Ein Mausoleum für einen italienischen Kriegsverbrecher

Alte Helden, neue Bündnisse

Rodolfo Graziani war einer der größten Kriegsverbrecher Italiens. Nun wurde er mit einem Mausoleum geehrt.

Auf einer ausgedörrten Anhöhe kamen sie zusammen. In Affile, eine Autostunde südöstlich von Rom gelegen, versammelten sich Mitte August knapp 100 italienische Rechtsextreme zur Einweihung eines Mausoleums für Rodolfo Graziani. Der faschistische General liegt in dem Provinzstädtchen begraben. Zum offiziellen Festakt erschienen neben Nostalgikern der faschistischen Eliteeinheit Decima Mas und Abordnungen der neofaschistischen Splitterpartei Fiamma Tricolore auch Mitglieder der rechten Regionalregierung, die fahnenschwenkende Anhänger ihrer Jugendorganisation Giovane Italia mitgebracht hatten.

Der Priester Don Ennio Innocenti weihte die Gedenkstätte ein und führte die Teilnehmer zur Kranzniederlegung an Grazianis Grab. »Die Zuneigung für den General war für uns immer ein fester Bezugspunkt«, gestand der regionale Verkehrsminister Francesco Lollobrigida. Bürgermeister Ercole Viri bezeichnete das im Stil der faschistischen Staatsarchitektur errichtete Gebäude, in dessen Dachkante aus weißem Stein Mussolinis Kriegsparolen patria (Vaterland) und onore (Ehre) eingemeißelt sind, als ein Bauwerk von »nationaler Bedeutung«.
Mit dem Zeremoniell wurde einer der größten Kriegsverbrecher Italiens geehrt. Graziani begann seine militärische Karriere in den Kolonialkriegen des italienischen Königreichs Anfang des 20. Jahrhunderts in Eritrea und Libyen. Nach der faschistischen Machtergreifung war er für die brutale Niederschlagung der antikolonialen Aufstände in der ostlibyschen Provinz Kyrenaika verantwortlich. Im sogenannten Abessinien-Feldzug ordnete Graziani den Einsatz von Giftgas an. Er wurde für seine Leistung von Mussolini mit dem Amt des Vizekönigs von Äthiopien belohnt. Nach der Kapitulation Italiens diente Graziani in der von der deutschen Besatzungsmacht in Norditalien eingesetzten Marionettenregierung der Republik von Salò (RSI) als Kriegsminister.
Obwohl er nachweislich für die italienischen Gräueltaten in Afrika verantwortlich war, wurde Graziani nie vor einem internationalen Gericht als Kriegsverbrecher angeklagt. Zwar verurteilte ihn ein italienisches Schwurgericht wegen seiner Kollaboration mit Nazideutschland zu einer langen Gefängnisstrafe, doch er verbüßte letztlich nur zwei Jahre Haft. Nach seiner Entlassung lebte Graziani im südlichen Latium und wurde 1953 zum Ehrenpräsidenten der faschistischen Nachfolgeorganisation Movimento Sociale Italiano (MSI) ernannt.
2008 bewilligte die damalige linksliberale Regionalregierung 180 000 Euro für ein Projekt zur ökologischen Aufwertung des Naturparks Radimonte, in dem sich nun das Mausoleum befindet. Eine museale Gedenkstätte für Graziani soll im ursprünglichen Projektantrag nicht erwähnt worden sein. Doch seit 2010 wird das Latium von einer extrem rechten Koalition regiert. Renata Polverini, die vor der Gründung von Silvio Berlusconis Einheitspartei Popolo della Liberta (PDL) der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN) angehörte, gewann die Regionalwahlen dank eines Bündnisses mit der rechtsextremen Partei La Destra.

Gleich zwei Minister des Kabinetts nahmen am Eröffnungsfestakt teil. Nun wollen die Oppositionsparteien des Regionalparlaments prüfen lassen, ob die faschistische Kultstätte mit zweckentfremdeten Fördermitteln finanziert wurde. Esterino Montino, Fraktionsvorsitzender der Demokratischen Partei, forderte die römische Staatsanwaltschaft auf, »zu untersuchen, ob hier nicht die Bedingungen für eine Anklage wegen Verherrlichung des Faschismus und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorliegen«. Vito Francesco Polcaro, der Präsident der römischen Sektion der Partisanenvereinigung ANPI, nannte die Gedenkstätte »eine Beleidigung für das demokratische Italien«.
Die rechtsextreme Szene traf sich nicht zum ersten Mal in Affile. Erst im Mai hatte sie sich zur Einweihung einer neuen Bronzebüste des langjährigen Vorsitzenden des MSI, Giorgio Almirante, auf einer nach ihm benannten Piazza im Zentrum des Städtchens versammelt. Wenngleich um viele Jahre jünger, war Almirante wie Graziani ein überzeugter Befürworter der faschistischen »Rassegesetze« und als junger Journalist bis in die letzten Kriegsmonate im Propagandaministerium der RSI tätig. Nachdem er in den ersten Nachkriegsjahren den MSI durch eine extrem antidemokratische Politik in die Isolation manövriert hatte, begann er in seiner zweiten Amtszeit als Vorsitzender in den sechziger Jahren mit der Neuausrichtung des vormals dezidiert neofaschistischen MSI als vermeintlich demokratische Rechtspartei.
Dass die italienische Rechte binnen weniger Monate zweimal im Gedenken an diese Ahnherren zusammenkommt, ist kein Zufall. Bereits im vergangenen Sommer trafen sich verschiedene Generationen und politisch unterschiedlich ausgerichtete Gruppen in Subiaco, einer anderen Kleinstadt der römischen Provinz, zu einem dreitägigen »Forum der sozialen Solidarität«. Seit Polverini die Regionalregierung führt und der ehemalige neofaschistische Schläger Gianni Alemanno das Amt des römischen Oberbürgermeisters innehat, entwickelt sich das südliche Latium zum Laboratorium, in dem Italiens Rechte verschiedene Bündnismöglichkeiten erproben. Während Alemanno alten Kameraden in der Kommunalverwaltung Posten verschafft und offen die selbsternannten »Faschisten des dritten Jahrtausends« der Casa Pound hofiert, hat sich auf regionaler Ebene das Rechtsbündnis von PDL und La Destra konsolidiert.

Die rechtsextreme La Destra verfolgt im Hinblick auf die spätestens im Frühjahr 2013 anstehenden nationalen Parlamentswahlen eine Doppelstrategie: Einerseits bietet sie sich als Koalitionspartnerin des PDL oder jeder eventuell neu entstehenden rechtsliberalen Partei an. Andererseits bemüht sie sich um die Vereinigung aller Splittergruppen. Im Frühjahr gelang es der Partei, in Rom über 10 000 Rechtsextreme zu einer gemeinsamen Demonstration gegen die »Bankenpolitik« von Ministerpräsident Mario Monti zusammenzutrommeln. La Destra hofft, dass sich auch in Italien eine antieuropäische, ultranationalistische Einheitsfront formiert. In diesem Sinne ging es in Affile in diesem Sommer nicht nur um die Verherrlichung vergangener Helden, sondern auch um die Einschwörung auf zukünftige Allianzen.