Die gruppe »Andere Zustände ermöglichen« im Gespräch über linke Feindbilder und Touristenhass in Berlin

»Da wird eine linke Subkultur offen reaktionär«

Seit einigen Wochen sieht man in den Berliner Bezirken Neukölln und Kreuzberg die Plakate der Kampagne »Spot the Touri«. Zwölf Porträts sind darauf abgebildet, daneben der Text: »Gesucht: Der offizielle Sündenbock für hohe Mieten, laute Feierei und Mangel an Deutschtum.« Alex und Lorenz von der Gruppe »Andere Zustände ermöglichen«, die die Kampagne initiiert hat, über linke Feindbilder und verkürzte Gentrifizierungskritik.

Wogegen wendet sich die Kampagne »Spot the Touri«?
Alex: Wir kritisieren, dass Touristen für einen Wandel der Stadt verantwortlich gemacht werden, mit dem sie wenig zu tun haben. Anstatt darüber zu diskutieren, inwiefern Touristen überhaupt etwas mit Gentrifizierung zu tun haben, was Tourismus genau bewirkt, inwiefern dieser als Teil der kapitalistischen Kulturindustrie auch zu kritisieren wäre, wird einfach gesagt: »Hier kommen Touris, die kommen von außen, die kenne ich nicht und die stören mich in meinem Umfeld.« Ihnen werden dann Veränderungen angelastet wie steigende Mieten und Verdrängung – Probleme, die hinlänglich bekannt sind und die ja auch real existieren. Wir erkennen da einen Sündenbock-Mechanismus, es wird ein Fremdsein konstruiert, das ein selbstkonstruiertes »Wir« bedroht und für alle Probleme im Kiez verantwortlich gemacht wird. Das halten wir für eine gefährliche Verkürzung.
Dabei stammt die Forderung nach bezahlbarem Urlaub ja ursprünglich auch aus der Arbeiterbewegung. Wenn heute der »Easyjet-Tourismus« kritisiert wird, sollte man nicht vergessen, dass viele Berliner selbst mit Billig-Airlines in den Urlaub fliegen.
Lorenz: In der radikalen Linken wird Tourismus als reales Phänomen sehr wenig diskutiert. Alles läuft über Feindbilder, Konstruktionen und Zuschreibungen. Die Debatte hat außerdem inzwischen eine riesige Dimension erreicht. Das geht weit über die radikale Linke hinaus, das reicht bis in die sogenannte politische Mitte, wie die Veranstaltung der Grünen »Hilfe, die Touris kommen« gezeigt hat. Deshalb war es uns wichtig, da zu intervenieren.
Welche konkreten Erlebnisse haben Sie dazu bewegt, diese Entwicklung zu kritisieren?
Alex: In einer linken Kneipe sah ich vor einiger Zeit jemanden mit einen T-Shirt, auf dem stand: »Welcome to Berlin – now go home«. Das fand ich dort schon krass, denn inhaltlich kann das auch jeder Nazi tragen. Später entdeckte ich das gleiche Hemd in einem Shop in der Kreuzberger Oranienstraße, wo es offensichtlich verkauft wird. Da wird eine linke Subkultur offen reaktionär, ich war geschockt – genauso bei Graffiti-Sprüchen wie »Zündet Touristen an« oder »Touristen fisten«.
In Berlin besteht ja ein Großteil der Bevölkerung ohnehin aus Zugezogenen. Wo werden die Grenzen zwischen Touristen und Zugezogenen gezogen?
Alex: Das ist ja etwas, was wir auch problematisieren. Die Grenzen sind überhaupt nicht klar, wer »Touri« ist und wer nicht: Künstler oder Studierende, die für ein halbes Jahr oder für vier Jahre hier sind, und dann vielleicht auch wieder wegziehen. Oder Migranten, die zum Arbeiten herkommen. Wie lange muss man hier bleiben, um nicht mehr als Tourist zu gelten, sondern als Berliner anerkannt zu sein? Der Mensch, den ich auf der Straße Englisch, Spanisch oder irgendeine andere Sprache sprechen höre, kann im Zweifelsfall schon länger hier wohnen als ich. Da werden sehr problematische Feindbilder geschaffen.
Die radikale Linke forderte einst: »No border, no nation«  …
Alex: Ja, eigentlich sollte Bewegungsfreiheit die linksradikale Forderung sein, meist ist es das ja auch. Die Frage ist, woher dieses Bashing kommt. Das kommt nicht nur aus der linksradikalen Ecke. So genau wissen wir es halt nicht, wer diese Sprüche an Wände sprüht oder Plakate klebt. Teilweise kommt es sicherlich aus dem Umfeld der linken Gentrifizierungskritiker, aber es reicht auch in andere Milieus hinein.
