Harmonie in der Linkspartei

Sie müssen reden

Katja Kipping und Bernd Riexinger konnten sowohl innerparteilich als auch bei SPD und Grünen sowie der außerparlamentarischen Linken Sympathien gewinnen.

Die 100 Tage, die man neugewählten Politikern und Politikerinnen zubilligen soll, ehe man ihr Tun einer kritischen Betrachtung unterzieht, sind für Katja Kipping und Bernd Riexinger noch nicht ganz abgelaufen. Dennoch kann man schon jetzt feststellen, dass die beiden neuen Vorsitzenden der Linkspartei bislang viel Einigkeit demonstriert und nur wenige Fehler gemacht haben. Dabei war den Anfang Juni auf dem Göttinger Parteitag gewählten Vorsitzenden eine schwere Zeit prophezeit worden. Zu zerstritten hatten sich die beiden Hauptströmungen in der Partei, die sogenannten Reformer aus dem Osten einerseits und die Traditionalisten aus dem Westen andererseits, in Göttingen präsentiert.
Offenbar hat die Wahl dieses Duos tatsächlich den verfestigten Konflikt innerhalb der Partei geschlichtet, wie er auf der Konferenz in Göttingen exemplarisch noch einmal durch die wutschnaubenden Reden von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine zum Ausdruck gekommen war. Mit Kipping hat die überalterte Partei jetzt eine telegene und junge Politikerin an der Spitze, die zwar aus dem Osten kommt, aber als Mitglied der Strömung »Emanzipatorische Linke« keineswegs der reformistischen Regierungslinken zuzurechnen ist. Auf der anderen Seite wirkt Riexinger zwar so grau und langweilig wie ein Sparkassenangestellter, der er tatsächlich einst war. Als Vertreter des Lafontaine-Flügels fällt ihm aber vor allem die Aufgabe zu, die westdeutschen Gewerkschafter und ehemaligen SPD-Mitglieder in der Partei zu repräsentieren. Diese Funktion erfüllt Riexinger, doch er setzt dabei auf seine Integrationskraft – anders als einst Lafontaine, der sich auf sein Charisma als populistischer Agitator verließ.
So konnten sich Kipping und Riexinger Anfang August strategisch geschickt positionieren. Im Rahmen ihrer Sommerreise durch die Republik sprachen die beiden mit dem Hamburger Abendblatt. »Wir wären sofort bei einer rot-rot-grünen Regierung dabei«, sagte Kipping der Zeitung. Ist die Bundesspitze der »Linken« jetzt also so regierungswillig geworden, wie die Traditionalisten immer befürchtet hatten? So einfach ist es nicht. Denn die Bundestagsabgeordnete formulierte gleichzeitig Bedingungen, die zumindest für die Mehrheit bei SPD und Grünen radikal klingen dürften. Eine solche Koalition könne es nur geben, schränkte Kipping ein, wenn sie »die Waffenexporte verbietet, einen Mindestlohn einführt und die Hartz-IV-Sanktionen abschafft«. Riexinger ergänzte: »Wenn SPD und Grüne ernst meinen, was sie als Oppositionsparteien sagen, dann haben wir Schnittstellen mit ihnen.« Er habe aber Zweifel, »ob Rot-Grün ernsthaft den Politikwechsel will«.

