Rostock bereitet sich auf den 20. Jahrestag der Pogrome vor

Einpinkeln war gestern

Ein Bündnis linker Gruppen ruft anlässlich des 20. Jahrestags der Pogrome in Rostock-Lichtenhagen zu einer antifaschistischen Demonstration in der Stadt auf. Dies stößt nicht nur auf Gegenliebe.

Die rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen jähren sich in diesem Monat zum 20. Mal. Mehrere Tage lang wütete im Sommer 1992 ein Mob von Nazis, unterstützt von Hunderten jubelnder Anwohnerinnen und Anwohner, vor der »Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber« (Zast) in Rostock-Lichtenhagen. Die Polizei war anwesend, schritt aber nicht ein, als die bewohnten Flüchtlingsunterkünfte mit Molotow-Cocktails und Steinen beworfen wurden. Die Bilder gingen um die Welt.

Berndt Seite (CDU), der damalige Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, sagte während der Ausschreitungen: »Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird.« Unter dem Druck des Volksmobs stimmte die oppositionelle SPD im Bundestag einer Änderung des Asylrechtsparagraphen zu, das individuelle Grundrecht auf Asyl wurde 1993 faktisch abgeschafft.
Das bundesweite Antifa-Bündnis »20 Jahre nach den Pogromen – Das Problem heißt Rassismus«, das zu einer Demonstration am 25. August in Rostock aufruft, sieht es als Notwendigkeit an, diese Zusammenhänge und ihre ungebrochene Kontinuität darzustellen. Schließlich wurden mehr als 40 Menschen allein in den ersten drei Jahren nach der Wiedervereinigung von Nazis ermordet. Die Pressesprecherin Claudia Münster sagt der Jungle World, dass am »Symbol Rostock-Lichtenhagen« deutlich werde, »wie Neonazi-Ideologien, institutioneller Rassismus und die gesellschaftliche Zustimmung eine Einheit bilden«.
Ulrich Kunze, der Sprecher der Stadt Rostock, sieht das anders. »Rostock braucht sich nicht zu verstecken«, sagt er. »In der Stadt hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel verändert.« Tatsächlich haben gesellschaftliche Veränderungen auch vor Rostock nicht Halt gemacht. Die Brandstifter von damals stehen heutzutage nicht mehr mit Bierdose, bepinkelter Jogginghose und Hitlergruß vor dem Flüchtlingsheim, sondern tragen Anzug und Krawatte. Der NPD-Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski, der vor 20 Jahren für das Flugblatt »Rostock bleibt deutsch« verantwortlich war, ist nur ein Beispiel dafür.
Tim Bleis von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, Lobbi, bestätigt, dass gewalttätige Mobs, die in aller Öffentlichkeit Angriffe verüben, heutzutage eine Ausnahme sind. Rostock sei zwar keine Schwerpunktregion rechtsextremer Gewalt, aber Angriffe gebe es trotzdem. Immer häufiger beobachte er, dass es neben der körperlichen Gewalt subtilere Formen von Einschüchterungen gebe, mit denen die Betroffenen zu kämpfen hätten. Diese reichten dabei von Diffamierungen einzelner Personen im Internet bis hin zu einem bedrohlichen Auftreten rechtsextremer Gruppen gegenüber ihren Gegnern.

