Jonathan Meese wird in Bayreuth »Parsifal« inszenieren

Wagner, Pimmel, Hakenkreuze

Kunst als asoziale Plastik: Jonathan Meese wird in Bayreuth 2016 Regie und Bühnenbild für Richard Wagners »Parsifal« besorgen.

Ich mach Dich fertig, du kleine Nulpe, du!« droht Jonathan Meese dem Kunstkommilitonen, Betriebskollegen und Freund Daniel Richter: Auf dessen Homepage (www.danielrichter.com) kann man unter dem Link »F« wie »fight« die beiden in einer Echtfilm-Animation aufeinander losgehen lassen, Freistil, alles ist erlaubt: Schlagen, schießen, treten. Geboxt wird mit der blanken Faust, geschossen mit der Banane, geprügelt mit einem Krocket-Spiel samt Pappverpackung. Dazu gibt es bei jedem Treffer ein paar Funken und Sternchen. Mal gewinnt Richter durch ordentlichen Knockout, inklusive Blutspritzer, mal Meese durch eine grün-braune Pups-Wolke, die sich über den ganzen Bildschirm verteilt.
Wie angeblich schon immer sollen auch heute noch in der Kunst Genie und Wahnsinn dicht beieinander liegen: Einerseits Richter, das Genie, der »neue Malerfürst« und Akademie-Professor, andererseits Meese, der Wahnsinnige, die »Ameise der Kunst«, der »Soldat«. Und beides gehört zusammen, irgendwie; jedenfalls verkauft es sich ganz gut im Doppelpack. 2006 stellten Richter und Meese unter dem Titel »Die Peitsche der Erinnerung« gemeinsam aus; es ging um »den Umgang der beiden Künstler mit der Geschichte«. Beide hatten es geschafft, wurden nun als die »größten Künstler der Gegenwart« gehandelt – mit Erfolg in jeder Hinsicht. Richter wie Meese bekamen ihre erste Retrospektive, Einzelausstellungen im großen Stil. Meese war noch im selben Jahr in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Eine Werkschau präsentierte auf zirka 2 500 Quadratmetern über 150 Arbeiten, im Mittelpunkt eine Bühnenbild-Installation (acht Meter hoch, 40 Meter lang, 20 Meter breit; damals für Frank Castorfs Volksbühnen-Inszenierung »Kokain« nach dem »Skandalroman« von Pitigrilli), in der Meese seine Performance »Der geometrische Gott« aufführte. Alle waren begeistert, weit über die üblichen Kreise hinaus. Auch das Magazin DB mobil berichtete über die Ausstellung und, wie immer in diesem Magazin, als Erfolgsbiographie kaschiert, über Jonathan Meese, seine Anliegen und seine Absichten. »Der Künstler als Raubtier« nannte das Kristina von Klot in ihrer gewohnt ICE-flotten Sprache, mit der sie ansonsten über die vermeintlichen Außenseiter der Popkultur schreibt. Freilich funktionieren solche Metaphern nur bei denen, die ohnehin schon den Stempel des »Skandalkünstlers« tragen; der Skandal ist schließlich das Ticket, mit dem eine Ausstellung, zudem eine aufwendige Großausstellung, überhaupt zum Kassenschlager werden kann – da funktioniert der Kunstbetrieb wie jedes Segment der Popkulturindustrie, nämlich nach dem Prinzip des Castings (was wörtlich auch »Einformung« oder »Abguss« heißt). Ein bisschen kaputte Sozialisation gehört dazu, ein bisschen Schulversager, der Rest ist authentisches Schauspiel einer approbierten Rolle. Meese hat das alles, Meese kann das alles, und er macht das gut.
Vorgeführt wird Meese so, als betreibe er ein gefährliches Spiel mit Grenzüberschreitungen, als ginge er immer noch einen Schritt weiter. Tatsächlich dürfen die Regeln des definierten Geschäftsbereichs Kunst nicht übertreten werden. Doch die wie auch immer gemeinte Sorge, Meese könne es mit seiner nächsten Aktion tatsächlich einmal zu weit treiben, ist gänzlich unbegründet. Kaum jemand bewegt sich im Kunstsegment des Kulturbetriebs derzeit sicherer im Zentrum des Geschehens, kaum jemand erfüllt die Erwartungen des auf Sensation spekulierenden Publikums gewissenhafter und freundlicher.
