Über die neuen Technologien zur Grenzsicherung

Wo Grenzen an Forschung stoßen

Von der privaten und öffentlichen Forschung verspricht sich die EU neue Technologien zum Aufspüren von Flüchtlingen. Elektronische Spürhunde, vernetzte Sensoren und intelligente Roboterfahrzeuge sollen künftig die Sicherung der Grenzen teilautomatisieren.

Im Juli veröffentlichte die EU die letzte Ausschreibungsrunde des 7. Forschungsrahmenprogramms. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die wollen, dass ihre Forschung von der EU gefördert wird, müssen ein schlüssiges Lösungskonzept für von der Europäischen Kommission als besonders dringend erachtete Probleme vorlegen. Als Beispiele dafür nennt das 7. Forschungsrahmenprogramm aber nicht nur Bereiche wie das Altern der Gesellschaft, erneuerbare Energien und Jugendarbeitslosigkeit – die Kommission sucht unter dem Stichwort »security« auch neue Technologien zur Grenzüberwachung. Forscherinnen und Forscher an technischen Hochschulen und privatwirtschaftlichen Instituten, die in der aktuellen Ausschreibung eines der prestigeträchtigen und hochfinanzierten EU-Projekte ergattern wollen, bemühen sich also um Konzepte zum Aufspüren von Flüchtlingen. Die Wünsche der EU sind klar umrissen und erlauben Einblicke in den operativen Bereich der Grenzüberwachung – diese gemahnen indes an düstere Science-Fiction-Szenarien.

So wurde im Juli ein Forschungsprojekt mit dem Titel »Erfassung versteckter Menschen« ausgeschrieben – Ziel ist das mechanisierte Aufspüren von in Fahrzeugen versteckten Flüchtlingen, sogenannten irregulären Migranten. Hier bemängelt die Europäische Kommission im Ausschreibungstext, dass die bislang zur Verfügung stehende Technologie zu fehleranfällig und kostspielig sei: CO2- und Herzschlagdetektoren sowie Röntgenverfahren mangele es an Effizienz. Daher wünscht sich die EU ein neues Gerät, das automatisch, kosteneffizient und schnell Fahrzeuge auf versteckte Flüchtlinge hin überprüft. Bislang seien nur Stichproben möglich, dies solle sich ändern. Es handelt sich nicht um das einzige Forschungsprojekt in diesem Bereich, denn es wird darauf hingewiesen, dass derzeit bereits mit EU-Geldern aus einer früheren Finanzierungsrunde ein ähnliches Gerät entwickelt werde. Menschliche Respirationsluft in Fahrzeugen werde damit künftig elektronisch aufgespürt, die Kommission bittet nun darum, alternative Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die EU-Agentur für Grenzschutz, Frontex, soll in die Entwicklung mit einbezogen werden und Wünsche aus der Praxis artikulieren, zu rechnen ist mit einem Projekt in einer Größenordnung von bis zu 3,5 Millionen Euro.
Bei einem weiteren ausgeschriebenen Projekt geht es um das Aufspüren von Menschen und Fahrzeugen unter Belaubung. Die Kommission bedauert im Text, dass ein großer Teil der EU-Grenzen durch Wälder verlaufe und die bisher verwendete Technik – beispielsweise Radarüberwachung – in dieser Umgebung an ihre Grenzen stoße. Menschen und Fahrzeuge sollen aber auch im Waldgebiet in Zukunft möglichst präzise und automatisiert aufgespürt werden. Der EU schwebt hierfür ein System von bis zu fünf Technologien vor, bestehend aus Niedrigfrequenzradaren, hyperspektralen Bildgebungsverfahren, versteckten Bodensensoren und verschiedenen Lasertechniken, die kombiniert werden müssen, um die jeweiligen Schwächen zu kompensieren. »Mensch­liche Aktivitäten mit abnormalen Charakteristiken« im Wald sollen durch das neue System erfasst und an die zuständigen Behörden mit Standort über Intranet weitergeleitet werden. Die »Endverbraucher«, Angehörige der Grenzpolizei und Frontex-Personal, werden abschließend im Selbstversuch die neue Ausrüstung evaluieren. Ausgeschrieben ist ein Projekt mittlerer Größe, laut Auskunft der Kontaktstelle für das Forschungsrahmenprogramm werden hierfür zwischen neun und 15 Millionen Euro veranschlagt.

