Universalia ante rem

Wehe euch, ihr Kleingläubigen! Um gegen das Titanic-Titelbild vorzugehen, das den Papst mit einem gelblichen Fleck auf der Soutane zeigt, wandte sich der Klerus, obwohl Frankfurt am Main der Sitz der Titanic-Redaktion ist, an das Landgericht Hamburg. Warum? Weil dessen Richter bekannt dafür sind, das Presserecht restriktiv auszulegen. Etwas mehr Gottvertrauen sollte man schon erwarten dürfen, aber es kommt noch schlimmer. »Der Heilige Vater beauftragt Sie, gegen die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte vorzugehen«, heißt es im Schreiben des Erzbischofs Angelo Becciu an den Anwalt. Explizit klagt also Benedikt XVI. Joseph Ratzinger ist eine Person bürgerlichen Rechts, doch kann er sich nicht beklagen, denn der Fleck war auf der Arbeitskleidung des Papstes zu sehen. Benedikt XVI. aber ist kein Künstlername wie Rocko Schamoni, vielmehr verdankt sein Träger das Amt göttlicher Inspiration der Konklavemitglieder. Er repräsentiert Gott, personifiziert den Heiligen Stuhl und ist somit Subjekt des Völkerrechts, könnte also vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag klagen oder Deutschland den Krieg erklären. Ein gewöhnliches Gericht anzurufen, ist jedoch eine Herabwürdigung des Papstamtes und somit Ketzerei. Doch wo ist die Inquisition, wenn man sie mal braucht?
Selbst wenn man davon ausgeht, der gelbliche Fleck symbolisiere Urin, müsste die Angelegenheit überdies zumindest im Lichte des theologischen Universalienstreits betrachtet werden. Universalia ante rem: Die allgemeine Idee geht den konkreten Dingen voraus und ist das eigentlich Reale – ohne Zweifel liegt diese Ansicht der Klage zugrunde. Denn konkret ist weder der Klagegrund, der Fleck, der ja per Photoshop appliziert wurde, noch der Kläger. Es klagt die Idee des Papsttums, die Kirche wünscht aber ein Urteil entsprechend der heute gängigen nominalistischen Auffassung, der zufolge die allgemeinen Begriffe nur Abstraktionen sind. Der Urinfleck soll also für real erklärt werden, um dann als Idee verurteilt werden zu können – eine theologisch unhaltbare Position. Vielmehr darf nur die Idee des Urinflecks, also der Inkontinenz, Gegenstand der Betrachtung sein. Es gibt in den Augen Gottes nichts Niedriges, gedenke des Todes, die Mühseligen und Beladenen werden erquicket werden – gleich mehrere christliche Lehren haben in diesem Titelbild einen ergreifenden Ausdruck gefunden. Was den Törichten als banaler Streit um »Persönlichkeitsrechte« – übrigens eine Erfindung gottloser Franzosen – erscheinen mag, ist in Wahrheit ein Gleichnis. Wie im Fall des barmherzigen Samariters lässt Gott einen Ungläubigen die scheinheiligen Frömmler belehren. Doch die Verstockten lauschen nicht, halten den Hinweis des Titanic-Chefredakteurs Leo Fischer auf das Jüngste Gericht gar für einen Scherz. Wenn sie sich aber am Tag der Abrechnung in die Hosen machen, wird ihnen kein Hamburger Landgericht helfen können.