Ein Porträt der Menschenrechtsaktivistin Berta Cáceres aus Honduras

Familienangelegenheit

Bertha Cáceres ist für das Regime in Honduras eine unerwünschte Person: Frau, Indigena und Oppositionelle. Ständig wird ihr von anonymen Anrufern mit dem Tod gedroht. Doch sie zeigt kaum Angst und kämpft weiter für Demokratie und gegen Staudämme.

Es ist wie der Besuch eines ungeliebten Bekannten, der plötzlich wieder auftaucht, obwohl er nicht eingeladen ist. Jemand, der sich nicht abschütteln lässt und von der Seele Besitz ergreift. Angst und Bedrohung begleiten Bertha Cáceres, solange sie denken kann. Doch seit dem Putsch vor drei Jahren ist es besonders schlimm. »Meine vier Kinder sind in Sicherheit«, sagt sie erleichtert. »Nach all den Drohungen habe ich sie ins Ausland geschickt. Sie fehlen mir sehr.«
Die Drohungen am Telefon, die anonymen Zettel unter dem Scheibenwischer, die körperlichen Übergriffe der Polizisten haben Erinnerungen in ihr wach werden lassen. An ihre Mutter Bertha, die während der Diktaturen in Honduras überwacht und drangsaliert wurde. An ihre Brüder Carlos und Francisco, die vom Militär verschleppt und gefoltert wurden.
Auch Bertha Cáceres hat einflussreiche Feinde. Als Koordinatorin von Copinh fordert sie die großen honduranischen Energiekonzerne, deren globale Geschäftspartner und sogar die umstrittene Regierung des Landes heraus.
Copinh ist die Abkürzung für »Ziviler Rat der indigenen Basisorganisationen in Honduras«. Cáceres hat den Dachverband vor fast 20 Jahren mitbegründet, der mittlerweile etwa die Hälfte der rund 100 000 Nachfahren der honduranischen Ureinwohner vertritt. Anfangs organisierte sie den Widerstand gegen die illegale Abholzung. »Wir haben damals mehr als 30 Holzfirmen aus prächtigen Pinienwäldern rausgeworfen«, erzählt sie und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Nicht immer ganz legal«, gibt sie zu, aber immerhin. Der Einsatz gegen Staudämme auf indigenem Boden wird sich in den folgenden Jahren als schwieriger erweisen.

Der Regen ist stärker geworden. Schwere Tropfen fallen auf das Wellblechdach. Im Büro von Bertha Cáceres hallt der Aufprall metallisch nach. Es ist Regenzeit, und für einen Moment scheint es, als ob die Zentrale von Copinh in der kleinen Stadt La Esperanza im Schlamm versinken könnte.
Seltsamerweise ist der Regimegegnerin die Angst nicht anzumerken, mit der sie, wie auch andere Oppositionelle in Honduras, leben muss. Fast schon routiniert spricht Bertha von Freunden, die spurlos verschwunden sind, von getöteten Kollegen. Auch verhärtet wirkt sie nicht. Die braunen Augen blitzen wach, die Gesichtszüge sind entspannt, sie sieht jünger aus als 41. Sie wirkt zufrieden, auf jeden Fall nicht wie ein Opfer.
Vielleicht ist es so, weil es für Menschen wie sie nicht immer möglich ist, Schmerz zu zeigen. Weil ihr gar nichts anderes übrig bleibt, als den Albtraum aus Gewalt und Tod auszublenden, um nicht verrückt zu werden. Vielleicht erlaubt sie sich keine Angst, um den Einschüchterungsversuchen des Militärs zu trotzen. Vielleicht. Fragen darüber weicht sie aus.
Der Albtraum ist längst Teil des Lebens vieler Menschen Honduras. Seit dem Putsch gegen den liberalen Präsidenten Manuel Zelaya sind sieben Aktivisten von Copinh umgebracht worden. Die insgesamt mehr als 300 politischen Morde verlieren sich zynischerweise fast in der Statistik, Honduras ist das Land mit der höchsten Mord­rate weltweit, vor dem Irak und Afghanistan.
Eine von Berthas Töchtern befand sich in unmittelbarer Nähe, als in der Hauptstadt Tegucigalpa eine Bombe in einem Gewerkschaftsgebäude explodierte. Die Drohungen gegen sich lässt Bertha Cáceres nicht an sich heran, ihre Kinder hat sie in Sicherheit gebracht. Sie lebt jetzt alleine mit ihrer Mutter.

