Hat in Andalusien die Kulisse von Westernklassikern besucht

Palmen pflanzen für Peter O’Toole

Die Tabernas in Andalusien ist Europas einzige Wüste und eine begehrte Landschaftskulisse. Mehr als 500 Filme entstanden hier, darunter der Westernklassiker »Spiel mir das Lied vom Tod« und die Komödie »Der Schuh des Manitu«. Knud Kohr wandelte auf den Spuren von Lawrence von Arabien und Indiana Jones durch den heißen Sand.
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Den lasst ihr am besten stehen.« So lauten die ersten Worte von Cristina Serena nach einem kurzen Blick auf den Mietwagen, mit dem meine Begleiterin und ich angereist sind. Die energiesprühende kleine Frau mit dem charmanten spanisch-englisch-französischen Kauderwelsch dirigiert uns zu ihrem Geländewagen. »Der ist viel besser.« Wir treffen uns an der einzigen Tankstelle im andalusischen Örtchen Tabernas. Cristina wird uns durch die einzige Wüste Europas führen, die nach wenigen Kilometern stadtauswärts beginnt und nach dem Ort benannt ist. Die Desierto de Tabernas kennt Cristina wie ihr Wohnzimmer. Nicht nur jede Pflanze, die irgendwo steht, sondern auch jeden Film, der damit zu tun hat. Über 500 Filme wurden seit den späten Fünfzigern ganz oder teilweise in der Tabernas gedreht. Darunter Meisterwerke wie »Lawrence von Arabien« oder »Spiel mir das Lied vom Tod«, aber auch zahllose billige Abenteuerfilme und Spaghettiwestern.
In Cristinas Jeep fahren wir durch den Ort und biegen nach wenigen Minuten auf eine schma­le Piste ab, die uns durch eine immer kargere Landschaft führt. Um uns herum ragen Kakteen auf, die über zwei Meter hoch sind. Auf Knöchelhöhe begegnen uns hin und wieder Schilder, auf denen steht, dass die nächste Parzelle Privatbesitz ist und nicht befahren werden darf. »Das Gebiet ist zwar schon seit 20 Jahren geschützt«, erklärt Cristina, »aber der Staat hat nicht genug Geld, allen Grund zu kaufen.« 280 Quadratkilometer groß ist die gesamte Tabernas.
Mit einem energischen Ruck am Lenkrad kurvt Cristina in eine Art trockenes Flussbett und bringt den Jeep zum Stehen. »Die Tabernas ist das trockenste Gebiet Europas«, erklärt sie, als wir ausgestiegen sind. »Theoretisch ist es nur eine Halbwüste, weil es bis zu 250 Millimeter Niederschlag pro Jahr gibt.« Aber der krümelige Wüstengrund, die morgendliche Kühle, die einen bereits spüren lässt, dass sie gleich in gnadenlose Hitze übergehen wird, lassen uns großzügig darüber hinwegsehen. Langgezogene Felsriegel aus staubigen Gesteinsschichten begrenzen die Pfade durch steinerne Schluchten. Dürre, struppige Büschel bedecken spärlich den Boden.
Die Wüste von Tabernas hat eine außergewöhnliche Vielfalt. Teilweise ist sie von sogenannten Ramblas durchzogen. So heißen die Schluchten, durch die man mit dem Gelände­wagen fahren kann. Im Frühling dienen sie als Ablaufrinnen für das Schmelzwasser, das von den Gipfeln der umgebenden Sierra Nevada herunterströmt. Die schillernden weißen Flächen, die rund um die Ramblas im Sonnenlicht glänzen, zeugen vom Salz im Boden. »Die Ramblas kommen in Richard Lesters ›Wie ich den Krieg gewann‹ mit John Lennon vor«, beginnt Christina elegant ihre Führung. »Ganz in der Nähe hat auch Sergio Leone gedreht. Der brauchte dafür ein Areal mit weißem Sand. Da es den hier nicht gibt, wurde er mit LKW hergebracht.« Als Leone mit seinem Team abgereist war, nutzten Produzenten billiger Spaghettiwestern die neue Umgebung, bevor der Wind den Sand verweht hatte. »In dem Jahr sind hier meines Wissens 25 Filme gedreht worden. Alle mit weißem Sand in der Nebenrolle«, grinst unsere Führerin.
Gegen Mittag erreichen wir eine höher gelegene Stelle, die den Panoramablick über eine weite Schlucht freigibt. »Das ist das Valle del Búho, das Tal des Uhus«, sagt Cristina. »Das habt ihr bestimmt schon auf der Leinwand gesehen.« Aber sie mag nicht warten, bis wir selbst drauf kommen. »In ›Der Schuh des Manitu‹ stehen da unten die Marterpfähle von Bully Herbig und Christian Tramitz.« Naja. Lieber würden wir die Drehorte einiger echter Filmklassiker sehen. Als Cineastin hat Cristina vollstes Verständnis dafür. Zwei Minuten später sitzen wir wieder in ihrem Wagen.
