Ein Festival mit einer Bühne für Roma in Budapest

Die Bühne als Ghetto

Das bekannte Sziget-Festival in Budapest präsentiert seit einigen Jahren eine Bühne mit Roma-Musik. Sponsoren machen einen Bogen um die Gypsy-Künstler.

Ein Gipsy-Musiker ist eben etwas völlig anderes als ein Gipsy-Nachbar«, sagt Marina Pommier. »Die Ungarn tanzen zu Roma-Musik und lieben die Roma, solange sie auf der Bühne stehen.« Roma auf die Bühne zu bringen, ist Pommiers Job. Die französische Kulturwissenschaftlerin kuratiert das Programm im Roma-Zelt auf dem Sziget-Festival, das vom 8. bis zum 13. August in der ungarischen Hauptstadt Budapest stattgefunden hat. Es ist mit 450 000 Besuchern eines der größten Musikfestivals in Europa. Und obwohl die Ticketpreise mit bis zu 225 Euro für viele Ungarn unbezahlbar geworden sind, ist das Festival ein nationales Großereignis: Die Armee unterhält Rekrutierungsstände, große Unternehmen präsentieren sich den jungen Besuchern als Arbeitgeber, die Regierung schreibt ein Grußwort für das Programmheft.
Dass die Roma-Bühne seit Jahren zu dem Festival gehört, ist keine Selbstverständlichkeit. »Ziel der ungarischen Regierungspolitik ist es, die Roma zu vertreiben«, hat Ernö Kallai, der parlamentarische Ombudsmann für Minderheitenrechte in Ungarn, 2011 in einem Bericht geschrieben. Danach wurde sein Amt abgeschafft. Dabei hatte Kallai nur die Details dessen zusammengetragen, was Menschenrechtsorganisationen und die EU seit langem beklagen: Organisierte Rechtsextremisten, Bürger­mobs und die etablierten Politiker der rechtsextremen Partei Jobbik sowie der nationalistischen Fidesz führen einen Feldzug gegen die größe Minderheit im Land. Mindestens 700 000 Roma leben in Ungarn, sie stellen fast sieben Prozent der Bevölkerung. Rund 70 Prozent von ihnen sind den Statistiken der EU-Kommission zufolge arbeitslos.
Im vergangenen Jahr geriet die Gemeinde Gyöngyöspata in die Schlagzeilen, als dort wochenlang Neonazis aufmarschierten und die örtliche Roma-Siedlung zu einem abgesperrten Ghetto machten. Die Regierung tolerierte dies, die Bevölkerung der Gemeinde wählte anschließend einen Neofaschisten zum Bürgermeister (vgl. Reportage-Seite). Der machte von sich reden, als er ein neues öffentliches Beschäftigungsprogramm für Sozialhilfeempfänger so umsetzte, dass er die örtlichen Roma in Kolonnen zu Zwangsarbeit heranzog und beaufsichtigen ließ. Das Programm werde nicht nur in Gyöngyöspata »gezielt für rassistisch motivierte Schikanen eingesetzt, an deren Ende der vollständige Entzug der Existenzgrundlage stehen kann«, schreibt Kallai. Ziel sei die Vertreibung der ungarischen Roma aus den Wohnorten der Mehrheitsungarn. Beispiele wie in Gyöngyöspata gibt es viele. 17 Prozent der Stimmen hat die Jobbik, die vor allem mit Hetze gegen Roma Wahlkampf gemacht hatte, bei den letzten Wahlen bekommen. Zuletzt gingen im Juli dieses Jahres Tausende in Zentralungarn auf die Straße, damit ihre Roma-Nachbarn das Dorf verlassen.
Pommier weiß um die eigentümliche Diskrepanz zwischen dem Hass, der den Roma vor allem in Osteuropa entgegenschlägt, und der Begeisterung für ihre Musik. »Die Musik ist sehr ästhetisch und leidenschaftlich. Viele Roma sind gute Entertainer«, sagt sie. Doch dies allein erkläre den Erfolg von Balkan-Beats und Gipsy-Rock nicht. »Es gibt eine starke romantische Idee, eine Projektion. Das geht zurück bis in die Romantik, bis zu Franz Liszt. Die Menschen denken, die Roma seien Bohemiens, sie seien frei, und deswegen mögen sie die Musik.« Bis heute glaubten viele, dass Roma als Nomaden leben »oder irgendwie auch als Hippies«. Doch das sei ein großer Irrtum. »Bei den Roma gibt es wahnsinnig viele Regeln, viele starre Strukturen und wenig Individualismus. Sie praktizieren eigentlich das Gegenteil eines postmodernen Lebens. Fast alle sind mit 20 Jahren verheiratet, kaum einer schafft es, sich diesen Zwängen zu entziehen.«