Bertha stammt aus einer indigenen Familie aus der Bevölkerungsgruppe der Lencas. Ihre Mutter arbeitete als Krankenschwester und Hebamme, zu einer Zeit, als es in La Esperanza noch keine Ärzte gab. Sie hat nicht nur ihren Namen an die Tochter weitergegeben, sondern auch den Mut und die Unerschrockenheit.
Weil viele Ärzte aus der Hauptstadt, die nach La Esperanza kamen, aus rassistischen Gründen keine Indigenas behandelten, war das Haus, in dem Bertha Cáceres aufwuchs, stets voller Menschen, die auf eine medizinische Untersuchung warteten. »Die Erfahrung, dass Frauen stark sein können, hat mich geprägt«, sagt sie. Die Großmutter erzählte ihr von der Geschichte der Lencas, die Mutter berichtete von weiblichen Vorfahren in der Familie, die angesehene Heilerinnen waren.
Nach vielen Auseinandersetzungen ließ sich Berthas Mutter von ihrem Mann, einem ehemaligen Militärangehörigen, scheiden. Danach widmete sie sich vollständig der Arbeit in sozialen Bewegungen. An ihrer Seite war immer die Tochter. Die kleine Bertha lernte früh, was es bedeutet, die falsche Hautfarbe und die falsche Meinung zu haben: »Mit acht Jahren wusste ich genau, was ich in der Öffentlichkeit sagen durfte, und worüber ich zu schweigen hatte«, erinnert sie sich. Weil ihre Mutter in der Opposition gegen die Militärdiktaturen aktiv war, stand die Familie unter Beobachtung.
Einer ihrer Brüder, Francisco, wurde von Soldaten entführt und gefoltert, damit er gegen seine Mutter aussagt. Jeden Sonntag forderte die Familie vor dem Gefängnis seine Freilassung, sechs Monate lang. Als er wieder frei kam, war er seelisch gebrochen. Er verließ Honduras ohne Papiere und ging in die USA.
Berthas anderer Bruder, Carlos, wurde mit 1 000 jungen Männern aus der gleichen Bevölkerungsgruppe vom Militär zwangsrekrutiert und in eine Kaserne nach Tegucigalpa verschleppt. Zwei Jahre lang wurde er als Fallschirmspringer ausgebildet. Dann gelang ihm die Flucht.
Anders als für die hellhäutigen Stadtbewohner ist die blutige Eroberung durch die Spanier für die Lencas mehr als eine geschichtliche Epoche. »Seit der conquista gilt in Lateinamerika eine Hierarchie, die den Wert eines Menschen an seiner Hautfarbe abliest«, sagt Bertha Cáceres. »Wir dunkelhäutigen Indigenas stehen ganz unten.«
30 Augenpaare sind auf sie gerichtet. In dem kleinen weißgetünchten Haus aus Lehm liegt der Geruch von Maistortillas in der Luft. »Für die Lencas sind die Flüsse heilig«, sagt Bertha Cáceres vor den Bewohnerinnen und Bewohnern der Gemeinde San Francisco de Opalaca. »Wer von der Natur nimmt, muss ihr etwas zurückgeben. Ein Staudamm ist für uns ein unvorstellbarer Eingriff.«
Mitte der neunziger Jahre wurden die Pläne für den gigantischen Staudamm bekannt. Die Bewohnerinnen und Bewohner von San Francisco de Opalaca organisierten sich bei Copinh. Drei Präsidenten ignorierten die Ablehnung der Bevölkerung, bis Präsident Zelaya den Bau von El Tigre stoppte. Doch es war nur ein kurzfristiger Sieg, nach dem Putsch vor drei Jahren wurden die Pläne erneut aufgegriffen.
»Seit 500 Jahren kämpfen wir gegen den Diebstahl unseres Landes.« Bertha Cáceres hebt ihre Stimme. »Einst gegen die spanischen Eroberer, heute gegen den Verkauf der Wälder und die Vertreibung von Menschen für große Staudämme.« Rollen die Bagger erst einmal, dann werden die Dörfer geflutet und die Tiere von den Wassermassen in den Tod gerissen. Die Menschen verlieren ihre Häuser. Wer nicht verkauft, wird gezwungen, die Grundstücke zu verlassen, auf denen viele Familien seit Generationen leben.
Der Strom, den El Tigre später erzeugen würde, soll in den Tagebau fließen. Für die Ausbeutung von Gold und Silber plant die Regierung ein neues Gesetz. Ungeachtet dessen, dass schon der Bau des Staudamms illegal ist, da er das von der UN festgeschriebene Mitspracherecht von indigenen Gemeinden bei Projekten auf ihrem Land verletzt.