Mittlerweile hat Meese sich auf das Programm einer von ihm proklamierten »Diktatur der Kunst« eingeschossen. Er darf sich austoben, seine Mutter macht die Buchhaltung. In einer mitunter amüsanten Mischung aus Superlativen faschistoider Floskeln und Versatzstücken der üblichen standardisierten Obszönitäten wird er laut und wettert gegen Religion, Ideologie und Politik, insbesondere die Demokratie. »Der Mensch, der sein Leben der Menschen-Demokratie widmet, ist der Totalhorror. Der Mensch, der am Gelingen der Weltdemokratie oder der Menschen-Weltregierung arbeitet, ist die größte Drecksau aller Zeiten«, heißt es bündig in Meeses jüngst bei Suhrkamp erschienenem Kompendium »Ausgewählte Schriften zur Diktatur der Kunst«. Stets gilt die Regel: Je lauter und aggressiver sein Vortrag ist, je öfter er beschwört, Angst vor der Realität zu haben, aber keine vor Adolf Hitler (denn so insistiert er, »kein Tier hat Angst vor Adolf Hitler«), umso gewisser ist ihm die Sympathie des Publikums.
Nur einmal klappte das nicht, und zwar Anfang Juni 2012, als Meese im Vorfeld der Documenta 13 vom Spiegel zu einem Künstlergespräch nach Kassel eingeladen war. Er teilte aus, beschimpfte Kunststudenten als »Ich-versaut«, denn, so erläuterte er in seiner propagandistischen Brillanz, »diese Studenten-Fürze – das sind alles Hämorrhiden im Arsch des Staates!« Und dann kam ein junger Mann, bahnte sich seinen Weg durch die 400 anwesenden Zuhörer. Meese sagte zu ihm: »Sie müssen nach Hause gehen und strammstehen!« Dann fegte der junge Mann Meeses Wasserglas vom Tisch, zwei beherzte ältere Männer aus dem Publikum hielten ihn zurück, versuchten ihn sofort aus dem Saal zu zerren. Meese meckerte: »Das Glas kann nichts dafür! Das ist Realitätsfanatismus! Das geht nicht!« Darauf entgegnete der junge Mann: »Die Revolution beginnt auf der Bühne! Das Spiel ist aus!« Kleiner Applaus aus dem Publikum, Meese meckerte weiter. Eine der beiden Moderatorinnen vom Spiegel sagte enttäuscht und entrüstet: »Schade!« Und einer der älteren beiden Männer sagte hämisch zum jungen Mann wie zu einem Kleinkind: »Ja? Bist du Realitätsfanatiker?« Diese letzte Minute dieses eineinhalbstündigen Klamauks verrät beinahe alles über den Sinn, aber mehr noch und vor allem über den Unsinn der Kunst; und zwar nicht Meeses Kunst allein, sondern all jener Kunst, die die interessierte postbürgerliche Halbbildung zu ihrer Domäne gemacht hat. Meese blamiert diese Halbbildung, nicht indem er sie in reflektierter Klugheit überführt, sondern indem er sie in plumper Dummheit überbietet.
Dass Meese indes der Kunst diene und versuche, sie gegen die Realität zu verteidigen, ist ebensolcher Quatsch wie überhaupt der ganze Entwurf einer »Diktatur der Kunst«. Seine Narrenposition innerhalb des Betriebs garantiert mithin genau das Gegenteil: Er dient der Realität, stabilisiert sie, indem er sich zum Popanz machen lässt und nonchalant die zu dieser Rolle gehörenden Klischees allesamt brav erfüllt. Das funktioniert nun deshalb auch ganz passabel, weil das gegenwärtig im öffentlichen Diskurs – im Feuilleton wie an den Akademien oder im Alltagsbewusstsein – mit dem Begriff »Kunst« Assoziierte ohnehin vollständig banalisiert, leer und ohnmächtig ist. Die Gegenwartskunst ist in der Gegenwart angekommen. Sie ist verständlich geworden, gewöhnlich auch dort, wo sie sich angeblich auf das Ungewöhnliche, Außergewöhnliche, Abweichende und Anomale kapriziert. Diese Kunst transzendiert nicht und nichts mehr (nicht einmal sich selbst). Sie hat kein Geheimnis mehr, kein Rätsel beziehungsweise keinen Rätselcharakter. Ihre Symbole sind banale Plaketten unwitziger Überdeutlichkeit.
Wagner, Pimmel, Hakenkreuze und noch einmal Wagner – das gehörte immer schon zum Repertoire von Meeses bildarmer Bilderflut. »Jonathan Meese ist Mutter Parzival« hieß bereits eine Performance-Serie zu Ostern 2005. Und nun wird in einem »Manifest« vom 25. Juli 2012 postuliert: »Für ›Richard Wagner‹ marschiert Meese in die Totalstideologielosigkeit ›Diktatur der Kunst‹, toll, toll, toll.« Denn, so hat Meese nachträglich hinzugefügt, »Richard Wagner ist keinerlei pupsindividuelle Spekulation«.
