Ana Lilia Pérez im Gespräch über Korruption in Mexiko

»Die Angst grassiert«

Ana Lilia Pérez ist 36 Jahre alt und eine der bekannten Journalistinnen Mexikos. Für ihre Reportagen und dokumentarischen Bücher über die weitverbreitete Korruption in ihrem Land hat sie mehrere Preise gewonnen, darunter 2005 den Medienpreis des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen und 2009 den als beste investigative Journalistin Mexikos.

Seit dem 26. Juni sind Sie in Hamburg und können sich frei bewegen. Das war in Mexiko nicht mehr der Fall. Was sind Ihre ersten Eindrücke in einem vollkommen fremden Land?
Ich war nie zuvor in Deutschland und bin ein wenig überrascht, wie viel Interesse mir hier entgegengebracht wird. Das tut gut angesichts der Verhältnisse, denen wir Journalisten in Mexiko ausgesetzt sind. Dort muss man lernen, mit dem Druck und den Drohungen zu leben. Hier in Deutschland habe ich hingegen viel Solidarität von den Kollegen erlebt.
So bin ich in Berlin gleich zu einer Sendung der Deutschen Welle über die Wahlen in Mexiko und den Kampf gegen die Drogen eingeladen worden. Das war eine gute Erfahrung. Anschließend bin ich nach München gereist, um an einer Konferenz über den riskanten Weg der Menschen aus Mittelamerika, die über Mexiko in die USA gelangen wollen, teilzunehmen. Auf dieser Route habe ich Migranten begleitet, unter anderem im Zug, und ihre Geschichte aufgezeichnet.
Damals galt es noch, nicht den staatlichen Sicherheitskräften in die Hände zu fallen. Heute grassiert die Angst, von den Kartellen entführt zu werden. Darüber und über die korrupten Beamten, denen Migranten entlang ihrer Migrationsroute ausgesetzt sind, habe ich geschrieben. Die organisierte Kriminalität hat ihren Einfluss in alle Bereiche ausgedehnt.
Besonders groß ist ihr Einfluss im Energiesektor, wovon Ihre Bücher zeugen. Die haben Sie bekannt, aber auch zu einer gefährdeten Person gemacht.
Als ich mich vor zehn Jahren erstmals mit staat­lichen Funktionären traf, machte ich die Erfahrung, dass hochrangige Politiker ihre Finger im Geschäft hatten – darunter auch der damalige Energieminister Felipe Calderón vom konservativen Partido Acción Nacional (PAN). Als Calderón 2006 dann Präsident wurde, wurden Berichte und Reportagen über die Verwicklung der Regierung in die Machenschaften im Energiesektor ausgesprochen brisant. Die politischen Parameter hatten sich verschoben. Damals habe ich die ersten Drohungen erhalten.
Es hat den Anschein, dass kaum ein Bereich der mexikanischen Ökonomie frei von Korruption ist. Täuscht der Eindruck?
Nein, leider nicht. Die Korruption hat mit der Regierung von Felipe Calderón einen weiteren Aufschwung genommen. Das bestätigen auch unabhängige Berichte, zum Beispiel von Transparency International.
Dass Umschläge heute den Besitzer wechseln, wenn man bestimmte staatliche Dienstleistungen beantragt, ist nicht mehr die Ausnahme. Davon sind auch große internationale Unternehmen nicht ausgenommen. So haben mir Manager aus dem Energiesektor erklärt, dass sie keine andere Chance hätten, Geschäfte abzuschließen, als sich dem Procedere zu beugen. Das heißt Umschläge, Prostituierte, Luxuskleidung, Reisen und so weiter werden angeboten, um zum Zug zu kommen. Man darf nicht vergessen, dass der Energiesektor der wichtigste Geschäftszweig in Mexiko ist. Und aus der Perspektive der Investoren ist Mexiko ein attraktives Land, denn hier gibt es Rohstoffe, eine produktive Infrastruktur und gute Geschäftsaussichten. Da wollen viele dabei sein, aber dazu gehört dann auch die Korruption.
Ein wesentliches Problem ist, dass erst etwas passiert, wenn auf internationale Ebene berichtet wird. Berichte auf nationaler Ebene sind für die Regierung kein Grund zu handeln.
Aber die Regierung von Calderón hat doch nicht nur dem Drogenschmuggel, sondern auch der Korruption ganz offiziell den Krieg erklärt.
Das Thema der Korruption ist nicht neu. Seit Dekaden ist die Korruption die größte Geißel des Landes. Lange wurde die Korruption direkt mit der Partei der institutionalisierten Revolution (PRI) verknüpft, die nun an die Macht zurückkehrt. Bereits die erste PAN-Regierung von Vicente Fox, die im Jahr 2000 ins Amt kam, hat die Korruptionsbekämpfung als das oberste Regierungsziel ausgegeben. Gleichwohl gab es damals das Pemexgate, die Wahlkampffinanzierung für den Kandidaten des PRI durch das staatliche mexikanische Ölunternehmen Petróleos Mexicanos über die Erdölarbeitergewerkschaft. Das hatte mafiöse Tragweite, und Vicente Fox gab auch deshalb die Parole der Korruptionsbekämpfung aus. Er wollte an die dicken Fische herankommen, ließ Ermittlungsbehörden gründen, die wirklich gute Arbeit leisteten.
