Die Vereinheitlichung der EU-Flüchtlingspolitik

Die Odyssee nach der Flucht

Die Asylpolitik der EU-Länder soll vereinheitlicht werden. Zuständig fühlen sich die verschiedenen Institutionen aber nur ungern.

An den Berliner Sozialgerichten steigt die Zahl der Klagen und Verfahren: Oft geht es mittlerweile auch um die Zuständigkeit für Leistungen für Einwohner mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus und Asylbewerber. Ausländerbehörden, Sozialämter und die Agentur für Arbeit schieben sich dann gegenseitig die Verantwortung für den Betroffenen zu, um so im jeweils eigenen Etat ein paar Euro zu sparen. In einem Fall wurde einer Frau die Abschiebung angekündigt, nachdem ihr die Ämter die finanzielle Unterstützung verweigert hatten. Die Abschiebungsandrohung wurde sodann als Begründung für diesen Schritt nach­gereicht. Nachdem sie ein Jahr lang ohne Geld und obdachlos gewesen war, ordnete das Berliner Sozialgericht die Auszahlung der Gelder an. Solch ein dramatischer Fall ist im Alltag von Flüchtlingen in Europa keine Ausnahme. Der vorgebliche Versuch der europäischen Politik, nach dem Amsterdamer Abkommen von 1999 einheitliche Normen und geregelte Zuständigkeiten in der Asylpolitik zu schaffen, hat nicht nur zu einem Wirrwarr an Verordnungen, Richtlinien und Behördenzuständigkeiten in den einzelnen Staaten geführt, sondern zu einem Schwarzen-Peter-Spiel unter den EU-Ländern, dessen abschreckende Wirkung auf Flüchtlinge wohl gewollt war. Die Präzisierung und Universalisierung dieses Rechtsbereichs führte gerade nicht zu Rechtssicherheit für die Betroffenen, sondern zur Legitimierung menschenunwürdiger Auslegungen der allgemeinen EU-Richtlinien auf nationaler Ebene.

Besonders das sogenannte Dublin-II-Akommen, das die »Harmonisierung der Asylpolitik« durch erhebliche Gesetzesnovellierungen erreichen sollte, führte dazu, dass unter dem Deckmantel einer gemeinsamen EU-Politik die Behörden in einem Land und die verschiedener Staaten gegeneinander agieren konnten, um sowohl Kosten für die Asylverfahren als auch für die langfristige Aufnahme von Flüchtlingen zu sparen. Unter anderem durch die intensive Ausnutzung der Drittstaatenregelung kann so die offizielle Aufnahme des Asylantrags verzögert werden und der Anspruch der Flüchtlinge auf Bezug verschiedener Sozialleistungen zeitweise oder ganz versagt werden – unter juristischem Verweis auf eben diese »harmonisierten« Verordnungen, die in der Einzelfallpraxis den behördlichen, oft multinationalen Klärungsbedarf erst entstehen lassen.

In vielen EU-Staaten sind gar verschiedene Institutionen für die Sozialleistungen zuständig, was den Zugang zu ihnen erheblich erschwert: Asyl- bzw. Ausländerbehörden, Sozialämter, Arbeitsämter, Gesundheitsämter, bei Familien und Jugendlichen auch Jugendämter. Es gibt kein gesetzliches Recht auf Wohnraum, in Großbritannien ebenso wenig eines auf medizinische Behandlung. Besonders in Österreich und Italien wird versucht, Bargeldauszahlungen (und auch angemessene Sachleistungen) an Flüchtlinge zu umgehen, Griechenland ist diesbezüglich faktisch gar ein rechtsfreier Raum.
Vergangene Woche verkündeten FDP-Politiker stolz, im Zuge weiterer EU-Verhandlungen die Regelungen zur Arbeitserlaubnis für Asylbewerber europaweit liberalisieren zu wollen. Nun sollen Flüchtlinge bereits nach neun Monaten Aufenthalt erwerbstätig werden können, der EU-Ministerrat hatte zuvor für eine Frist von sechs Monaten plädiert. Zwar könnte diese Änderung für viele Flüchtlinge entscheidend für die Verbesserung ihrer Lebensumstände sein, angesichts der niedrigen Löhne in der gesamten EU und der Wirtschaftskrise in Südeuropa wird sie voraussichtlich aber nicht die Prekarisierung der Flüchtlinge abschaffen. Vom gesellschaftlichen Leben bleiben sie weiterhin weitgehend ausgeschlossen. Auch wenn das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts den Maßstab neu gesetzt hat, wird die weitere Vereinheitlichung der EU-Asylpolitik zu keinen Verbesserungen führen. Insofern gilt der Richterspruch des Europäischen Gerichtshofes zur Flüchtlingspolitik nach Dublin II nicht nur für die Situation an den Außengrenzen, sondern auch für die alltägliche Situation von Asylbewerbern: »Menschenunwürdig und erniedrigend«.