Meese gibt hier bekannt: seine »Übernahme der Inszenierung des Parsifal bei den Bayreuther Festspielen 2016«. Einen Monat zuvor hatte er in Begleitung seiner Mutter Brigitte Meese mit den Festspielleiterinnen und Wagner-Urenkelinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier den Vertrag unterschrieben. »Wenn Mami sagt, ich soll Bayreuth machen, dann muss ich Bayreuth auch machen!«
»Parsifal« ist Richard Wagners letztes Musikdrama, uraufgeführt am 26. Juli 1882, ein halbes Jahr vor Wagners Tod im Februar 1883. Fast fünf Jahre hat Wagner am »Parsifal« gearbeitet, seit 1877 zunächst in der Villa Wahnfried in Bayreuth, dann in Italien. In Palermo vollendete er das Werk, eine Adaption der spätmittelalterlichen Parzival-Sage Wolframs von Eschenbach. Friedrich Nietzsche deutet den »Parsifal« als Wagners »Weg nach Rom«, als Bekenntnis zur christlichen Moral der Schwachen, und hört »Priester-Händespreizen«, »Nonnen-Äugeln« und »Ave-Glocken-Bimmeln«. Zur selben Zeit schreibt Wagner »Religion und Kunst«. »Wir müssen erkennen, dass eine große Regeneration des verdorbenen Menschengeschlechtes nur aus dem tiefen Boden einer wahrhaftigen Religion erwachsen kann«, heißt es dort. Die Musik steht im Dienst dieser Regeneration. Seinen »Parsifal« nennt Wagner deshalb ein »Bühnenweihfestspiel« beziehungsweise einen »weihevoll reinigenden religiösen Akt«; ausschließlich in Bayreuth soll »Parsifal« aufgeführt werden. Und auch im Alterswerk verzichtet Wagner nicht auf seine antisemitischen Affronts, verteidigt ein antijüdisches Christentum.
Meese wird hier nichts machen, was die kritische Auseinandersetzung um Wagner bereichern könnte. Es wird ein ziemliches Brimborium werden. Wagners bizarre Mitleidsethik, von der die Oper handelt, wird grotesk mit Meeses gewohnt infantilem Größenwahn überspachtelt werden; die Religion wird nicht, wie Meese ankündigt, von der Kunst »ersetzt«, sondern einfach nur mit kruden Ressentiments überzogen werden. Ob Meese in Bayreuth ein paar Hakenkreuze mehr oder weniger auf die Bühne bringt, ist ohnehin gleichgültig – die Festspiele und ihre Geschichte sind voll davon (ein aktuelles Beispiel ist die sogenannte Hakenkreuz-Tattoo-Affäre um faschistische Tätowierungen des Bassbaritons Evgeny Nikitin).
Meese erklärt Wagner für ideologiefrei, indem er alles zur Ideologie macht; er polemisiert mit der Kunst gegen Religion und Politik, indem er die Kunst zur Religion und Politik schlechthin erhebt; verächtlich poltert er gegen die »mickrige Selbstfindung«, die er gleichwohl mit seinen Bildern betreibt. Was Wagner wenigstens noch als Tragödie für die Kunst deutete, wird bei Meese wahrscheinlich als Farce in Belanglosigkeit untergehen. Meese wird brav dienen (und auch das eine Verkehrung: Er »spielt« ja nicht, wie er immer wieder beteuert, sondern arbeitet).
Eine Überraschung wäre es, wenn Meese plötzlich sein Spektakel als schlechten Scherz enttarnt und das Publikum lächerlich macht, weil es sich mit ein paar hingeschmierten, -gebrüllten und -gekritzelten Pseudoprovokationen zufrieden gibt: das Hakenkreuz in der Kunst als Unterhaltung, das Hakenkreuz außerhalb der Kunst – allerhöchstens als Sachbeschädigung. Dafür bräuchte es aber Solidarität, die in rettender Kritik mit der Kunst das Band wieder zur Gesellschaft spannt. Zumindest in dem, was Meese bisher gemacht hat, ist dafür jedoch kein Platz: Sein ästhetischer Solipsismus konterkariert bestenfalls das, was der Wehrmachtsflieger und Anthroposoph Joseph Beuys einmal die soziale Plastik nannte – als asoziale Plastik.