Die Dokumentation »Man for a Day«

King For a Week

Katarina Peters begleitet in ihrer Dokumentation »Man for a Day« einen Drag-King-Workshop der queeren Performance-Legende Diane Torr.

In einer Geschichte emanzipatorischer Praktiken der Gegenwart dürfte der Drag-King-Workshop keinesfalls fehlen. In den feministischen, queeren und Transgender-Subkulturen der späten achtziger Jahre entstanden, versetzt der Drag-King-Workshop Frauen in die Lage, als »Mann« aufzutreten und nicht als Crossdresser oder Frau identifiziert zu werden.
Die Queer-Theoretikerin Beatriz Preciado hat das Potential von Drag-King-Workshops so zusammengefasst: »Der Drag-King-Workshop soll durch kollektive Praxis die performative Kon­struktion von Männlichkeit und ihre sozialen Vorteile erforschen. Teilnehmerinnen erfahren einen anderen Zugang zu öffentlichem Raum und öffentlichem Sprechen. Es soll aus einer kritischen Position der konstruierte Charakter von Männlichkeit kenntlich gemacht werden. Drag Kinging ist eine Form subversiver Rezi­tation bestimmter kultureller Männlichkeitscodes. Außerdem ist der Drag-King-Workshop eine Erfahrung kollektiver Machtaneignung, ein politischer und performativer Genuss für Bio-Frauen und Dykes, weibliche Transgender und Transsexuelle. Für mich ist diese Praxis, um Félix Guattari zu zitieren, eine ›zellulare Mikropolitik‹, in der wir kollektiv die performativen Technologien der Einschreibung von Gender-Codes innerhalb der Körper-Erinnerung und -Aktion umarbeiten.« So weit, so faszinierend.
Die Dokumentarfilmerin Katarina Peters hat einen Drag-King-Workshop in Berlin mit der Kamera begleitet und dokumentiert die Arbeit der Performance-Pionierin Diane Torr, die den Workshop »Man for a Day« 1989 entwickelt hat. Wurden Drag Kings und Female-To-Male-Transgenders in den neunziger Jahren im bürgerlich-feministischen Kontext eher als Problem wahrgenommen – Frauen würden, so hieß es, »in den Farben des Feindes« herumlaufen –, ergaben sich im queer-bohemistischen Umfeld Möglichkeiten für Experimente, welche die Frage nach der Authentizität des Weiblichseins und der Identität der Frau als politischem Subjekt aufwarfen. In diesem Umfeld traf Torr auch die Performancekünstlerin Annie Sprinkle. Diese fotografierte die Verwandlung Torrs in ihren Drag-Charakter Danny King. Nach dem Foto-Shooting hatte Torr keine Zeit mehr, sich für eine Vernissage umzuziehen, rannte zum ersten Mal als »Mann« durch die Straßen New Yorks und war fasziniert von dieser selt­samen Erfahrung von Empowerment. Es gehe aber nicht darum, sich im anderen Geschlecht besser aufgehoben zu fühlen, erklärt Torr ihren Workshop-Teilnehmerinnen, sondern um ein »polymorphes Wissen«, das über die Zweigeschlechtlichkeit hinausweise.
Torr, die sich als bisexuell und queer bezeichnet, hat Kunst studiert und war in den sieb­ziger Jahren Teil der legendären Downtown-Szene New Yorks, wo sie in It-Clubs wie The Kitchen oder dem Mudd Club auftrat. Außerdem besitzt die selbsternannte »Physiophilosophin« den schwarzen Gürtel im Aikido und hat Kontaktimprovisation und Shiatsu-Massage praktiziert. So erfahren wie sie sind in diesem Bereich wenige. Ihre Biographie, in der sich das Muttersein mit alternativen Lebenswegen in Transgender-Kulturen kreuzt, ist ungewöhnlich. Ihre Tochter, die im Film zu Wort kommt, hat sich offenbar gut mit ihrer alleinerziehenden Drag-King-Mama arrangiert.
