Die Leugnung des Genozids an den Herero in Namibia

Helfen statt anerkennen

Deutsche Kolonialtruppen ermordeten zwischen 1904 und 1908 im heutigen Namibia systematisch Stammesangehörige der Herero und Nama. Doch von einem Genozid möchte die schwarz-gelbe Bundesregierung weiterhin nicht sprechen.

Der Satz ist kurz und eindeutig: »Deutschland hat keinen Völkermord an Herero und Nama begangen.« Dies teilte die Bundesregierung Ende August in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei mit. Angesichts der historischen Ereignisse ist diese Feststellung erstaunlich.
Die Reichsregierung des wilhelminischen Deutschland musste 1895 verbittert feststellen, dass sich die Stämme Herero und Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika das deutsche Obrigkeitsdenken nicht aneignen wollten. »Ein Umstand, der Hottentotten und Herero so hinderlich ist, sich europäischer Kultur einzuordnen, ist ihre ›Staatsverfassung‹. Nicht allein die Männer, sondern häufig genug auch die Weiber, selbst die Diener geben ihren Rat mit ab. So fühlt sich eigentlich keiner so recht als Untertan, keiner hat so recht gelernt, sich zu fügen«, heißt es in einem Dossier, das damals dem Reichstag vorlag.

Deutsch-Südwestafrika befand sich von 1884 bis 1915 im heutigen Staatsgebiet von Namibia. Angesichts der institutionellen Diskriminierung und des Verlusts immer größerer Weidegebiete begannen die Herero im Januar 1904, deutsche Farmen und Militärstationen anzugreifen, um so die Kolonialherren zu vertreiben. Der von der deutschen Reichsleitung zur Niederschlagung des Aufstands eingesetzte Generalleutnant Lothar von Trotha beschrieb im Oktober 1904 in einem Brief an den Generalstabschef Alfred Graf von Schlieffen seine Kriegstaktik gegen die Herero mit den Worten: »Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss.«
Obwohl der Vernichtungsbefehl noch im gleichen Jahr von Kaiser Wilhelm II. aufgehoben wurde, setzten die 15 000 entsendeten deutschen Soldaten die Mordstrategie an den Herero sowie den Nama, die sich dem Aufstand anschlossen, bis 1905 fort. Nachdem 1906 die meisten Kämpfe zugunsten der Deutschen entschieden worden waren, internierten diese einen Großteil der Herero und Nama in Konzentrationslagern, in denen jeder zweite Insasse an Krankheit, Unterernährung oder an den Folgen von Zwangsarbeit starb. Dem Vernichtungsfeldzug fielen mindestens 65 000 Herero und 10 000 Nama zum Opfer, getötet wurden auch Angehörige der Damara und San, obwohl sich diese zu keinem Zeitpunkt in einem erklärten Krieg gegen das Kaiserreich befanden. In der Geschichtswissenschaft gelten die Ereignisse nach überwiegender Lehrmeinung als erster Genozid des 20. Jahrhunderts.
»Die brutale Niederschlagung des Aufstandes der Volksgruppen der Herero und Nama durch deutsche Kolonialtruppen zwischen 1904 und 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, kann nach Auffassung der Bundesregierung nicht nach den heute geltenden Regeln des humanitären Völkerrechts bewertet und daher auch nicht als Völkermord eingestuft werden«, teilte die Bundesregierung jedoch in ihrer Antwort an die Linkspartei mit. Die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords sei für die Bundesrepublik erst 1955 in Kraft getreten und gelte nicht rückwirkend, lautet die juristische Begründung. Zwar betont die Bundesregierung, dass sie sich »wiederholt zu der historischen und moralischen Verantwortung gegenüber Namibia sowie den Nachfahren der Opfer« bekannt habe. Verpflichtungen, die Nachfahren der Herero und Nama zu entschädigen, ergäben sich daraus jedoch nicht. Schließlich sei, so hatte der CDU-Abgeordnete Egon Jüttner bereits in einer Bundestagsdebatte zu dem Thema im März argumentiert, Namibia das Land, das von Deutschland die höchsten Entwicklungshilfezahlungen pro Einwohner erhalte.