Welche Kritik gab es an Ihrer Kampagne?
Lorenz: Ein Punkt ist, dass man uns vorhält, wir befürworteten undifferenziert den Tourismus. Was so nicht stimmt. Denn wir sagen durchaus, dass Tourismus kritisiert werden muss – aber eben vor dem Hintergrund des kapitalistischen Gesamtzusammenhangs. Aber genau das wird nicht gemacht.
Alex: Auf unserer Website gab es einige kritische Kommentare. Meist waren es praktische Sachen, dass etwa unsere Plakate abgerissen oder überklebt wurden. Manche halten uns vor, lediglich auf einer theoretischen Ebene den Diskurs über »Touris« zu kritisieren, anstatt soziale Kämpfe gegen reale Probleme in der Stadt zu führen. Dem setzen wir entgegen, dass wir als Gruppe sehr wohl an diesen stadtpolitischen Kämpfen beteiligt sind – zum Beispiel sind wir im »Forum Wohnungsnot« engagiert.
Lorenz: Genau aus diesem Spektrum kommt auch die Kritik an uns. Aber gerade weil wir diese Kämpfe für wichtig halten, wollen wir den Diskurs fruchtbarer machen – weg von diesen personalisierenden Bahnen, hin zur Kritik an der kapitalistischen Verwertungslogik.
Ist nicht personalisierende Kritik ein generelles Problem in der Gentrifizierungsdebatte?
Alex: Auf jeden Fall. Wir hätten unseren Text über »Touris« sicherlich nur wenig abgewandelt auch über Schwaben, Yuppies, Makler, Hipster oder ähnliche Gruppen schreiben können – alles Feindbilder, die konstruiert werden, die nicht zum »Wir« passen, die »uns« alles »kaputtmachen«.
Lorenz: Das sind alles Personalisierungen, die wir für problematisch halten, weil sie die gesellschaftlichen Bedingungen dahinter gar nicht fassen. Da wollen wir ansetzen. Die Aufwertung von Kiezen und die damit einhergehende Verdrängung können sehr unterschiedliche Ursachen haben. Kritisieren muss man aber die kapitalistische Stadt dahinter, in der das Wohnen nicht an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist.
Stichwort Hipster – Die »Hipster Antifa Neukölln« ist ja ebenfalls seit einiger Zeit aktiv. Werden dort nicht ähnliche Inhalte thematisiert wie bei Ihnen?
Alex: Inhaltlich ist es sicherlich eine ähnliche Stoßrichtung. Insofern finden wir deren Interventionen nicht falsch, wobei ich dort eine etwas andere diskursive Strategie sehe – es wird mehr provoziert, mehr polemisiert. Bei uns ist es im Vergleich vielleicht ein bisschen zahmer – gerade weil wir auch in den stadtpolitischen Zusammenhängen engagiert sind und beim nächsten Treffen mit den Leuten dort wieder zusammenarbeiten wollen.
Lorenz: Uns geht es weniger um Provokation, sondern mehr darum, die Diskussionen, die geführt werden, positiv mitzugestalten.
Alex: Wir verstehen unsere Gruppe als antikapitalistisch und emanzipatorisch und beschränken uns ohnehin nicht auf ein einzelnes Thema. Neben der Beschäftigung mit Stadtpolitik und Gentrifizierung waren wir zum Beispiel auch bei den Mobilisierungen der »M31«-Bewegung aktiv.
Auch in Bezug auf Bewegungen, Aktionen und Bündnisse wie »M31«, »Occupy« oder »Blockupy« gab es ja immer wieder Vorwürfe, dass dort durch personalisierende Herrschaftskritik unter anderem Antisemitismus reproduziert wird. Wollen Sie auch dort entsprechend intervenieren?
Alex: So war es zum Beispiel, als wir uns bei »M31« engagierten. Da haben wir gesagt: Wir sind eine antikapitalistische Gruppe, deshalb kritisieren wir den gesamten kapitalistischen Produktionsprozess. Von daher kann unser Ziel nicht sein, Banken zu blockieren und denen damit symbolisch die Schuld an der derzeitigen Krise zu geben. Dass bei antikapitalistischen Protesten sogar die angeblich »jüdischen Banken« der »Ostküste« für die Krise verantwortlich gemacht werden, geht gar nicht.