Die französische Kulturwissenschaftlerin hat das Verhältnis von Musik und nationaler Identität in Ungarn erforscht, seit zehn Jahren ist sie Managerin von Roma-Bands in Frankreich und Ungarn. Erfunden hat sie die Roma-Bühne nicht. Erst als es Probleme mit den ersten Organisatoren gab, hat der Programmdirektor des Festivals sie gefragt, ob sie die Leitung übernehmen wolle. Stiefmütterlich behandelt fühle sie sich nicht: »Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass es den Veranstaltern und dem Publikum wichtig ist, dass es diese Bühne gibt.«
Ein Programmteil wie alle anderen ist das Roma-Zelt jedoch nicht. Während die übrigen zehn Bühnen von großen Konzernen gesponsert werden, wodurch die Gagen für Stars wie Snoop Doggy Dog oder Korn bezahlt werden können, hat sich kein Unternehmen gefunden, das das Roma-Zelt sponsern will. »Der Marketing-Direktor hat es immer wieder versucht, aber mit diesem Namen haben wir keine Chance, hat er gesagt.« Kein Unternehmen wolle mit Roma in Verbindung gebracht werden. Den Namen zu ändern, kam für sie aber nicht in Frage. Und so behilft sie sich mit den Zuwendungen des Festivals – und Mitteln der Auslandskulturförderung: Die Botschaften der USA, Kanadas, Frankreichs, Australiens und selbst der Slowakei haben ihr überschaubare Beträge überwiesen, als sie Bands aus diesen Ländern verpflichtet hat. Dass die slowakische Regierung im eigenen Land eine ähnlich strikte Anti-Roma-Politik betreibtwie die ungarische, ist ihr bewusst. »Das Sponsoring hat in diesem Fall nicht so viel mit offizieller Regierungspolitik zu tun. Die Leute in den Kulturinstituten sind da etwas offener«, sagt sie.
Das über 1 000 Menschen fassende Zelt ist in diesem Jahr jeden Abend voll. 20 Bands hat Pommier eingeladen, nur die Hälfte von ihnen sind selbst Roma. »Als ich angefangen habe, war ich mir nicht ganz sicher, was ich davon halten sollte. Ich dachte: Die stehlen die Musik. Heute denke ich: Das ist völlig egal! Man darf damit machen, was man will. Mir ist nur wichtig, dass die Künstler nicht so tun, was wären sie selbst Roma. Solche lade ich nicht ein.« Auch die Roma störe es nicht, wenn andere Musiker mit Roma-Musik Erfolg haben. »Die akzeptieren das«, sagt Pommier.
Das ambivalente Verhältnis der Ungarn zur Roma-Kultur zeigt sich in der Geschichte des Gitarristen Ferenc Snétberger, einem international bekannten Jazz-Gitarristen und Komponisten. Für die Roma-Bühne organisierte Snétberger einen Nachwuchswettbewerb. »Snétberger ist heute in Ungarn eine Berühmtheit, Ehrenbürger seiner Geburtsstadt. Aber um das zu werden, musste er erst das Land verlassen und nach Berlin gehen«, sagt Pommier. Am Holocaust-Gedenktag 2011 trat Snétberger mit dem Sinto Zoni Weisz im Bundestag auf. Erst mit dem Namen, den Snétberger sich im Ausland gemacht hatte, habe er sich schließlich auch in Ungarn etablieren können, sagt Pommier.
Die gegenwärtige Roma-Feindlichkeit erklärt sie sich durch die schlechte wirtschaftliche Lage. »Seit dem Ende des Kommunismus gibt es weniger Arbeit für alle. Die ersten ohne Arbeit sind immer die Roma. Und die müssen auch als Sündenböcke herhalten.« Hinzu komme, dass »die Ungarn ihre Geschichte nicht verarbeitet haben. Das ist hier viel weniger geschehen als in Westeuropa. Niemand spricht hier darüber, wie viele Zigeuner während des Holocaust hier getötet wurden.«
Viele Künstler, mit denen sie arbeitet, beklagen die schwache politische Organisation der Roma. »Sie sagen: Unser Problem ist, dass wir nicht einig sind. Das ist der große Unterschied zu den Juden. Bei den Roma ist vor allem die Familie wichtig, es gibt keine zentralen Organisationen, keine Tradition des Kampfes.« Das schlage sich in der Roma-Musik nieder, glaubt Pommier. Die Musik sei auch deshalb populär, »weil sie unpolitisch ist. Sie singen keine Protestlieder. Es geht um Liebe, das Leben, Trinken oder Freiheit. Aber eben nicht um ihre Unterdrückung.«