Erste Wahlen in Madagaskar nach dem Putsch

Kampf um die Insel

Die politische Krise in Madagaskar ist nach den jüngsten Schlichtungsversuchen noch nicht beendet – und es droht eine soziale.

Voraussichtlich am 8. Mai 2013 dürfen die Madagassinnen und Madagassen nach über vier Jahren endlich in freien und von der internationalen Staatengemeinschaft überwachten Wahlen ihren Präsidenten selbst bestimmen. Dies gab die Vorsitzende der unabhängigen Wahlkommission Madagaskars, Béatrice Atallah, am Mittwoch vergangener Woche bekannt. Seit 2009 werden die Präsidentschaftswahlen erwartet. Obwohl sie bereits mehrere Male verschoben wurden, hat sich das Gremium nicht vom Übergangspräsidenten Andry Rajoelina drängen lassen, sie noch in diesem Jahr durchzuführen. Das resolute Auftreten Atallahs bei der Verkündung der Entscheidung lässt hoffen, dass es bei der Planung diesmal keine Pannen gibt.
Eine Woche zuvor hatten sich Rajoelina und der seit 2009 ins südafrikanische Exil verbannte ehemalige Präsident Marc Ravalomanana auf den Seychellen getroffen, um schlichtende Gespräche zu führen. Als Mediator fungierte Jacob Zuma, der Präsident Südafrikas, die Aufsicht führte die Southern African Development Community (SADC). Mehrere Stunden wurde über die Bedingungen einer Rückkehr des gestürzten Präsidenten und die Zukunft des immer tiefer in die Krise geratenden Inselstaates verhandelt.

Seit dem vom Militär unterstützten Putsch vom März 2009, bei dem der damals erst 34jährige Rajoelina, zu jener Zeit Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, die Macht übertragen bekam, kommt das Land nicht mehr zur Ruhe. Vor dem Putsch hatte es wochenlang Demonstrationen gegen den damals amtierenden Ravalomanana gegeben, ihm wurde unter anderem Amtsmissbrauch vorgeworfen. Mindestens 135 Menschen wurden während der Proteste von der Nationalgarde erschossen. Der gestürzte Präsident wurde deshalb verbannt und 2010 in Abwesenheit zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Trotz eines im folgenden Jahr von beiden Seiten ausgehandelten Abkommens, in dem unter anderem allen politischen Flüchtlingen ein Recht auf Rückkehr eingeräumt wird, konnte der ehemalige Präsident im Januar dieses Jahres erneut nicht zurückkehren, da alle Flughäfen des Landes plötzlich gesperrt wurden. Das führte zu neuen Spannungen zwischen den Konfliktparteien. Marius Fransman, der südafrikanische Abgeordnete für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit, teilte mit, dass die Rückkehr Ravalomananas das eigentliche Hauptthema des Treffens vom 25. Juli gewesen sei.
Am darauffolgenden Freitag wurde Lalao Ravalomanana, die Ehefrau des ehemaligen Präsidenten, an der Einreise gehindert und ohne Visum und Geld nach Bangkok ausgeflogen. Rajoelina bezeichnete den Einreiseversuch als Provokation und »ungeheuerliche Verletzung« der Vereinbarungen, Ravalomanana sprach von einem »wei­teren Beweis, dass man diesem Regime nicht trauen kann«. Er beteuerte, seine Frau habe nur ihre 82jährige Mutter besuchen wollen und sein Kontrahent habe ihm zuvor versichert, dass seine Familie in die politische Auseinandersetzung nicht hineingezogen werde. In diesem Machtspiel ver­suchen beide Seiten, das Fehlverhalten der anderen auszunutzen.

