»Trauermarsch« von Neonazis in einem niedersächsischen Kurort

Trauergäste auf der Partymeile

Seit 2006 pilgern am ersten Samstag im August jährlich bis zu 1 000 Neonazis zu einem geschichtsrevisionistischen »Trauermarsch« nach Bad Nenndorf. Auch am 4. August droht dem niedersächsischen Kurort wieder der Ausnahmezustand.

Die 10 000 Einwohner zählende Kleinstadt Bad Nenndorf wirbt mit dem Slogan »Das Staatsbad vor den Toren Hannovers« um Gäste. Doch nicht alle Besucher sind willkommen, denn mit den Neonazis, die im August zu ihrem »Trauermarsch« anreisen, will man nichts zu tun haben. Jedes Jahr ziehen sie begleitet von dumpfen Trommelschlägen die rund zwei Kilometer lange Strecke zum sogenannten Wincklerbad in der Stadtmitte. Vor dem 1930 erbauten Gebäude gedenken sie Nazi-Funktionären und NS-Kriegsverbrechern, die dort nach dem Zweiten Weltkrieg vom britischen Militär verhört worden waren. Rund 410 Personen waren in dem Internierungslager bis zu seiner Schließung inhaftiert, es soll zu Folterungen und drei Todesfällen gekommen sein. Für die Neonaziszene ist das ein gefundenes Fressen, um den Geschichtsrevisionismus für ihren jährlichen »Trauermarsch« zu nutzen. Aus den anfangs noch 20 Teilnehmern wurden schnell bis zu 1 000 Neonazis, die bei den Bewohnern von Bad Nenndorf für Aufregung sorgten.

Schon am Vorabend prägen Polizeikräfte und Hamburger Gitter das Stadtbild, am Tag des Aufmarschs liegt das öffentliche Leben lahm, die Route des Aufmarschs führt mitten durch die Innenstadt. Neonazis verwandeln den Platz vor dem Wincklerbad in ein Meer von schwarzen Fahnen. Kader wie Thomas Wulff, der seit Mai 2011 stellvertretender Vorsitzender des Hamburger Landesverbands der NPD ist, halten Schilder mit der Aufschrift »Wir fordern ein Foltermuseum« in die Höhe, andere halten Hetzreden, immer wieder kommt es beim Rückreiseverkehr zu gewalttätigen Übergriffen. Der Aufmarsch in Bad Nenndorf ist längst zu einem festen Termin der bundesweiten Neonaziszene geworden.
Auch für das Bündnis »Bad Nenndorf ist bunt« ist der erste Samstag im August ein wichtiger Tag. Wurde der Widerstand in der Kleinstadt zunächst nur von Antifa-Gruppen organisiert, regt sich seit 2009 auch bei den Bewohnern der Kurstadt Protest, nachdem bekannt wurde, dass der jährliche »Trauermarsch« bis 2030 angemeldet ist. Rund 1 000 Personen demonstrierten gegen den rechtsextremen Aufmarsch, vorab hatte die Blockade mit einer Betonpyramide für erhebliche Verzögerungen gesorgt, vom Dach des Wincklerbades regnete es Konfetti auf die Neonazis.

Auch als in der Kurstadt der Protest heftiger wurde, fühlten sich die Bad Nenndorfer von der Politik nicht unterstützt. Seitens der Behörden werde die Gefahr nicht ernst genommen. Vor allem der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) wird kritisiert. Er hatte dafür gesorgt hatte, dass der Landkreis Schaumburg im Jahr 2010 die vom DGB angemeldete Gegendemonstration verboten hatte. Dem Verfassungsschutz hätten Hinweise vorgelegen, dass in dem Kurort 250 autonome Nationalisten und 500 »gewaltbereite Linksextremisten« erwartet würden. Die Behörde befürchtete »schwere Ausschreitungen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen«.
Das Verbot wurde am Vorabend des Aufmarsches zurückgenommen, doch die Entscheidung sorgte für harsche Kritik. Auch ein späteres Urteil, das das Verbot als rechtswidrig einstufte, milderte den Ärger nur geringfügig, denn relevante Dokumente durften wegen eines Sperrvermerks des Innenministeriums nicht eingesehen werden. Unter dem Eindruck der Morde des NSU änderte Schünemann sein Verhalten und stellte sich im Mai vor Ort den Fragen. Die Ängste und Befürchtungen konnte er nicht zerstreuen, denn für ein Verbot des Aufmarschs gebe es bislang keine Rechtsgrundlage, sagte der in Bad Nenndorf schon mal als »Drückemann« bezeichnete Minister. Die Frage nach seiner Teilnahme am Protest wies er mit Hinweis auf sein Amt zurück, forderte die Bürger aber auf, ihren Protest weiter an die Öffentlichkeit zu tragen.
Indessen wurde das Bündnis für sein antifaschistisches Engagement bereits zwei Mal ausgezeichnet, im vorigen Jahr organisierte es eine Partymeile in den Vorgärten und ermöglichte damit einen lautstarken Protest in unmittelbarer Nähe des Aufmarschs. »Wir wollen es ihnen so unangenehm und unfreundlich wie möglich machen«, sagte Udo Husmann vom Bündnis. Laute Musik und teils karnevalistisch verkleidete Anwohner trugen dazu bei, dass nicht wenige Neonazis sich provoziert fühlten. Dieses Konzept soll am 4. August fortgeführt werden, zu einer Demonstration am Vormittag erwartet das Bündnis 2 000 Personen.
Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, und dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), unterstützen in diesem Jahr erstmals auch Bundespolitiker den Protest und zeigen, dass der rechtsextreme Aufmarsch bundesweite Bedeutung erlangt hat. Prominente Unterstützung erhielt jüngst auch die Initiative »Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf«, die zu Massenblockaden in der Kurstadt aufruft. Bei einem Konzert der Band »Die Ärzte« forderte Schlagzeuger Bela B. die Besucher auf: »Setzt euch hin, lasst euch nichts erzählen und vor allem nicht von solchen Arschlöchern!«
Der Protest wird von 90 Gruppen unterstützt, darunter die Landtagsfraktion der Partei »Die Linke« und der niedersächsische Landesverband der Grünen. Deren Jugendorganisation »Grüne Jugend« musste bereits ein Verbot ihrer angemeldeten Kundgebung einstecken. Die Begründung: Der Ort ihrer Kundgebung liege zu nah an der Route des Neonaziaufmarschs und könne somit Blockadeversuchen dienen. Dennoch möchte sich das Bündnis nicht von seinem Plan abbringen lassen, »den Na­zi­auf­marsch 2012 kon­kret und real zu ver­hin­dern«. Dabei wolle man sich nicht gegeneinander ausspielen lassen und sei »so­li­da­risch mit allen, die mit uns das Ziel tei­len, den Na­zi­auf­marsch zu ver­hin­dern«. Einer davon ist der Bad Nenndorfer Apotheker Jürgen Übel, der seit der Gründung des Bündnisses gegen den Aufmarsch der Neonazis protestiert. Wegen der polizeilichen Maßnahmen hatten viele seiner Kunden schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten, am Tag des Aufmarschs die Apotheke zu erreichen. Angesichts der zu erwartenden Unübersichtlichkeit in der kleinen Kurstadt hat Übel jetzt seine Konsequenz gezogen. Mit einer Sondergenehmigung ausgestattet, werden die Apotheken in Bad Nenndorf am 4. August geschlossen sein.