Schlechte Arbeitsbedingungen bei Zalando

Schrei vor Schreck

Das Online-Versandunternehmen Zalando ist wegen schlechter Arbeitsbedingungen in die Kritik geraten.

»Zalando mischt den Internethandel auf«, diesen Titel wählte das Hamburger Abendblatt vor einigen Monaten für einen Bericht, der sich wie eine deutsche Version des Mythos »Vom Tellerwäscher zum Millionär« liest. »Diese Geschichte beginnt in einer Berliner Wohnung, einer kleinen Bude, in der sich 2008 fünf ehemalige Kommilitonen von der Universität Koblenz trafen, darunter Marc, Oliver und Alexander Samwer, deren legendärer Geschäftssinn sie schon in jungen Jahren zu Millionären gemacht hatte. Hier tüftelten sie das Konzept für Zalando aus, einen Schuhladen im Internet. Und hier verpackten sie anfangs auch selber Flipflops, Budapester oder Turnschuhe für die Kunden und brachten die Pakete zur Post.«

Aus dem unbekannten Start-up-Unternehmen wurde ein expandierender Internetkonzern. Noch am 20. Juli vermeldete die Berliner Morgenpost die neuesten Erfolge aus dem Hause Zalando. Das Unternehmen habe seinen Umsatz verdreifacht, während die Konkurrenten Verluste erlitten hätten. Die Zeitung veröffentlichte auch die aktuellen Expansionspläne: »Zalando (…) heizt dem Markt ordentlich ein. Von den Lagern in Brieselang und Großbeeren verschicken sie ihre Ware in zwölf europäische Länder. Polen und Norwegen stehen als Nächstes auf der Expansionsliste. Im Juli eröffnete bereits ein Technologiestandort in Dortmund, an dem bald schon 60 Mitarbeiter Marketingideen entwickeln und Logistik und Versand voranbringen sollen. Im Spätsommer wird ein weiteres Lager in Erfurt dazukommen.«
Über den Preis dieses Aufstiegs verlor die Berliner Morgenpost kein Wort. Dabei packten schon längst nicht mehr die Samwer-Brüder die Schuhe ein, sondern schlecht bezahlte Leiharbeiter. In der vorigen Woche gingen einige Beschäftigte an die Öffentlichkeit, und schnell wurde deutlich, dass es nicht der Geschäftssinn und die Phantasie von drei Brüdern, sondern die schlecht bezahlte Arbeitskraft von vielen Menschen ist, die den Erfolg Zalandos ermöglicht. Nachdem der Online-Versandhändler lange Zeit einem Kamerateam des ZDF ein Interview und eine Drehgenehmigung vor Ort verweigert hatte, heuerte ein Mitarbeiter der Sendung »Zoom« als Leiharbeiter an und dokumentierte mit versteckter Kamera die Zustände in den Lagerhallen.
Die Arbeitsbedingungen beim Versanddienst im brandenburgischen Großbeeren erinnern an frühkapitalistische Zustände. Die Mitarbeiter mussten während der gesamten siebeneinhalbstündigen Arbeitszeit stehen und wurden ständig überwacht. Die Toiletten waren unhygienisch und der Stundenlohn für Leiharbeiter betrug sieben Euro. Wie viele andere Unternehmen, gerade im Versandhandel, hat Zalando Null-Euro-Jobber eingestellt. Sie absolvieren kostenlos ein »Schnupperpraktikum« in der Hoffnung, eine Festanstellung zu finden. In der Sendung berichteten Mitarbeiter, dass die meisten Praktikanten aber statt Festanstellungen immer wieder Angebote für neue Praktika bekamen. In Zeiten der Wirtschaftskrise und der Zumutungen des Hartz-IV-Systems ist die Nachfrage groß, zumal Erwerbslose von den Jobcentern in solche kostenlosen Praktika gedrängt werden. Weigerungen können zu Sanktionen führen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass bei Zalondo wöchentlich zehn neue Null-Euro-Jobber antraten, wie das ZDF, gestützt auf Informationen von Mitarbeitern, berichtete.