Kurz darauf erhebt sich vor uns ein Hügel, der ganz aus gleißend weißem Schiefergestein besteht und in der Mittagssonne beeindruckend strahlt. »Sieht ein bisschen aus wie eine Schildkröte«, sagt Cristina. »Und heißt auch so – Tortuga. Auch die habt ihr schon gesehen.« Sie holt ihren Laptop aus dem Wagen. Ein paar Klicks später sehen wir die Tortuga auf dem Bildschirm. Und nicht nur die: Im Vordergrund reitet Harrison Ford um sein Leben, während er von Nazis in Panzern verfolgt wird. Die Tortuga spielte eine Nebenrolle in »Indiana Jones und der letzte Kreuzzug«. »Die Wüste von Tabernas war lange einer der wichtigsten Drehorte für Kinofilme in Europa«, erläutert unsere Führerin stolz. »Es war für die europäischen Teams einfach billiger, als nach Amerika zu gehen.« Irgendwann in den sechziger Jahren kamen US-amerikanische Produktionen dazu. In Hollywood hatte man begriffen, dass der Dollar im damals sehr armen Spanien mehr wert war als in den USA. Der Aufmarsch aufstrebender Stars wie Clint Eastwood, Charles Bronson und Omar Sharif begann. Nicht immer musste die Tabernas als Kulisse für Westernfilme herhalten. 1981 zum Beispiel ließ sich Arnold Schwarzenegger als »Conan der Barbar« hier nieder.
Cristina ist eigentlich Französin und verbrachte ihre Jugend in Salamanca, wo sie studierte und jahrelang im Marketing arbeitete. In die Wüste verliebte sich »auf den ersten Blick beim ersten Besuch«. Ihren Job in Salamanca kündigte sie wenige Monate später. Dann zog sie in den Ort Tabernas und begann, als Wüstenführerin zu arbeiten. Zuerst für Geologen und Botaniker, die auf wissenschaftlichen Exkursionen seltenen Gewächsen auf der Spur waren. So lernte sie immer mehr spektakuläre Winkel der Tabernas kennen. Sie gründete eine Firma, die Location Scouting für Filmteams anbietet. Aber auch Privatleute führt sie nach wie vor: »Filmfreaks wie ihr. Und Engländer, die seltene Vögel beobachten wollen.«
Wir klettern über eine kleine Holzbrücke und erreichen einen der Höhepunkte der Führung: die Oase aus »Lawrence von Arabien«. Allerdings wären wir glatt daran vorbeigelaufen, wenn uns Cristina nicht ein laminiertes Filmstill gezeigt hätte: »Erkennt ihr die Palmen?«
Ursprünglich hatte das Team in Jordanien mit den Dreharbeiten begonnen, musste sie aber wegen politischer Unruhen abbrechen und suchte deshalb nach einem Ort, der ähnlich aussah. Man fand ihn hier. Allerdings fehlten die Palmen. Die wurden in Alicante ausgegraben und hier wieder eingesetzt. Die Palmen stehen heute noch da. »Und sie haben sich ein wenig fortgepflanzt«, sagt Cristina. Alle Palmen, die heute in der Tabernas zu finden sind, stammen aus der originalen Filmrequisite aus dem Jahr 1962. Weil Peter O’Toole und Alec Guiness sich an einem Wasserloch treffen sollten, es ein solches aber nicht gab, wurde einfach ein Loch in den Wüstenboden gegraben und mit einer Plastikplane ausgelegt. Ungefähr so wie ein Gartenteich.
Eigentlich würde die gesamte Filmoase problemlos in jedes normale Altbauwohnzimmer passen. Dass sie auf der Leinwand so beeindruckend wirkt, ist also allein den Kameraleuten zuzuschreiben. Auch diese Kulisse wurde später wieder genutzt. Im Western »Für eine Handvoll Dollar« ritt hier Clint Eastwood entlang. Wenige Jahre später war der Mann ein Weltstar, seine Filmpartnerin Marianne Koch brachte es in Deutschland immerhin zum Gesicht der Ado-Gardinen-Kampagne und achtete im Werbefernsehen viele Jahre lang auf die Goldkante.
Mehr als 50 Jahre Dreharbeiten haben überall in der Tabernas Spuren hinterlassen. Nicht weit vom Tal des Uhus entfernt liegt der Eingang zu einem scheinbar uralten Stollen. Dahinter ist allerdings gar kein Stollen, es sind lediglich zwei Kammern, in denen einst Equipment aufbewahrt wurde. Eine der ältesten Kulissen, übriggeblieben von einem Dreh in den sechziger Jahren. Genutzt wurde sie allerdings nie wieder, weil schon gleich nach Abschluss der Arbeiten halbwild lebende Ziegen den Stollen als Toilettenhäuschen entdeckten. Entsprechend riecht es auch.
Mittlerweile ist es Nachmittag geworden. Zu heiß, um weiter durch die Gegend zu wandern. »Zeit für eine Rast in Fort Bravo«, beschließt Cristina. So heißt eine der drei Kulissenstädte, die in der Wüste von Tabernas noch übriggeblieben sind. Es ist die einzige Kulissenstadt, die noch für Dreharbeiten genutzt wird. Rafael Molina ist der Chef von Fort Bravo und stolz auf die Geschichte seiner Stadt: »Ursprünglich wurde das alles hier als Kulisse für Sergio Leones ›Spiel mir das Lied vom Tod‹ gebaut.« Letztlich entschied sich Leone für eine andere Kulissenstadt. Molina liebt und pflegt Fort Bravo aber trotzdem seit fast 40 Jahren.
