vorgelegt.
Die Trennung von Arbeit und Freizeit soll in Zukunft also noch stärker in Frage gestellt werden. Schon derzeit gilt, dass sich Arbeitnehmer mit einem befristeten Arbeitsvertrag und Arbeitnehmer, die ahnen oder befürchten, dass sie ihre Stelle verlieren könnten, bei der Arbeitsagentur melden müssen. Wer die Meldung versäumt, riskiert, wenn die Arbeitslosigkeit tatsächlich eintritt, eine Sperrzeit. Nun sollen auch ehemalige Arbeitslose weiter von der Bundesagentur betreut werden.
Das wirft Fragen auf, nicht nur nach der juristischen Zulässigkeit. Kann ein Mensch, der seinen Lebensunterhalt eigenständig verdient und Steuern zahlt, der Kontrolle durch eine staatliche Behörde unterworfen werden?

Normalerweise unterliegt fast alles, was ein Beschäftigungsverhältnis betrifft, der Schweigepflicht. Es stellt sich die Frage, ob sich das gegenüber einem Coach anders verhält. Auch bei Arbeitgebern könnte der ständige indirekte Kontakt zur Bundesagentur für Irritationen sorgen. Weder Coach noch Mentor ist eine geschützte Berufsbezeichnung. Jede und jeder, der jemandem mit gutem oder schlechtem Rat auch ungebeten zur Seite steht, kann diese Bezeichnung nutzen. Muss man sich coachen lassen, auch wenn man nicht will? Und wen definieren die Jobcenter als Coach, welche Personen wollen sie für diese Maßnahme einsetzen?
Solche heiklen Fragen stellt sich Kolat allerdings nicht. Seit Dezember 2011 ist sie Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen (eine interessante Ressortkombination) des Landes Berlin. Als SPD-Politikerin gehört sie jener Partei an, die gemeinsam mit den Grünen für die derzeitige desolate Arbeitsmarktsituation und für die sogenannten Hartz-Gesetze die Verantwortung trägt. Es war die rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), die es mit ihren Gesetzen zur Reform des Arbeitsmarkts unter anderem möglich gemacht hat, dass Menschen, die 30 Jahre lang gearbeitet haben, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit 18jährigen gleichgestellt werden, und dass Unternehmer einen sozialversicherten Vollzeitarbeitsplatz in mehrere sogenannte 400-Euro-Jobs umwandeln konnten, deren Inhaber dann auf die finanzielle Unterstützung durch die Jobcenter angewiesen sind. Denn seit dem 1. April 2003 ist es möglich, dass sogenannte Minijobber und Minijobberinnen für maximal 399 Euro im Monat wesentlich mehr als die zuvor erlaubten 15 Stunden wöchentlich schuften und dabei in erster Linie auf ihre Altersarmut hinarbeiten.

Es spricht nicht für die Kompetenz der Bundesagentur für Arbeit, dass sie auf ihre derzeitigen Versuche, die Auswirkungen der verfehlten Arbeitsmarktpolitik zu korrigieren, geradezu stolz ist. Unter dem inhaltlich irreführenden und lächerlichen Slogan »Mehrwert schaffen – Minijobs umwandeln« kündigte sie am 18. Juni an, geringfügig Beschäftigte, die zusätzlich ALG I oder ALG II beziehen, sowie deren Arbeitgeber zukünftig gezielt anzusprechen, um aus den Minijobs (wieder) eine sozialversicherte reguläre Beschäftigung zu machen. »Die steigende Zahl an Minijobs zeigt«, hieß es in der dazugehörenden Pressemitteilung der Bundesagentur, »dass ein immer größeres Arbeitsvolumen in dieser Beschäftigungsform geleistet wird«.
Es wird abgewiegelt. Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Agentur, möchte die Minijobs selbstverständlich nicht grundsätzlich kritisieren. Schließlich sollen die Betriebe flexibel bleiben und gerade Langzeitarbeitslose sollen sich dankbar zeigen für diesen »Einstieg in den Arbeitsmarkt«. Einen Einstieg ermöglichen Minijobs jedoch nicht, auch Alt kommt in dem besagten Schreiben zu dem Schluss, der Minijob dürfe sich nicht zur Sackgasse entwickeln. Er weiß aus Erfahrung, dass Minijobber immer wieder in die Arbeitslosigkeit zurückkehren oder erst gar nicht aus ihr herauskommen. Darüber hinaus erwerben sie kaum Rentenansprüche, auf ein Leben mit Minijobs folgt die Altersarmut.
Dem möchte die Bundesagentur nun entgegenwirken. Seit Juni gibt es ein Pilotprojekt in Nordrhein Westfalen. Dort sind die Mitarbeiter der Agentur für Arbeit damit beschäftigt, für etwas zu werben, das vor den Hartz-Reformen oftmals noch ein normaler Arbeitsplatz war: »Speziell geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sprechen gezielt Minijobber und Unternehmen an«, hieß es in der Pressemitteilung, »und werben dafür, Minijobs in Teilzeit- und Vollbeschäftigung umzuwandeln.«
In Berlin hingegen bewirbt Dilek Kolat ihre Idee von Coaching und Mentoring für ehemalige Arbeitslose und »schwierige« Auszubildende. Speziell geschulte Mitarbeiter der Bundesagentur, Coaches und Mentoren sollen bald Arbeitslose, ehemalige Arbeitslose, potentielle Arbeitslose und ängstliche Arbeitnehmer belästigen. Das einzige, was weiterhin fehlt, sind die Jobs.