Es wurden Strukturen dokumentiert und aufgezeigt, was in den halbstaatlichen Unternehmen wie Pemex an der Tagesordnung war. Das Gleiche gilt für Stromunternehmen, für die Telekommunikation oder für öffentliche Dienstleister in der Straßenverwaltung, die in private Hände übergehen sollten, wobei oft Umschläge den Besitzer wechselten. Letztlich stellte man in kurzer Zeit wirklich sehr gute Informationen zusammen, aber sie wurden nicht genutzt, um gegen die Korruption vorzugehen. Die Staatsanwaltschaft blieb untätig, es gab Politiker, die mit diesen Informationen Druck ausübten, so eigene Interessen durchsetzen wollten – nicht nur gegenüber dem PRI. So wurde aus einer Regierung, die der Korruption den Krieg erklärt hatte, eine Regierung, die die Korruption tolerierte und zum Teil des Ganzen wurde.
Mit Wissen des Präsidenten?
Ja, die Familie von Vicente Fox profitierte direkt von der Korruption. Ich habe dokumentiert, wie die Kinder des Präsidenten an jedem Vertrag mitverdienten, den die Pemex aushandelte. Es ging vor allem um Offshore-Verträge, und es handelte sich um Verträge über Summen von jeweils mehr als 200 Millionen US-Dollar. Davon gingen zehn Prozent als Kommission an die Präsidentenkinder. Ich habe diese Informationen veröffentlicht, mich dabei auf ranghohe Mitarbeiter von Pemex berufen und einzelne Verträge veröffentlicht, die von den Direktoriumsmitgliedern der Pemex unterzeichnet waren. Das war ein Skandal, und man hat im Parlament eine Kommission eingesetzt, die sämtliche Vorgänge, die ich in meinem Buch »Blaue Hemden, schwarze Hände« beschrieben habe, untersuchen sollte.
Warum blaue Hemden?
Es ist die Farbe des PAN, des Partido Acción Nacional. Ich habe in diesem Buch die Verstrickungen von Vicente Fox und seiner Familie, aber auch seiner Vertrauten beschrieben.
Wie kommen Sie denn an die Leute heran, wie bauen Sie ein Vertrauensverhältnis auf, wie bringen Sie die Leute dazu, Ihnen Dokumente zu überlassen?
Das ist schwierig, und bei der Recherche zu meinem letzten Buch, »Das schwarze Kartell«, wo es nicht nur um Funktionäre im öffentliche Dienst, sondern auch um Gruppen der Mafia, um die Kartelle geht, gab es mehr Angst, mehr Zurückhaltung. Die Recherche war deutlich komplexer und zog sich bei einzelnen Aspekten über Wochen, über Monate, manchmal Jahre hin. Natürlich profitiere ich dabei auch von alten Kontakten, von Tipps und Querverweisen, von Empfehlungen, denn niemand legt Wert darauf, sich und sein Leben auf dem Silbertablett zu präsentieren.
Was bewegt diese Leute dazu, Ihnen Dokumente, Akten, Beweise zu überlassen – Hoffnung auf Veränderung?
Ja, in diesen Strukturen sind nicht alle korrumpiert. Es gibt immer wieder Leute, die auf den großen Knall hoffen, auf den Wandel, auf ein Ende, denen es etwas ausmacht, dass die größten Unternehmen Mexikos in der Korruption gefangen sind. Dass sie kaputtgehen oder bleibenden Schaden nehmen. Pemex ist ein spezieller Fall für die mexikanische Gesellschaft, denn der Konzern ist ein Kleinod Mexikos – mit vielfältigen Strukturen. Dazu gehören auch Gewerkschafter, die nicht immer dem zustimmen, was da oben passiert.
Gibt es Grund zur Hoffung nach diesen Wahlen in Mexiko?
Sehr wenig, aber nicht nur, weil der PRI nun wieder an der Macht ist. Ich habe nur wenig Hoffnung, weil ich wenig Vertrauen in die Parlamentarier habe. Unter ihnen befindet sich beispielsweise der nationale Führer der Erdölarbeiter, Carlos Romero Deschamps. Dieser Mann hat eine korrupte Struktur aufgebaut, die ihresgleichen sucht.
Droht die Wiederauferstehung der alten PRI-Strukturen?
Ja, das befürchte ich, auch wenn der neue Präsident gesagt hat, dass er nicht für den alten PRI steht. Er hat aber viele der alten Politiker in seiner Riege.
Sie sind mit einem Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte quasi aus Mexiko geflohen.
Ich habe im November 2011 »Das schwarze Kartell« veröffentlicht, und das Buch schlug hohe Wellen. Es wurde viel darüber geredet, es kamen Drohanrufe, und als wir eine Buchvorstellung in einer Erdölregion machten, hat man uns überfallen, die Scheiben unseres Autos eingeschlagen und die Bücher gestohlen. Letztlich habe ich das Glück gehabt, dieses Stipendium zu bekommen. Mein Vorteil ist es, dass mein Fall sehr gut dokumentiert ist, unter anderem von der Interame­rikanischen Kommission für Menschenrechte. Deshalb wurde ich nominiert. Für mich kam dieses Stipendium in einer sehr wichtigen Zeit. So hatte ich die Wahl, konnte die Entscheidung treffen, das Land zu verlassen und in Frieden zu leben.