Nach ihrer Rede beugt sich Bertha Cáceres zu einer alten Frau hinunter und nimmt sie in den Arm, Doña Pasqualita geht ihr gerade einmal bis zu den Schultern. Es sind zwei Generationen von indigenen Frauen: die Alte vom Dorf, die spirituelle Heilerin, die um die Wirkung der Kräuter weiß, obwohl sie nicht lesen und schreiben kann, die noch nie ein Paar Schuhe besessen hat, und die Junge aus der Stadt, gebildet und wortgewandt, die Rädelsführerin mit Smartphone, die Politische in Treckingschuhen.
Die beiden kennen sich seit 15 Jahren. Damals stand Doña Pasqualita vor dem Büro in La Esperanza. Sie berichtete Bertha Cáceres besorgt von El Tigre, und dass die Männer der Gemeinschaftkeine Alternative zu einer Kooperation mit der Regierung sahen. Die Frauen hatten sich dagegen ausgesprochen, das Land kampflos zu verlassen, und die Heilerin mit dem faltigen Gesicht geschickt, um Copinh um Unterstützung zu bitten.
In den folgenden Jahren spielten die Indigenas nach ihren Regeln. Sie riegelten das Gebiet ab und warfen die Ingenieure von El Tigre heraus. Als der neu gewählte Präsident Manuel Zelaya im Jahr 2005 erklärte, das Staudammprojekt weiterführen zu wollen, lud ihn Bertha Cáceres dazu ein, das Gebiet zu besuchen. Begrüßt wurde er nicht gerade freundlich von rund 7 000 Demonstrantinnen und Demonstranten. Noch vor Ort versprach Zelaya, den Bau nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen.
Bertha Cáceres ist eine Zumutung. Als Frau, als Indigena und als Regimegegnerin. Auch sich selbst mutet sie eine Menge zu, in dem kleinen mittelamerikanischen Land, das widersprüchlicher kaum sein könnte. Dass sie ihre Rolle mit einem Lächeln annimmt, ändert nichts daran, dass sie in großer Gefahr schwebt. Es ist eine Sache, als Anführerein einer bedeutenden Opposi­tionsgruppe dem in der Gesellschaft tief verankerten Machismo zu trotzen. Eine andere Sache ist, die Verachtung der hellhäutigen Mehrheitsgesellschaft zu ertragen. Doch es zeugt von Chuzpe, sich mit dem Regime und den Konzernen in Honduras anzulegen, die ihre Interessen im Zweifel mit der Waffe durchsetzen.
Einem Regime, dem Menschenrechtler vorwerfen, einen schmutzigen Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen, ausgeführt von Polizei, Armee und paramilitärisschen Gruppen. Mit Präsident Porfirio Lobo Sosa an der Spitze, der als Sieger aus der Wahl nach dem Putsch hervorgegangen ist, einer Wahl, die nicht frei war, weil sie von den Putschisten organisiert worden war.