In der aktuellen Auseinandersetzung mit dem Rostocker NSU-Mord hätten sich einzelne kommunale Verantwortungsträger »nicht gerade mit Ruhm bekleckert«, sagt Bleis. Der NSU hatte am 25. Februar 2004 den 25jährigen Mehmet Turgut in Rostock ermordet. Der Ortsbeirat des Rostocker Stadtteils Dierkow lehnte jedoch die Umbenennung einer Straße in »Mehmet-Turgut-Weg« ab. »Wir wollen hier keinen Wallfahrtsort schaffen«, sagte der Ortsbeiratssvorsitzende Uwe Friesecke (CDU) der Lokalpresse. Die Menschen im Stadtteil wollten die Umbenennung nicht, begründete der Ortsbeirat seine Entscheidung.
Mit den Wünschen der Anwohner argumentiert auch Steffen Bockhahn, der Landesvorsitzende der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern. In einer internen E-Mail an alle Bundestagsabgeordneten der »Linken«, die der Jungle World vorliegt, erklärte er, warum sein Kreis- und Landesverband den Aufruf der Antifa zu der Demons­tration in Rostock nicht unterstützt: »Vor allem auch deswegen, weil wir damit Rücksicht auf die Wünsche der AnwohnerInnen nehmen. So etwas sollte uns als linke Partei, die im Interesse der Mehrheit der Menschen aktiv sein möchte, nicht egal sein.« Im Gespräch mit der Jungle World betont Bockhahn aber, dass der Rostocker Kreisverband die Demonstration nicht grundsätzlich ablehne und einen eigenen Aufruf zu ihr geschrieben habe. Darüber hinaus engagiere sich seine Partei gemeinsam mit allen demokratischen Parteien der Bürgerschaft seit über einem Jahr im zivilgesellschaftlichen Bündnis »Lichtenhagen bewegt sich«.
Claudia Münster vom Antifa-Bündnis hält diesen Zusammenschluss in erster Linie für eine Imagekampagne. Diesen Vorwurf weist Stadtsprecher Kunze entschieden von sich: »Selbstverständlich sind die Aktivitäten von ›Lichtenhagen bewegt sich‹ nur eine Station in der Aufarbeitung, die auch nach 20 Jahren noch nicht abgeschlossen ist.« Torsten Sohn vom Rostocker Bürgerbündnis »Bunt statt Braun« betont, dass »wir hier in Rostock recht gute Arbeit im Bereich Integration, antirassistische Bildung und Aufklärung gegen Rechtsextremismus geleistet haben und leisten, zusammen mit Kommune, Umlandgemeinden und Landesregierung«.
»Lichtenhagen bewegt sich« ist ein typischer Zusammenschluss der »deutschen Zivilgesellschaft«. Bereits die Lichterketten in den Jahren 1992 und 1993, wie auch der vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2001 ausgerufene »Aufstand der Anständigen«, waren in Ermangelung einer »Zivilgesellschaft von unten« Versuche, eine »Zivilgesellschaft von oben« zu installieren, die das bessere und geläuterte Deutschland öffentlich repräsentieren sollte. Im Falle der Lichterketten ging es darum, das Bild des wiedervereinigten Deutschland im Ausland zu wahren. Die internationalen Befürchtungen schienen sich angesichts der Welle neonazistischer und rassistischer Gewalt zu Beginn der neunziger Jahre zu bestätigen. Und auch zur Jahrtausendwende passte es nicht ins Bild der seit dem Kosovo-Krieg international agierenden deutschen Militärmacht, mordenden Neonazis tatenlos zuzusehen.

Die Bekundungen der deutschen Zivilgesellschaft in Form von Lichterketten standen im Einklang mit der Abschaffung des Asylrechts. So ist es auch heute keine Überraschung, dass der grundsätzliche staatliche Umgang mit Flüchtlingen, insbesondere im Zusammenhang mit der EU-Flüchtlingspolitik, auf den Veranstaltungen von »Lichtenhagen bewegt sich« keine Rolle spielt. Dafür erhält die Rostocker Zivilgesellschaft hohen Besuch, nämlich von Joachim Gauck. Der Bundespräsident soll auf einer Gedenkveranstaltung am 26. August sprechen. Die Botschaft, die »Lichtenhagen bewegt sich« verbreiten möchte, sei, dass »man aus den Geschehnissen von damals gelernt habe«, sagt Kunze. »So etwas wie damals könnte so in Rostock heute nicht mehr passieren.« Damit hat er recht: Für Flüchtlinge ist es nach der Abschaffung des Asylrechts und der Einführung der Drittstaatenregelung schwierig geworden, Rostock überhaupt zu erreichen.