Die Kulissenstadt besteht aus sandigen Straßen, die verlassen in der Sonne liegen. Auch Touristen bleiben in dieser Hitze lieber im Restaurant oder in den Pools ihrer Hotels. Links und rechts der Straßen stehen Holzfassaden, wie man sie aus jedem Western kennt: Post, Bank, Schmied und Saloon. Alle paar Minuten fährt dieselbe Pferdekutsche vorbei. Auf dem Bock sitzt ein junger Mann in Turnschuhen. Er sorgt dafür, dass die Pferde von Fort Bravo sich nicht langweilen. Als vierbeinige Statisten sind sie hier stationiert und können gemietet werden. Vor dem Saloon hält er an und fordert uns mit einer Geste auf einzusteigen. Vom Stadttor bis zum Saloon am andern Ende des Areals ist es recht weit, da kann man ein westerntypisches Taxi gut gebrauchen. Die Kutsche ist ein Originalstück und über hundert Jahre alt. Molinas Geschäftspartner ist Kutschennarr.
Auf der Fahrt zum Saloon, der als Restaurant dient, hören wir plötzlich Musik. Leise, aber doch vernehmbar. Die ersten Töne aus »Spiel mir das Lied vom Tod«. Sie kommen aus einem Lautsprecher, der kaum erkennbar an einer der Kulissenwände angebracht ist. Auf der Veranda vor dem Saloon sitzt Molina und winkt uns zu. Die Kutsche hält vor dem Galgen gleich nebenan und wir steigen ab.
»Früher war ich Stuntman«, erzählt der kleine, kugelrunde Molina. »Hab meistens Frauen gedoubelt, weil ich nur halb so schwer war wie jetzt.«
»Er war so dünn«, bestätigt Cristina und hebt zur Demonstration ihren schmalen Zeigefinger.
»Genau«, lacht Molina und hebt seine rechte Faust: »Und jetzt eher so!«
Bei einem Dreh verliebte Molina sich in die deutsche Regieassistentin und folgte ihr nach Hamburg, wo er unter anderem Stuntman für deren Sohn Patrick Bach in »Silas« war, einem der damals sehr beliebten Weihnachtsmehrteiler im deutschen Fernsehen. Nach neun Jahren zerbrach die Liebe. Zurück in Andalusien musste Molina feststellen: Spaghettiwestern waren nicht mehr gefragt, und Fort Bravo wurde nicht mehr gebucht. »Ich habe es trotzdem weitergeführt«, sagt Molina mit einer großen, stolzen Geste.
Deshalb begann Molina, Touristen auf dem Gelände herumzuführen, und in seinem Saloon mit Steaks und anderen herzhaften Westerngerichten zu verköstigen. »Neulich war ein französisches Filmteam da«, berichtet Molina. Seitdem steht »Boulangerie« an einem der Holzhäuser.
Warum ist dieser Ort und seine Geschichte eigentlich so wenig bekannt? »Das kommt daher, dass die Leute hier lange nicht auf die Idee kamen, dass es etwas Besonderes ist«, sagt Cristina. »Als die Stars da waren, machten die Leute hier meist nicht einmal Fotos von ihnen. Das war alles so normal damals. Charles Bronson war kein Mann aus Hollywood, sondern der Kerl, der mittags immer zum Essen in der Bodega auftauchte.« Die Andalusier sind nicht leicht zu beeindrucken. »Harrison Ford war schon ein Weltstar«, ergänzt Molina. »Für ›Indiana Jones‹ wurde er jeden Morgen von seinem Hotel in Almeria in die Tabernas zum Drehort gefahren. Da kam niemand auf den Gedanken, hier zu warten und sich ein Autogramm geben zu lassen.«
Mittlerweile ist später Nachmittag. An der Tankstelle in Tabernas verabschieden wir uns von Cristina. Sie muss ins Büro. Auf ihrem Handy ist während der Führung eine Anfrage eingegangen. »Da muss ich gleich reagieren.« Allzu viel wird in der Wüste von Tabernas nicht mehr gedreht. Viele Filmproduktionen gehen mittlerweile nach Litauen oder Marokko. Da ist es billiger, und es gibt eine spezialisierte Infrastruktur. Tabernas ist heute wieder etwas für Kenner oder für Werbefilme. Manchmal spielt die Tabernas aber auch noch Gegenden, wo man nicht drehen kann, etwa Afghanistan. Als sie in ihren Jeep einsteigt, lacht Cristina. »Wenn das mit der Anfrage von heute Nachmittag klappt, wird sie demnächst Syrien sein.« Bei der Abfahrt hupt sie noch einmal für uns. Entschlossen rumpelt Cristina in die untergehende Sonne, die rot und staubig am Horizont steht. Eine Schlussszene wie in einem Spaghettiwestern eben.