Was Christen, Juden und Aleviten erlaubt ist, muss auch für Muslime gelten

Alle oder keiner!

Konfessioneller Religionsunterricht hat in Deutschland Verfassungsrang. Solange dies nicht geändert wird, muss das Recht für alle gelten.

Brauchen wir in Deutschland einen islamischen Religionsunterricht? Viele sagen spontan »nein« und bringen mit Verve sogleich das Argument vor, dass wir in einer werteplural orientierten Zivilgesellschaft lebten, die durch eine hohe Diversität an Lebensentwürfen gekennzeichnet sei. In einer solchen Gesellschaft sei ein nach Konfessionen segregierter Religionsunterricht wenig sinnvoll. Besser sei es, wenn Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen gemeinsam lernten.

Wie so etwas funktioniere, zeige seit geraumer Zeit zum Beipsiel der Stadtstaat Hamburg mit seinem »Religionsunterricht für alle«. Christliche, muslimische und jüdische Kinder hätten hier die Möglichkeit, in einem gemeinschaftlich gestalteten Lernprozess die Religion der jeweils anderen in authentischen Begegnungen zu erfahren. Kurzum, ideale Bedingungen, um Dialogkompetenz und Toleranz zu erlernen.
Diese durchaus schlüssige Argumentation verkennt jedoch die verfassungsrechtliche Lage. Der Religionsunterricht ist das einzige Schulfach, das im Grundgesetz verankert ist. In Artikel 7 Absatz 3 heißt es: »Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.« Hintergrund für den Verfassungsrang dieser Regelung ist die NS-Geschichte. Unmittelbar nach dem Kriegsende misstraute man mit gutem Grund dem staatlichen Erziehungswesen. Die Werte­erziehung wollte man daher nicht vollständig den staatlichen Institutionen überlassen und folglich setzte man auf die Kirchen. Vielleicht ein Fehler, aber so ist es geschehen. Heute, nach sechs Jahrzehnten Zivilgesellschaft, ist dies ohne jede Frage Schnee von gestern, aber – und das ist der entscheidende Punkt – immer noch verfassungsrechtliche Realität. In den westdeutschen Flächenstaaten gehört der nach Konfessionen erteilte Religionsunterricht seit sechs Dekaden zum schulischen Alltag. Die großen Kirchen und mehrheitlich auch die Politik sind außerordentlich wenig geneigt, an diesem Tatbestand etwas zu ändern.
Ausgehend von dieser Lage gilt meines Erachtens die Parole: »Gleiches Recht für alle!« Was man den christlichen Kirchen, den jüdischen Gemeinden und den Aleviten zugesteht, kann man muslimischen Religionsgemeinschaften nicht verweigern. Tut man es dennoch, muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, man trete für die Diskriminierung der Muslime ein.

Für einen islamischen Religionsunterricht sprechen auch andere Gründe. Die religiöse Erziehung in Deutschland beruht bei den großen Religionsgemeinschaften traditionell auf Familie, Gemeinde und Schule. Während Familie und Gemeinde in der Regel Glaubenshinführung und Katechese betreiben, steht der schulische Religionsunterricht eher für die kritische Reflexion von Glaubensinhalten und -praxis. Ein moderner islamischer Religionsunterricht, der zum kritischen Nachdenken anhält und Kontroversen zulässt, leistet zweifellos einen wertvollen Beitrag gegen islamistische Eindeutigkeitsangebote, die die Welt in kruden haram-halal-Diskursen in Gläubige und Ungläubige unterteilen.
Während Neosalafisten, die derzeit in muslimischen Jugendmilieus Rekrutierungserfolge verzeichnen können, eine unmittelbare und dekontextualisierte Lesart von Koran und Hadith (Überlieferung) propagieren, fordert der schulische Islamunterricht, wie er zur Zeit in verschiedenen Bundesländern erprobt wird, einen kontextgebundenen, hermeneutischen Zugang. Dies ist selbst in Bayern der Fall. Im Lehrplan für den bekenntnisorientierten Islamunterricht heißt es: »Aussagen des Korans sollen zuerst in ihrem historischen Bezug gesehen werden. Das wortwörtliche Schriftverständnis tritt in der heutigen Koranhermeneutik als theologische Disziplin gegenüber dem Sinn erschließenden und dem an der Situation und dem Wertverständnis orientierten Schriftverständnis in den Hintergrund.« Wenn dieses Prinzip einer modernen islamischen Religionspädagogik in einem islamischen Religionsunterricht flächendeckend zur Anwendung gebracht würde, bräuchten wir uns über eine wirksame Radikalisierungsprävention keine großen Gedanken mehr zu machen.