Die Aufnahmerichtlinie für Asylsuchende in der EU

Wegsperren statt aufnehmen

Eine geplante Neufassung der Aufnahmerichtlinie für Asylsuchende der EU ermöglicht es, diese fast ausnahmslos zu inhaftieren.

Im Herbst wird das Europäische Parlament über eine Neufassung der »Aufnahmerichtlinie für Asylsuchende« abstimmen, die die Gesetzgebung in den einzelnen EU-Staaten weiter angleichen soll. Die Richtlinie geht auf einen Entwurf von 2008 zurück und sieht vor, Asylsuchende in ganz Europa vom Tag ihrer Einreise an inhaftieren zu können. Dabei kann die Inhaftierung aus Gründen der Identitätsfeststellung, der Beweissicherung, der Bestimmung des Einreiserechts, der verspäteten Asylantragstellung, der »nationalen Sicherheit und Ordnung« sowie bei »besonderer Gefahr des Untertauchens« angeordnet werden. Auch die Inhaftierung von Kindern und Jugendlichen soll möglich sein. Im schlimmsten Fall können Menschen so für die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens in Haft genommen werden.
Bisher deutet alles darauf hin, dass der Entwurf angenommen wird. Wie alle EU-Staaten wird Deutschland nach der Ratifizierung angehalten sein, die Richtlinie gesetzlich zu verankern. Bis jetzt regt sich nur zögerlich Widerstand gegen diese weitere Erschwerung von Migration in die Europäische Union. Pro Asyl ruft mit der Kampagne »Schlüssel nach Brüssel« dazu auf, die EU-Abgeordneten direkt anzusprechen und sie zu überzeugen, gegen den Entwurf zu stimmen.
Seit dem No-Border-Camp in Köln im Juli überlegen Antirassistinnen und Antirassisten, wie darüber hinaus gegen die Maßnahme vorgegangen werden kann. »In einigen Ländern der EU wie zum Beispiel Ungarn, Malta oder Griechenland werden auch heute schon Asylsuchende ­regelmäßig inhaftiert. Jetzt sollen diese untragbaren Verhältnisse zum EU-weiten Standard werden«, kritisiert Anna* vom Antirassistischen Plenum Hannover. »Mit der Begründung der Angleichung der Gesetzgebung der einzelnen Mitgliedstaaten ließe sich durchaus auch die Abschaffung jeglicher Haft für Asylsuchende erklären. Dass die Harmonisierung auf eine Ausweitung der Inhaftierung von Asylsuchenden als Regelfall hinausläuft, dient der Abschreckung von Flüchtlingen.«
Auch in Deutschland werden Menschen im Asylverfahren durch Verwaltungshaft ihrer Freiheit beraubt. Neben der von den Ausländerbehörden beantragten Abschiebehaft und der Inhaftierung an Flughäfen bei der Einreise kann dazu die Zwangsunterbringung in halboffenen Wohnheimen sowie die Residenzpflicht gezählt werden. Es ist zu erwarten, dass die Ausweitung von freiheitsentziehenden Maßnahmen die gesellschaftliche Isolation von Asylsuchenden verstärkt. Ein Teilnehmer eines Workshops zum Thema auf dem No-Border-Camp merkte an: »Einige fliehen vor dem Gefängnis und landen hier wieder im Gefängnis. Das ist sehr belastend für die Betroffenen, zumal die Haft nicht selten von unbekannter Dauer ist.« Tatsächlich sind im Gesetzentwurf keine Zeitbeschränkungen vorgesehen.

Allerdings ist derzeit nicht zu erwarten, dass in Deutschland viele weitere Haftplätze für Geflüchtete geschaffen werden. Das ist einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage zu entnehmen. Die Richtlinie scheint vielmehr darauf zu zielen, das Dublin-II-Abkommens effizienter umzusetzen. Dieses sieht vor, dass Asyl­suchende nur in dem Land Asyl beantragen können, in dem sie sich innerhalb der EU zuerst aufgehalten haben. So erwarten antirassistische Initiativen vor allem die Einrichtung weiterer Haftanstalten entlang der Außengrenzen, die Ankommende von vornherein daran hindern, in das Land ihrer Wahl weiterzureisen. Das Gesetz legitimiert staatliche Willkür im Umgang mit Migrantinnen und Migranten ohne Papiere.
»Eine solche Regelung ist nur möglich in einer rassistisch verfassten Gesellschaft, deren innerer Zusammenhalt davon abhängt, dass Personen als Fremde konstruiert, ausgeschlossen und abgewertet werden. Durch die Zuweisung unterschiedlicher Rechte nach der Staatsbürgerschaft wird dieser Ausschluss institutionalisiert«, re­sümiert Anna. Für den 5. Oktober ist ein bundesweiter Aktionstag gegen die Aufnahmerichtlinie geplant.

* Name von der Redaktion geändert