Frühere Bundesregierungen zeigten noch weniger Verständnis für die Nachfahren der Opfer. Als Helmut Kohl 1995 als erster Bundeskanzler Namibia besuchte, vermied er ein Zusammentreffen mit Abgesandten der Herero. Die damalige Regierung und das Auswärtige Amt bedauerten nach eigenen Angaben zwar die Geschehnisse, weigerten sich jedoch, Verantwortung für die Morde zu übernehmen. Die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), wurde 2004 gar vom grünen Außenminister Joseph Fischer zurechtgewiesen, nachdem sie die Herero bei einer Gedenkveranstaltung um Vergebung gebeten und gesagt hatte, die »damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde«. Fischer bezeichnete dies als »Privatmeinung« der Ministerin.
»Große Teile der Bundesregierung wissen genau, dass es ein Völkermord war«, sagt Niema Movassat, ein Bundestagsabgeordneter der Linkspartei. »Doch aus taktischen Gründen entschließt man sich dazu, diesen offiziell nicht als solchen zu bezeichnen, um Entschädigungsansprüche der Opfer zu vermeiden.« Movassat reiste vor zwei Wochen nach Namibia und traf sich mit Vertretern von Opferverbänden. Die von diesen seit Jahrzehnten erhobenen Reparationsforderungen bezögen sich dabei vor allem auf die strukturellen Verluste, die das Land während des Kolonialkriegs erfahren hat. Statt um individuelle Entschädigungen für die Nachfahren von Opferfamilien gehe es vor allem um einen finanziellen Ausgleich für verlorenes Land und verlorenen politischen Einfluss.
»Die Entwicklungshilfe für Namibia ist jedoch kein Ersatz für diese Reparationen, weil in erster Linie die Geber bestimmen, für was die Gelder verwendet werden sollen«, sagt Movassat. Dass die amtierende Bundesregierung einlenken wird, glaubt er nicht. Zwar könnte die Gründung einer Deutsch-Namibischen Parlamentariergruppe, die »Die Linke« für den Beginn der nächsten Legislaturperiode des Bundestags plant, den politischen Druck erhöhen, den Genozid anzuerkennen. Das Eintreten für Reparationszahlungen könnte jedoch noch aus anderen Gründen scheitern: Die zwei großen Herero-Organisationen Namibias sind tief zerstritten. Ihr Disput dreht sich hauptsächlich um den Standort des sogenannten Heiligen Feuers der Herero. Einige Herero werfen der Fraktion um Häuptling Tijinani Maharero vor, das Feuer unrechtmäßig von der Stelle entfernt zu haben, an der es seit 1923 immer wieder entfacht worden sei. »Aus Sicht der Bundesregierung ist so ein Streit natürlich das beste, was passieren kann«, sagt Movassat.

Der Sozialwissenschaftler Reinhart Kößler, der sich am Freiburger Arnold-Bergstraesser-Institut mit der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia beschäftigt, bezeichnet die Ablehnung des Begriffs Völkermord durch die Bundesregierung als »inakzeptabel«. Insbesondere die Argumentation, dass die UN-Völkermordkonvention nicht rückwirkend gelte, sei eine »sehr oberflächliche Haltung«. »Beim Holocaust würde sich niemand so eine Aussage einfallen lassen«, sagt Kößler. Abgesehen von Amateurhistorikern und geschichtsrevisionistischen Publizisten wie dem in Südafrika lebenden Claus Nordbruch stufe zudem die Mehrheit der Historiker den Mord an den Herero und Nama als Genozid ein. Indirekten Widerspruch zur Aussage der Bundesregierung gab es auch vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags: Auf eine Anfrage der Fraktion der Linkspartei teilte dieser mit, dass Völkermord in erster Linie als politisch-historischer und nicht nur als juristischer Begriff zu werten sei.