Über »Hartz-IV-Möbel«

Bauhaus für Arme

Do-It-Yourself für Hartz-IV-Empfänger. Das ist die Idee des Berliner Architekten und Rappers Van Bo Le-Mentzel. Nach seinen Anleitungen sollen sich Menschen mit wenig Geld ihre Möbel selberbauen können. Etwa den »24-Euro-Chair« oder das »Neukölln-Desk«.

Wer Möbel brauchte und kein Geld hatte, griff früher gerne zur Euro-Palette. Ob Hochbett, Kommode, Regal, alles konnte man aus dem DIN-genormten Bretterraster machen. Und die Dinger waren mehr als billig: Man musste nur nachts mit ein paar Bekannten über einen Bauzaun steigen, und schon gab es die Paletten in Hülle und Fülle kostenlos. Zudem fand man auf den Baustellen auch immer irgendwelche Ziegelsteine für den Untersatz und ab und zu auch mal eine Schachtel Nägel, die irgendjemand vergessen hatte wegzusperren. Ästhetisch erinnerten die Möbel, die man in den eigenen vier Wänden aus den nicht ganz legal beschafften Fundstücken zusammengezimmert hatte, immer an ihre Herkunft: die Baustelle. Was mit Anfang zwanzig als irgendwie rustikal-schick empfunden wurde, beginnt mit der Zeit aber seinen Charme zu verlieren. Vor allem wenn »ein Partner, mit dem man es ernst meint, ins Spiel kommt, und der sich daran immer mehr stört. Ein Lattenrost aus dicken, harten Brettern ist dem Rücken auf Dauer auch nicht mehr gut genug. Wenigstens fiel es nicht schwer, sich eines Tages von den Möbelstücken zu trennen: Man konnte sie einfach in ihre Einzelteile zerlegen und über den nächstbesten Bauzaun schmeißen.
All das soll aber jetzt anders werden: Das von dem Berliner Architekten Van Bo Le-Mentzel verfasste Buch »HartzIVMöbel.com« verspricht mit einfachen Anleitungen billige Möbellösungen, die an den Stil des Bauhauses erinnern. Auf der gleichnamigen Internetseite hat sich der Ex-Rapper eine Crowd aufgebaut, die sich untereinander über die neuesten Trends in Sachen Eigenbaumöbel austauscht. Erfolgreiche Hobbyschreiner dokumentieren stolz ihre Erfolge und den harten Weg dahin. Le-Mentzel ist es auch wichtig, dass man nicht ihn als Autor nennt, sondern die Crowd, die aus »Geldverdienern, Jungen und Alten, Gesunden und Kranken, Theoretikern und Praktikern, Konservativen und Visionären« besteht. Mit dem »24-Euro-Stuhl« hat das Projekt laut Le-Mentzel im Jahr 2010 begonnen. In einer Volkshochschule erlernte er das nötige Handwerk.
Angeblich soll der Stuhl in 24 Stunden zusammengeleimt sein und an die Arbeiten von Marcel Breuer oder Ludwig Mies van der Rohe erinnern. Ich habe nach vier Stunden aufgegeben und das gekaufte und zugeschnittene Holz zu Regalbrettern umfunktioniert. Wobei alleine drei Stunden dafür verschwendet wurden, im Labyrinth eines riesigen Baumarktes die nötigen Materialien zu beschaffen und einen Menschen mit Auto zu finden, der das Zeug transportiert. Vielleicht liegt das auch daran, dass es im Zentrum Hamburgs nicht wirklich viele Holzhändler gibt. Solche Geschäfte gibt es meist in den Industriegebieten am Stadtrand, der nicht gerade mit öffentlichen Verkehrsmitteln gesegnet ist. Und im einzigen Baumarkt in Altona ist das Holzangebot alles andere als üppig. Im Bericht des Berliners Le-Mentzel hört sich das viel einfacher an: »Bei meinem ersten Stuhl wollte ich nicht viel mehr als 20 Euro ausgeben, nicht lange bauen müssen und nicht viel Holz verwenden, weil ich kein Auto für den Transport hatte. So landete ich bei den urdeutschen Idealen des Bauhauses.« Alle Möbelmaterialien sollen mit der U-Bahn transportiert werden können, so das Credo. Wer in Hamburg einen Stuhl mit der U-Bahn von A nach B verfrachten will, der sollte sich schon mal auf übelste Pöbeleien einstellen.