Nachdem die Zustände bekannt wurden, gab sich die Geschäftsführung reuevoll, schob aber die Verantwortung auf die Leiharbeitsfirmen ab. »Die Eindrücke der Dokumentation spiegeln aus unserer Sicht nicht die Arbeitsatmosphäre in den Zalando-Standorten wieder. Leider ist uns jedoch bewusst geworden, dass wir auf unsere Dienstleister deutlich mehr Einfluss nehmen müssen. Im Fall von unserem Lager in Großbeeren arbeitet Zalando mit einem Partner zusammen, der größtenteils für das Personal und für die Prozesse im Lager verantwortlich ist. Diesen Partner werden wir stark prüfen und noch regelmäßiger kontrollieren, damit es zu keinen Missständen mehr kommen kann«, hieß es in einer Stellungnahme des Unternehmens. Doch das erwies sich schnell als bloße Rhetorik. Als ein Kamerateam das Unternehmensgebäude vom privaten Straßenrand aus filmen wollte, schritten Sicherheitsleute ein.
Von der Politik braucht das Unternehmen nicht viel zu befürchten, wie die schwache Reaktion des brandenburgischen Arbeitsministers Günter Baaske (SPD) zeigt. Einerseits bestätigte er, dass das Landesamt für Arbeitsschutz eingeschaltet wurde, was angesichts der bekanntgewordenen Arbeitsbedingungen auch eine Selbstverständlichkeit ist. Andererseits aber lobte er die Unternehmensleitung, indem er die Bedeutung von Zalando für den Brandenburger Arbeitsmarkt betonte. »Durch Zalando sind viele hundert Menschen im westlichen Brandenburg in Arbeit gekommen«, sagt Baaske. Rund 900 Beschäftigte seien es allein in Brieselang. Über unbezahlte Praktika und Niedriglöhne sagte er nichts. Besser kann man kaum verdeutlichen, was die Forderung nach Arbeit um jeden Preis bedeutet. Die Brandenburger Landespolitiker, die sich selbst beim Bekanntwerden der desolaten Arbeitsbedingungen gleich als kostenlose Verteidiger von Zalando zur Verfügung stellten, entscheiden auch über die zahlreichen Vergünstigungen, die Unternehmen geboten werden, damit sie in dem Bundesland Investitionen tätigen. Die Konkurrenz ist groß, auch in anderen Bundesländern wird eine solche Standortpolitik betrieben.

Außer mitfühlenden Worten haben die Beschäftigten von Zalando wenig von der Politik zu erwarten. Dass die Geschäftsführung zumindest verbal einzulenken schien, lag denn auch eher an den solidarischen Reaktionen im Internet. Nach Bekanntwerden der Arbeitsbedingungen stand Zalando plötzlich im Shitstorm. Einem Unternehmen, das bisher als Inbegriff eines erfolgreichen Start-ups galt, kann das nicht gleichgültig sein. Wenn die Kunden das Internet nicht nur zur Warenbestellung, sondern auch zum Protestieren nutzen, können sie Zalondo Probleme bereiten, die über eine Beschädigung des Image hinausgehen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es sich beim Shitstorm nicht nur um eine spontane Äußerung von Wut handelt, die beim nächsten günstigen Schnäppchen schon wieder vergessen ist. Ob sich aus wütenden Bloggern kritische Konsumenten entwickeln, ist noch nicht ausgemacht.
Unter dem Motto »Dichtmachen« unterstützten soziale Initiativen den letzten Einzelhandelsstreik 2008 und blockierten eine Berliner Filiale von Reichelt. Solche Aktionen könnten auf das Netz ausgeweitet werden. Die Expansion des Versandhandels führt zu einer Verlagerung des Niedriglohnsektors vom Einzelhandel in die Verpackungs- und Lagerzentren und in die ebenfalls sehr schlecht zahlenden Versandfirmen. Hier sind soziale Initiativen gefordert, sowohl reale als auch virtuelle Räume zu schaffen, in denen sich die Beschäftigten der Warenlieferungskette austauschen und vernetzten können. Damit könnten sie mehr Druck ausüben als eine Kassiererin im Einzelhandel.
»Blogs im Internet sind eine gute Möglichkeit, sich zu vernetzen. Auch das Verdi-Mitgliedernetz bietet den Mitgliedern eine weitere virtuelle Plattform zur branchenübergreifenden Kommunikation«, sagt Franziska Heine vom Verdi-Bundesvorstand im Gespräch mit der Jungle World. Sie verweist auf das Online-Unternehmen Amazon, das im Spätherbst 2011 wegen niedriger Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen in die Kritik geraten ist. Dort sei es Verdi gelungen, Mitglieder zu werben und Betriebsräte zu gründen.