Doch leider erfährt man im Film nicht allzu viel über Diane Torr. Manchmal wünscht man sich, die Regisseurin würde sich genauer mit Torrs Biographie beschäftigen. Filmmaterial, das Stationen ihrer Karriere dokumentiert, wird kaum gezeigt. Stattdessen lenkt die Regisseurin den Blick auf die Teilnehmerinnen des Workshops. Die Frauen, die den Workshop besuchen, kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen und Milieus. Die alleinerziehende Therese wurde von ihrem Mann verlassen, steht mit neu re­noviertem Haus und drei Kindern alleine da und und hat keine Lust mehr auf eine hetero-femi­nine Verpackung. Eva-Marie ist Politikberaterin bei den Grünen und möchte lernen, wie sich Machtunterschiede in ihrem Arbeitsalltag darstellen. Rosa hat in der Familie männliche ­Gewalt erfahren, während Susann Gewinnerin zahlreicher Miss-Wahlen, unter anderem in der Uckermark, ist. Die lesbische Tal, die schon immer von ihren Freundinnen als butchy wahrgenommen wurde, ist neugierig, wie Drag Kinging auf sie wirkt. Es ist berührend anzu­sehen, wie die ersten Versuche, sich eine männliche Identität anzueignen, von zwei ganz unterschiedlichen Vorstellungen geleitet sind: Da gibt es einerseits die eher allgemeinen, negativen Klischees über Männer, andererseits eine liebevolle Einfühlung und Identifikation in den eigenen, alternativen Charakter. Torr geht es eindeutig um ersteres, da ist sie eher an feministischer Ideologiekritik interessiert als daran, Geschlechternormen zu unterwandern. Die Gender-Interpretation soll nicht theatralisch oder gar parodistisch-liebevoll ausfallen, auch ihr eigener Drag-Charakter sei niemand, mit dem sie ihre Freizeit verbringen wolle, meint Torr. Vielmehr geht es um die Aneignung einer männlicher Performance, darum, deren Verhältnis zu Ideologie und Macht zu analysieren.
Spannend ist, wie die Teilnehmerinnen ihre Figuren entwickeln und sich bei spielerischen Recherchen auf der Straße Gesten und Tics von den Männern abschauen. Sie entwickeln eigene Biographien und schließlich auch ein Gespür darüber, wie performative Männlichkeit ihre ­eigene Authentizität erzeugt. Eine Teilnehmerin geht als King nach Hause, und ihre Eltern lachen sich erstmal halbtot. Als die gute Tochter andeutet, dass sie vielleicht öfter ihren neuen Charakter zeigen möchte, findet der Spaß schnell ein Ende. Später besuchen zwei Kings eine Strip-Bar. Da wir aber nicht erfahren, was dabei in den Workshopteilnehmerinnen vorgeht, wirkt der Ausflug ins Herz der Sex-Industrie etwas klischeehaft.
Überhaupt bleibt die filmische Auseinandersetzung mit den Teilnehmerinnen einseitig. Es ist der Regisseurin nicht gelungen, die einzelnen Beobachtungen, die sie macht, konsequent genug zu verbinden. Zwar ist es sympathisch, dass Katarina Peters mit ihrem Film auch Menschen anspricht, die noch keine Erfahrungen in queeren Subkulturen gesammelt und sich keine Gender-Theorien angeeignet haben. Da im Film aber immer wieder die Kate­gorien »Mann« und »Frau« strapaziert werden, wirkt der Diskurs von »Man For a Day« selbst normativ. Begriffe wie »Transgender« kommen in dem Film nicht einmal vor, obgleich Transpersonen am Workshop teilnehmen. Dass es eine kreative Drag-King-Szene gibt und viele ehemalige Kings dort eine Identität entwickeln, die über das Ausprobieren weit hinausgeht, erfährt man leider ebenfalls nicht.
So beschäftigt sich der Film sehr viel damit, was aus einem Mann einen Mann macht und welche Träume die Frauen haben, wenig aber damit, was einen King ausmacht und welche Zukunft diese Erfahrung den Teilnehmerinnen eröffnen könnte.

Man For a Day. Regie: Katharina Peters. Seit 19. Juli im Kino