Ein Verbot von Waffenexporten und die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes – das hätte schon die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zwischen 1998 und 2005 durchsetzen können, wenn sie es denn gewollt hätte. Und Hartz IV ist sogar eine Erfindung genau dieser Regierung. Ähnliche Forderungen wie jetzt Kipping hatte schon Oskar Lafontaine als Partei- und Fraktionsvorsitzender der Linkspartei als Voraussetzung für einen Eintritt seiner Partei in die Bundesregierung immer wieder genannt.
Doch der Vorstoß der neuen Parteispitze zu diesem Zeitpunkt war in mehrfacher Hinsicht geschickt. Vertreter des linken Flügels von SPD und Grünen, die sich schon länger nicht mehr strikt von der Linkspartei abgrenzen wollen, werden dadurch unterstützt. Zudem wächst besonders in der SPD die Unzufriedenheit mit der faktischen Unterstützung der Bundesregierung bei der Politik der Bankenrettung und den Sozialkürzungen. Innerhalb der Linkspartei wiederum durften die reformistischen Regierungslinken Kippings Äußerungen als Annäherung an ihren Kurs interpretieren. Den Traditionalisten hingegen konnte suggeriert werden, dass sich an der Politik gegenüber der SPD, Lafontaines heute verhasste früherer politischer Heimat, eigentlich nichts geändert hat. So kam denn auch nur relativ laue Kritik an Kippings Äußerungen von einigen Vertretern der »Antikapitalistischen Linken«.

Tatsächlich hat sich aber schon aufgrund der handelnden Person im Verhältnis zur SPD etwas geändert. Wäre eine Koalition mit der Linkspartei unter direkter oder indirekter Führung Lafontaines auf Bundesebene für die SPD in der Tat undenkbar gewesen, wären sowohl Kipping als auch Riexinger für die Sozialdemokraten nicht von vornherein Personae non gratae. Dass die SPD unter der sogenannten Troika aus Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier einstweilen weiter darauf setzt, dass sich das Problem Linkspartei bei der nächsten Bundestagswahl durch die Fünf-Prozent-Hürde von selbst erledigt, steht auf einem anderen Blatt.
Doch sollten Kipping und Riexinger weiter für den innerparteilichen Zusammenhalt sorgen, dürfte aus dieser Hoffnung der SPD-Führung nichts werden. Glaubt man den jüngsten Umfragen, erhält »Die Linke« auch bei den Wählern und Wählerinnen bundesweit wieder etwas mehr Zuspruch. In der jüngsten Erhebung von Forsa kam die Linkspartei auf acht Prozent – so viel Zustimmung hatte sie unter ihren neuen Vorsitzenden noch nie, zuletzt erreichte sie einen solchen Wert im Mai. Zudem würde »Die Linke« damit vor der FDP, die in Umfragen derzeit bei fünf Prozent liegt, und sogar vor der Piratenpartei rangieren, die mit sieben Prozent ihren niedrigsten Wert seit März verbuchte. Kein einziges der großen Meinungsforschungsinstitute sieht die Linkspartei derzeit unter sechs Prozent.
Noch etwas haben Kipping und Riexinger mit ihrer dialogorientierten Parteiführung ebenfalls erreicht: Die Linkspartei scheint für außerparlamentarisch engagierte Linke wieder attraktiver geworden zu sein. Ende Juni veröffentlichten über ein Dutzend Bewegungslinke, Wissenschaftler, Schriftsteller und Gewerkschafter eine Erklärung. Darin heißt es, die Linkspartei sei zuletzt abgelenkt gewesen »von internen Streitigkeiten, von schlechter und verzerrender Berichterstattung in den Medien, und sie war an vielen Punkten in ihrer Institutionenlogik gefangen«. Doch mit »den neu gewählten Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger« sehe man nun »eine gute Chance, dass die Linke diese Probleme hinter sich lässt und ihre Funktion der Bündelung von Opposition zu Neoliberalismus und Krisenmanagement und für die Stärkung von ökologischen, demokratischen, antirassistischen und geschlechtergerechten Perspektiven zurückgewinnt«.
Die Unterzeichner der Erklärung, darunter der Schriftsteller und Politologe Raul Zelik, aber auch die ehemalige Mitarbeiterin des Berliner American Jewish Committee, Barbara Fried, begründeten damit ihren Eintritt in die Linkspartei. Lena Kreck, Redakteurin des Magazins Prager Frühling, vertritt in einem in Analyse und Kritik veröffentlichten Kommentar sogar die These, die »radikale Linke« habe »mit dem jüngst gewählten Parteivorstand den besten Ansprechpartner, den (die Partei) die Linke seit ihrer Gründung anbieten kann«.