Eine neue Biographie über Deng Xiaoping

Deng, der große Held

Der US-Außenpolitik stellt sich die Frage, ob China eher als Partner oder als Gegner zu betrachten sei. Eine vieldiskutierte neue Biographie über Deng Xiaoping dürfte zum Standardwerk der prochinesischen Fraktion werden.

In den Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten gibt es derzeit einige Spannungen. Im US-Wahlkampf verlangt der republikanische Herausforderer Mitt Romney eine härtere Gangart gegenüber China. Die Vorstellung, dass die Billigkonkurrenz aus Fernost amerikanische Arbeitsplätze zerstöre, ist weit verbreitet und wird populistisch genutzt. Präsident Barack Obama wie Romney fordern die Aufhebung von Handelsschranken für US-amerikanische Waren in China sowie eine Aufwertung des angeblich unterbewerteten Renminbi. Und im Konflikt um Gebietsansprüche im südchinesischen Meer, in dem wichtige Öl- und Gasvorkommen lagern, schlagen sich die USA nach Meinung der chinesischen Regierung zu sehr auf die Seite der Philippinen und Vietnams. Darüber hinaus bereitet ihr der Ausbau eines US-Marinestützpunkts im Norden Aus­traliens Sorgen. Der Westpazifik wird für die USA militärstrategisch wichtiger als der Atlantik. Jede US-Regierung muss entscheiden, ob sie China in erster Linie als Partner oder Gegner sieht.
Orientierung kann dabei die neue Biographie »Deng Xiaoping and the Transformation of China« von Ezra Vogel geben, die in US-Medien derzeit heftig diskutiert wird. Der Autor gehört zu den Akademikern des Landes, die ohne Vorbehalte eine enge und freundschaftliche Beziehung zu China propagieren. Auf über 870 Seiten feiert er Deng Xiaoping (1904–1997), den Initiator der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik nach 1978, als großen Staatsmann. Vogel fragt sogar, ob es im 20. Jahrhundert einen anderen politischen Führer gab, der das Leben so vieler Menschen verbessert und die Weltgeschichte derart beeinflusst habe.

Für Vogel ist Dengs größtes Verdienst die Integration Chinas in die kapitalistische Weltwirtschaft und ihre Institutionen. Das Buch liest sich daher auch wie eine Laudatio auf die US-Außenpolitik. Der außenpolitische Stratege und ehemalige Berater von Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, preist es als maßgebenden Beitrag über die strategische Annäherung zwischen China und den USA. Der pensionierte Harvard-Professor Vogel war von 1993 bis 1995 unter der Regierung Bill Clintons selbst für die CIA als »National Intelligence Officer« für Ostasien tätig. Er tritt für ein »strategisches Dreieck« zwischen den USA, China und Japan ein. In Japan wurde er 1979 mit seinem Buch »Japan as Number One« berühmt, das bis heute das meistverkaufte Sachbuch eines westlichen Autors in Japan ist. Damals argumentierte er, dass die USA von Japans Bildungs- und Verwaltungssystem lernen sollten. Japan werde von strategisch denkenden Technokraten geleitet und betreibe eine sinnvolle Wirtschaftsplanung.
Deng war bisher kaum Gegenstand von Biographien, weil der KP-Funktionär weder besonders charismatisch war noch bedeutende schriftliche Zeugnisse hinterließ. Mitte der fünfziger Jahre stieg Deng zum Generalsekretär der KPCh auf. Mit organisatorischem Talent setzte er Maos Bewegungen wie die »Anti-Rechts-Kampagne« gegen Intellektuelle (1957) und den »Großen Sprung nach vorne« (1958–1961) um. Als der »Großen Sprung« eine Hungernot auslöste, zog sich Mao in die zweite Reihe zurück. Nun konnte Deng eigene Akzente setzen, als er, um die Krise zu überwinden, Anfang der sechziger Jahre zeitweise die Volkskommune durch die Familienverantwortlichkeit der Bauern ersetzen ließ, im Bildungssystem Auswahlverfahren und Elitenbildung förderte und in den Fabriken die Macht der Manager gegenüber der Arbeiterbeteiligung stärkte. Während der sogenannten Kulturrevolution wurde Deng als »Machthaber des kapitalistischen Weges« 1968 und erneut 1976 gestürzt. Mao verteidigte ihn allerdings. Deng wurde nie aus der Partei ausgeschlossen und blieb während seiner Verbannung in einem Traktorenwerk in der Provinz Jiangsu unbehelligt. Sein Sohn Pufang hatte weniger Glück, infolge des Terrors der Roten Garden wurde er querschnittsgelähmt.