Vor solchen Problemen warnt das Buch nicht. Vielmehr verspricht es ganz neue Erkenntnisse über unser Konsumverhalten. Daher auch der Befehl auf dem Cover: » Build more, buy less.« Nach meinem kläglich gescheiterten Selbstversuch sehe ich das aber noch ein wenig radikaler: Kaufe nichts, baue nichts, sondern schau bei Ebay nach. Hah, eine Esszimmergarnitur mit Nussbaumfurnier für 35 Euro! Kein Bauhaus-Stil, aber eine überzeugende Mischung aus Biedermeier und Omas Küche. Nimm das, Le-Mentzel! Wieso sollte man etwas bauen oder herstellen, das schon existiert, Secondhand zwar, aber gut erhalten? Wer sich gegen Verschwendung ausspricht, sollte darauf schon eine Antwort liefern. Der Autor und seine Crowd tun das leider nicht. Vielleicht wollte der Do-It-Yourself-Aktivist aber auch etwas ganz anderes erreichen. Hartz-IV-Empfänger sind im rechten Bürgertum ja nicht gerade dafür bekannt, selbst etwas anzupacken. So könnte das Mitmachprojekt endlich mal mit dem ekelhaften Klischee des faulen Arbeitslosen aufräumen. »Und im besten Fall verändert sich auch ihr Leben ein bisschen, weil sie mobil werden: Sie müssen eine Werkstatt suchen und das Holz kaufen«, erklärt Le-Mentzel in dem Buch. Also raus, ihr Kranken, Arbeitslosen und Depressiven, hobelt, fräst und leimt, dann wird das Leben schon sinnvoller.
Damit ist man schon beim Hauptproblem des Buches. So hübsch das Design auch sein mag, es ist ein Lebenshilferatgeber mit Bauanleitungen. »Wohnen ist für mich ein soziales Thema und kein reines Designthema. Deshalb habe ich das asozialste Wort Deutschlands gesucht: Hartz IV«, sagt Le-Mentzel im Interview. Man kann ihm da aber keinen Vorwurf machen. Erstens ist der »24-Euro-Stuhl« in einer Zeit entstanden, als der Erfinder selbst arbeitslos war und eine neue Herausforderung gesucht hat. Und zweitens ist Le-Mentzel einfach zu nett, als dass man sein Lebenshilfe-DIY-Werk als Blenderei abtun könnte. Außerdem ist er eben Architekt. Diese Berufsgruppe ist dafür bekannt, dass sie die Manifestation einer neuen spirituellen Lebensweise sieht, wo andere nur ein Haus erkennen können. So spricht Le-Mentzel auch von »Karma Economy«, wenn er über den Entstehungsprozess der Hartz-IV-Möbel-Serie redet. Jeder gibt etwas und bekommt etwas zurück. Das Problem ist aber, dass es dieser spirituellen Aufladung gar nicht bedurft hätte. Denn das Wort Tauschhandel oder Austausch hätte es auch getan. Das Prinzip der Community gefällt vielleicht auch nicht jedem. Denn um an die Datei mit den Bauplänen zu kommen, muss man erstmal einen Fragebogen ausfüllen und erklären, was man mit dem Möbelstück vorhat, wieso man Billigheimers Bauhaus benötigt und in welcher Lebenssituation man steckt. Das erinnert natürlich an die Formulare des Job-Centers, die jeder Hartz-IV-Empfänger ständig ausfüllen muss. Schwer genervte Hartzer haben für solche ironischen Spielchen vielleicht keinen Sinn.
»Ich sehe eher die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede«, sagt Le-Mentzel über das Vorhaben, eine Bewegung aus Hipstern, Arbeitslosen und Start-up-Unternehmern aufzubauen. Während er sich um seine Bewegung kümmert, suche ich weiter nach Möbeln in den Ebay-Kleinanzeigen, um meine Euro-Paletten-Konstruktion beseitigen zu können.

Van Bo Le-Mentzel: HartzIVMoebel.com. Build More, Buy Less! Konstruieren statt konsumieren. Hatje Cantz, Ost­fildern 2012, 144 Seiten, 12,99 Euro