Boom, Krise und Protest – Autoarbeiter in Indien und Europa

Die Freude am Fahren vergeht

In Indien boomt die Autoindustrie. Die schlechten Arbeitsbedingungen haben in Manesar für gewaltsame Proteste gesorgt. Im deindustrialisierten Europa ist davon nichts zu spüren.

Zu heftigen Auseinandersetzungen kam es Mitte vergangener Woche in einer indischen Fabrik des Autoherstellers Maruti Suzuki in Manesar, in der Nähe Neu Delhis. Fast 100 Manager wurden dabei verletzt, ein Personalmanager wurde tot in einem ausgebrannten Teil der Fabrik aufgefunden. 91 Beschäftigte wurden verhaftet und für zwei Wochen in Untersuchungshaft gesteckt, sie werden unter anderem des Mordes und der Plünderung verdächtigt. Auslöser der Unruhen war nach Angaben der dortigen Gewerkschaft ein Streit zwischen einem Beschäftigten und seinem Vorarbeiter, der ihn schlecht behandelt und als Angehörigen der Kaste der »Unberührbaren« beleidigt haben soll. Der Beleidigte selbst oder ein anderer Arbeiter, darüber gehen die Medienberichte auseinander, schlug den Vorarbeiter und wurde deswegen suspendiert. Seine aufgebrachten Kollegen schlossen daraufhin die Tore der Fabrik, plünderten Büros und verprügelten die Manager.

Der Umsatz der indischen Autoindustrie steigt stetig. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden 1,5 Millionen Autos neu zugelassen, ein Zuwachs um 13 Prozent. Indien rangiert damit knapp hinter Deutschland und Brasilien auf Platz sechs der größten Automärkte der Welt, noch vor Russland. Die Kehrseite dieser schnellen Entwicklung sind schlimme Arbeitsbedingungen. In dem Werk in Manesar arbeiten die Beschäftigten nach Angaben von Le Monde an sechs Tagen pro Woche acht bis zwölf Stunden. Der Durchschnittslohn für einen Arbeiter beträgt umgerechnet 150 Euro, wozu bis zu 120 Euro Zuschläge kommen können. Mehr als 50 Prozent der Beschäftigten sind Zeitarbeitskräfte, die diese Zuschläge nicht bekommen. »Während unserer 30minütigen Mittagspause haben wir gerade einmal Zeit, uns in der Schlange vor der Kantine anzustellen. Wir müssen auf dem Rückweg essen und haben nur das Recht auf zwei weitere Pausen von je siebeneinhalb Minuten«, schilderte ein Arbeiter einem Korrespondenten von Le Monde seine Arbeitsbedingungen. Im vergangenen Jahr kam es bereits zu drei Streiks. Gefordert werden die Integration der Zeitarbeitskräfte und höhere Löhne.

In Europa verzeichnet die Autoindustrie hingegen eine verschärfte Absatzkrise. Peugeot will 8 000 Beschäftigte entlassen, Fiat ein Werk bei Neapel schließen, bei Opel ist die Schließung des Werks in Bochum erneut im Gespräch. Seit fünf Jahren schrumpft der Absatz auf dem europäischen Automarkt, dieses Jahr vermutlich um sieben Prozent. Insbesondere die wachsende Massenarbeitslosigkeit unter jüngeren Leuten ist dafür verantwortlich. »Eine ganze Generation droht der Autoindustrie als Käufer verlorenzugehen«, hieß es jüngst in der FAZ, die einen »Flächenbrand« in der europäischen Autoindustrie konstatiert. In Frankreich sei die Anzahl der Beschäftigten in der Autoindustrie zwischen 1980 und 2010 um mehr als die Hälfte auf rund 230 000, in Italien um mehr als 40 Prozent auf etwa 170 000 zurückgegangen, während sie in Deutschland leicht auf gut 736 000 Beschäftigten angestiegen sei. Die deutsche Autobranche entgeht also zunächst der Deindustrialisierung, die in Europa offenbar zur Regel wird. Die festangestellten Autoarbeiter in Europa verdienen vergleichsweise gut. Das hinderte sie früher nicht daran, oft harte Konflikte mit den Unternehmern auszutragen. In der derzeitigen Krise ist davon allerdings bislang nichts zu spüren.