Zwei Jahre nach Maos Tod kam für Deng die große Stunde, als er nach seiner Rehabilitierung die Reform- und Öffnungspolitik in der Partei durchsetzen konnte. Er delegierte die konkrete Umsetzung an jüngere Kollegen und behielt selbst das Kommando über die Volksbefreiungsarmee (VBA). Vogel unterstreicht die große Bedeutung seiner Entscheidungen, westliche Technologie zu importieren, Tausende chinesische Studierende ins Ausland zu schicken und in Sonderwirtschaftzonen im Süden ausländische Direktinvestitionen zu erlauben. Chinas großer Vorteil im Vergleich zur damaligen Sowjetunion seien die lange Küste, die Existenz des internationalen Finanzzentrums Hong Kong als Tor zum Weltmarkt und die Nachkommen der 20 Millionen ausgewanderten Festlandschinesen in Südostasien, die den Großteil der Investitionen tätigten.
Vogel zufolge hat Dengs Politik Hunderte Millionen Chinesen aus der Armut befreit. An keiner Stelle belegt er dieses Argument aber mit Statistiken. Die Rückschritte in der Gesundheitsversorgung und der Grundbildung auf dem Land in den achtziger Jahren bleiben unerwähnt. Dass sich Kader in Machtpositionen besonders bereichert haben, war Vogel zufolge für Deng ein notwendiges Übel, damit die Bürokraten nicht wie in der Sowjetunion die Wirtschaftsreformen blockieren. Wie bei vielen Problemen verweist Vogel darauf, dass Dengs Nachfolger eine Lösung finden sollen.
Auf über 80 Seiten beschreibt Vogel Dengs Kampf gegen die »sowjetisch-vietnamesische Bedrohung«. Seit Mitte der siebziger Jahre galt der chinesischen Regierung die UdSSR als Hauptfeind. Chinas Krieg gegen Vietnam im Februar 1979 war mit den neuen Partnern, USA und Japan, abgesprochen. Deng sah darin eine »Strafaktion«, weil Vietnam zuvor die Roten Khmer in Kambodscha gestürzt hatte. Er gab den Befehl zum Angriff fünf Tage nach seiner Rückkehr von einem triumphalen Staatsbesuch in den USA. Obwohl in dem Krieg allein auf chinesischer Seite über 25 000 Menschen starben und er die militärische Schwäche der VBA offenbarte, bewertet Vogel es positiv, dass China den angeblichen Vormarsch Vietnams in Südostasien stoppte. Die UdSSR musste außerdem die Marinestützpunkte in Vietnam aufgeben. Auch die US-Regierung unterstützte Pol Pots »nationalen Widerstand« gegen die »vietnamesischen Aggressoren«. Vogel rechtfertigt somit die damalige US-Außenpolitik und erwähnt nur in einem Satz, dass Pol Pot, dessen Herrschaft mindestens 1,4 Millionen Kambodschanern das Leben kostete, berüchtigt dafür war, grausam zu töten. Der Krieg gegen Vietnam bildete allerdings den vorläufigen Höhepunkt der strategischen Beziehungen zwischen den USA und China. Da US-Regierungen weiter Waffen an Taiwan verkauften, das Peking als abtrünnige Provinz betrachtet, kam es immer wieder zu Konflikten – bis heute.

Im Westen wird Dengs Bild insbesondere durch seine zentrale Rolle bei der blutigen Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens durch die Armee 1989 getrübt. Vogel argumentiert, dass »diese Tragödie« nicht hätte passieren sollen. Deng habe schließlich den Armeeeinsatz als letzte Möglichkeit gewählt, um die Ordnung wiederherzustellen. Einen Teil der Verantwortung schiebt Vogel den jungen und unerfahrenen Studierenden zu, deren Führer nicht in der Lage gewesen seien, ihre eigene Bewegung zu kontrollieren. Ohne das Massaker direkt zu rechtfertigen, meint Vogel jedoch, dass die zwei Jahrzehnte nach 1989 China Wachstum und Sta­bilität beschert hätten, natürlich dank der Fortsetzung der Politik Dengs. Vogels Biographie wird sicher zum Standardwerk der prochinesischen Fraktion der US-amerikanischen Politik. Oft ­bewundern Akademiker große Männer, die Geschichte machen, und können deren Sorgen verstehen, wenn Ordnung und Stabilität durch die Massen gestört werden. Der Beitrag der Mi­llionen Wanderarbeiter und Wanderarbeiterinnen sowie der Landbevölkerung zu Chinas »Wirtschaftswunder« wird in dieser Art von Geschichtsschreibung im Nebensatz abgehandelt.