Wie nah Honduras politisch an Deutschland liegt, zeigte sich für Bertha Cáceres in den folgenden Monaten. Während die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die USA ungewohnt einstimmig den Putsch verurteilten, feierten der Mittelamerika-Repräsentant der der FDP nahestehenden Friedrich-Naumann-Stiftung ihn als »Rückkehr zu Rechtsstaat und Verfassungsmäßigkeit«. Christian Lüth ist mittlerweile aus Honduras abgezogen worden. Nicht etwa aus diszi­plinarischen Gründen, sondern weil ihn Parteifreund und Minister Dirk Niebel ins Entwicklungshilfeministerium berufen hat. Die Bundesregierung leistet an die international weitgehend isolierte Regierung in Tegucigalpa Entwicklungshilfe in Höhe von 47 Millionen Euro. Staatssekretär Jürgen Beerfeltz (FDP) erklärte in Honduras, dass er seinen Besuch als »internationales Signal« für andere Länder verstehe.
Während Oppositionelle wie Bertha Cáceres um ihr Leben fürchten, unterzeichnete die Europäische Union ein weitreichendes wirtschaftspolitisches Assoziierungsabkommen mit Honduras. Über ihr PASS-Programm versucht sich die EU zudem mit 44 Millionen Euro an der Reform des dortigen Sicherheitsapparats. »Ob den Männern in Brüssel klar ist«, fragt sich Bertha Cáceres, »dass ein Großteil des Geldes an diejenigen geht, die für Terror und Straffreiheit mitverantwortlich sind?« Die ehemalige Präsidentin des Zentralamerikanischen Parlaments, Gloria Oqueli, fand deutlichere Worte: »Die EU macht sich zur Komplizin der Barbarei in Honduras.« Die Anführer des Putsches aus Armee, Justiz und Parlament leben bis heute unbehelligt.
Ihr größter Erfolg gelang Bertha Cáceres und Copinh im Jahr 1994. Damals besetzen sie das Parlament in der Hauptstadt Tegucigalpa. Sie wollten erreichen, dass die Regierung endlich die Rechte der indigenen Bevölkerung anerkennt.
Von den Abgeordneten wurden die Lencas freundlich begrüßt. Die Nachfahren von Lempira, der Honduras gegen die Spanier verteidigt hatte, seien immer herzlich willkommen. »Sie haben uns als Folklore-Einlage betrachtet«, erinnert sich Bertha Cáceres. »Als wir unsere Forderungen vorlegten, ist ihnen die Kinnlade heruntergefallen und sie beschimpften uns als dreckige, aufmüp­fige Indios.« Elf Tage und Nächte blieben sie, auf den Gängen des Parlaments kochten sie ihre Bohnen auf traditionelle Weise mit Feuerholz. Dann lenkt die Regierung ein und unterschrieb den Paragraphen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, eines UN-Gremiums. Er garantiert den indigenen Gemeinden Land- und Mitspracherechte. Doch die folgenden Regierungen hielten sich nicht daran, ob beim Verkauf von Wäldern, der Verpachtung von Flüssen oder eben bei Staudammprojekten.
Manuel Zelaya brach mit dieser Tradition, als er im Parlament den Baustopp von El Tigre verkündete. »Wir begannen, in ihm einen Verbündeten zu sehen«, sagt Bertha Cáceres. Als die Aktivisten von Copinh eine verstärkte Militärpräsenz beobachteten, warnten sie den Präsidenten, der sich mit den Eliten angelegt hatte. Vier Tage später wurde Zelaya im Morgengrauen von der Armee im Schlafanzug nach Costa Rica entführt. Bertha Cáceres und drei ihrer Geschwister wurden inhaftiert. Seitdem sind Angst und Bedrohung wieder ihre regelmäßigen Begleiter.
Der Regen wird schwächer. Ein Radiosender meldet, dass zwei Mitarbeiter von Copinh einen auf sie verübten Anschlag überlebt haben. Bertha Cáceres fährt den Geländewagen schweigend durch die Nacht.