Seit dem Machtwechsel von 2009 ist es häufiger zu Putschversuchen gekommen. Zuletzt besetzten meuternde Soldaten Ende Juli gewaltsam eine Militärbasis bei Ivato, dem größten Flughafen des Landes. Als regierungstreue Soldaten das Gebäude zurückeroberten, wurden der Anführer der Aufständischen, Koto Mainty und drei weitere Aufständische getötet, vier weitere wurden verletzt. Der Rest ergab sich und wurde verhaftet. Mainty war einst Leibwächter des ehemaligen Verteidigungsministers Rajoelinas, Noel Rakotonandrasana, der 2010 selbst wegen eines Putschversuchs verhaftet worden war. Kurz vor dem jüngsten Aufstand war Free FM, der wichtigsten oppositionellen Radiostation, der Strom gekappt worden, später erschienen Soldaten und nahmen Geräte mit. Seit Monaten kritisiert der Sender regelmäßig die Regierung und ihre Machenschaften. »Die Station wird so lange geschlossen bleiben, bis wir sicher sein können, dass es keine weiteren Einschüchterungsversuche geben wird«, gaben die Reporterin Lalatiana Rakotondrazafy und ihr Kollege Fidèle Razarapiera bekannt, die bereits Anfang Mai aufgrund von Äußerungen in ihrer Sendung für 24 Stunden verhaftet und verhört worden waren.
Eine Lösung des Konflikts zwischen der Übergangsregierung und dem ehemaligen Präsidenten wurde bei den vergangenen beiden Verhandlungsrunden nicht gefunden, auch weil Rajoelina zufolge keine Entscheidungen getroffen werden sollten, die eine weitere Destabilisierung des Landes zur Folge haben könnten. »Es wird ein wei­teres Treffen in einigen Tagen geben«, sagte er Reportern. Die SADC setzte eine Frist bis zum 16. August. Entscheidend für weitere Verhandlungen ist, ob beide wieder kandidieren oder Platz machen für neue Kandidaten, was einen politischen Umschwung für die knapp 22 Millionen Madagassinnen und Madagassen bedeuten würde. Sollte Rajoelina antreten, muss er 60 Tage vor den Wahlen den Präsidentenpalast räumen.

Ravalomanana, der seine Karriere einst als Joghurtverkäufer auf der Straße begann und innerhalb kurzer Zeit das Joghurt-Imperium »Tico« aufbaute, hat wieder viele Anhänger. Die »Mouvance Ravalomanana« organisiert regelmäßig Demonstrationen im Zentrum Antananarivos, die wiederholt unter dem Einsatz von Tränengas aufgelöst wurden. Auch wenn behauptet wird, dass viele für die Teilnahme an Oppositionsak­tionen bezahlt werden, hat sich ein großes Bündnis zwischen Anhängern der Mouvance und Journalisten, Studierenden, Mitgliedern der Lehrergewerkschaft SEMPAMA und einigen Regierungsbeamten gebildet, die wegen ausstehender Gehaltszahlungen und des Unterrichtsausfalls an Schulen und Universitäten auf die Straße gehen.
Als Ravalomanana 2002 zum Präsidenten gewählt wurde, kündigte er an, das Land so erfolgreich wie eines seiner Unternehmen zu führen. Der wirtschaftliche Aufschwung kam, Straßen wurden gebaut und auch die Bildung wurde gefördert. Die an Rohstoffen und Bodenschätzen reiche Insel sollte mit Hilfe des »Madagascar Action Plan« von einem durch realsozialistische Misswirtschaft geplagten Land zu Wohlstand geführt werden. Doch Anfang 2009 wurden Vorwürfe der Korruption und der Bereicherung immer lauter, die Demonstrationen gegen die damalige Regierung ebneten Rajoelina, dem Anführer dieser Aufstände, einem DJ und Nachtclubbesitzer, der als guter Redner bekannt war, den Weg ins Präsidentenamt. Seit dem Machtwechsel rutscht das Land immer tiefer in die Krise, nicht zuletzt weil sämtliche internationale Hilfsgelder, die damals fast 70 Prozent des Staatshaushalts ausmachten, als Reaktion auf den Putsch eingestellt wurden. Über 300 000 Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Allein in der Textil­branche sind mehr als 25 000 von einstmals 100 000 Beschäftigten ohne Job, was auf die Sanktionen der US-Regierung zurückzuführen ist, die Madagaskar von Fördermaßnahmen im Rahmen des »African Growth and Opportunity Act« ausschloss und den damals durch niedrige Importzölle einsetzenden Textilboom beendete.
»Die Rückkehr zu Stabilität in Madagaskar ist sehr wichtig für alle Länder des südlichen und östlichen Afrikas sowie der Region des Indischen Ozeans«, betonte James Michel, der als Präsident der Seychellen ebenfalls an den dortigen Verhandlungen teilgenommen hatte. Er warnte ­davor, dass die extreme Armut in Madagaskar, wo der Uno zufolge 76,5 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, zu einer »sozialen Katastrophe führen« könne.