Solche Ausschreibungen sind keineswegs neu. Im April dieses Jahres wurden beispielsweise die Ergebnisse des internationalen Projekts Talos (Transportable Autonomous Patrol for Land Border Surveillance System) vorgestellt. Für Interessierte gibt es ein Werbevideo im Internet. Hier kann man panzerartige Fahrzeuge dabei beobachten, wie sie, mit künstlicher Intelligenz und modernen Sensoren ausgestattet, selbständig Landgrenzen abfahren und nach Flüchtlingen suchen. Im animierten Video versucht ein Mensch mit einem Koffer in der Hand, die Grenze zu übertreten, wird aber von einem der Roboterpanzer aufgespürt und mit dem Lautsprecherausruf »Freeze!« angehalten, bis die alarmierte Grenzpolizei eintrifft. Der Panzer ist nicht bewaffnet, was unter dem Punkt »ethische Aspekte« auf der Website des Projekts als vorteilhaft hervorgehoben wird: »Es besteht kein Risiko für Menschen«. Ob derartige Roboter in Zukunft auch »Manstopper« oder ähnliches mit sich führen, dürfte aber nur vom politischen Willen abhängig sein. Die EU beteiligte sich an der Finanzierung der Entwicklung der Roboter mit 13 Millionen Euro, Proto­typen sind bereits abgeschlossen. Das wohl bald implementierte Talos-Projekt zeigt, dass sich nicht nur die privatwirtschaftliche Forschung mit der Flüchtlingsjagd befasst: Neben verschiedenen Sicherheitsfirmen findet sich auf der Liste der teilnehmenden Institutionen auch die Technische Universität Warschau. In dieser Stadt hat übrigens auch Frontex ihren Sitz. Bei der Namens­gebung für die neuen Roboter bediente sich das internationale Team aus der griechischen Mythologie: Talos ist darin der Name eines bronzenen Riesen, der die Insel Kreta bewachte und Eindringlinge bei lebendigem Leib verbrannte. Auf seiner Website bemüht sich das Projektteam, »ethische Aspekte« hervorzuheben, doch allein die Wahl des Akronyms zeugt von Zynismus.
Nüchtern betrachtet überrascht es wenig, dass die EU Forschungsförderung zur Grenzüberwachung zu nutzen versucht. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass dieses Jahr Presseberichten und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge mindestens 170 Menschen beim Versuch, das europäische Festland zu erreichen, auf dem Mittelmeer gestorben sind oder als vermisst gelten. Letztes Jahr galten laut UNHCR 1 500 Personen als vermisst. Bezüglich der Seegrenzen hält die Europäische Kommission im Juli nun aber lediglich fest, dass dieser Bereich bereits durch das 7. Forschungsrahmenprogramm ausreichend abgedeckt sei. Hiermit sind Projekte aus früheren Ausschreibungsrunden gemeint, etwa das mit 9,8 Millionen Euro geförderte Seabilla-Projekt (Sea Border Surveillance), das noch bis 2014 läuft. Bei Seabilla handelt es sich um ein sogenanntes Integrationsprojekt, bei dem vorherige Forschungen und Entwicklungen miteinander verbunden werden sollen: Fliegende Drohnen, Satellitenüberwachung, vernetzte Sensortechnik zum Aufspüren kleiner Boote und neue Datenverarbeitungssysteme werden zu einem System zusammengeführt.

Dies Europäische Kommission möchte die geförderten Überwachungstechnologien zu Land, zu Wasser und in der Luft in einem »Integrierten Grenz-Management« vereint sehen, gemäß den Zielen der schon seit 2008 geplanten Zusammenführung der europäischen Grenzüberwachung »Eurosur« entspricht. Neben der Verhinderung von »illegaler Einwanderung« – in neueren Texten wird inzwischen vermehrt von »irregulärer Einwanderung« gesprochen – und von Drogenschmuggel soll durch das Seabilla-System der Website des Projekts zufolge auch die Zahl der Todesopfer auf dem Mittelmeer vermindert werden. Zumindest in den veröffentlichten Projekttexten erscheint dies aber eher als eine Art Nebeneffekt denn als ein primäres Ziel. Ob die effektivere Überwachung auf See in dieser Form auch zu effektiveren Rettungsaktionen führen wird, bleibt fraglich. Basierend auf einer eigenen Studie kritisierte die Heinrich-Böll-Stiftung im Mai dieses Jahres bereits scharf, dass Seenotrettungseinheiten in den geplanten Datentransfer von Eurosur nicht eingebunden werden sollen. Weiter heißt es in der Studie: »Die Kommission hat wiederholt die zukünftige Rolle von Eurosur für den ›Schutz und die Rettung‹ von Migrantinnen und Migranten hervorgehoben, doch weder in der vorgeschlagenen Verordnung noch in zahlreichen Bewertungen, Studien, Forschungs- und Entwicklungsprojekten ist irgendwo definiert, wie das genau erfolgen wird.«
Dass die Landgrenzen in der aktuellen Ausschreibung trotz der wiederholten Tragödien auf dem Mittelmeer in diesem Jahr so stark in den Mittelpunkt der Forschungsförderung rücken, entspricht der »Risikoanalyse« von Frontex aus dem ersten Quartal dieses Jahres. Ihr zufolge wurden in dem Zeitraum mehr illegale Grenzübergänge entlang der äußeren Landgrenze der EU erfasst als in den meisten ersten Quartalen zuvor. Es geht im aktuellen Bericht vor allem um die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei und den starken Anstieg der Flüchtlingszahlen aus Afghanistan, Bangladesh, Syrien und Somalia in diesem Grenzbereich.
An diesem Punkt werden europäische Forscherinnen und Forscher wieder einmal Frontex unterstützen. Es vermag zwar kaum zu überraschen, dass sich genug Forschende und Ingenieure finden, die gerne langjährige Entwicklungszeiten und intellektuelle Anstrengung in das Aufspüren von Flüchtlingen investieren. Doch ist die Frage angebracht, ob Wissenschaft und Technik der Gesellschaft nicht bereits größere Errungenschaften als ein Gerät zur »Erfassung versteckter Menschen« eingebracht haben. Mit Blick auf das Mittelmeer wären beispielsweise Projekte unter der Überschrift »safety« und nicht »security« mehr als wünschenswert.