Arbeitskämpfe in Sardinien

Schicht im Schacht

Die Kohlekumpel in Sardinien sind nicht die einzigen, die um ihre Arbeitsplätze in der von Deindustrialisierung und Krise betroffenen italienischen Region kämpfen.

Fernab der touristischen Traumstrände hat im Südwesten Sardiniens der Nachsommer mit einem spektakulären Arbeitskampf begonnen. Etwa 50 Minenarbeiter der Bergbaugesellschaft Carbosulcis riegelten vergangene Woche die Zufahrtswege zur Kohlegrube Nuraxi Figus ab und verbarrikadierten sich in einem knapp 400 Meter unter der Erde liegenden Stollen. Seither wechselt sich die Belegschaft mit dem Streikdienst unter Tage ab. Im besetzten Streckenabschnitt befindet sich auch das Sprengstofflager. In der ersten Aufregung drohten die Streikenden, sie seien zu jeder »verrückten Tat« bereit. Wie angespannt die Lage im Stollen ist, wurde auf einer Pressekonferenz deutlich, als Stefano Meletti, ein Vertreter der Belegschaft, eine emotionale Ansprache mit dem Ausruf beendete: »Wenn der Tod der Minenarbeiter beschlossene Sache ist, dann richten wir uns selbst!« Woraufhin er sich die Handgelenke aufschlitzte. Die Geste hatte keine schwerwiegenden Verletzungen zur Folge, sie offenbart aber die Verzweiflung der Kohlekumpel.

Carbosulcis ist der letzte Bergbaubetrieb Italiens. Seit 1995 steht er unter sardischer Regionalverwaltung, die den Kohleabbau jährlich mit einigen Millionen Euro subventioniert. Für die EU-Kommission handelt es sich hierbei um unerlaubte Staatshilfen. Sollte sich kein privater Investor finden, droht der Kohlegrube Ende des Jahres die Stilllegung. Mit dem Protest soll die Regierung in Rom zur Umsetzung eines 200 Millionen Euro teuren Projekts gezwungen werden. Die bisherige Anlage soll demnach in Kooperation mit dem halbstaatlichen Energiekonzern ENEL in einen modernen »Energiepark« mit einem »sauberen Kohlekraftwerk« umgebaut werden, das das Kohlendioxid unterirdisch speichern und damit eine klimaneutrale Fortsetzung des Kohleabbaus garantieren könnte. Umweltminister Corrado Clini sprach von einem »innovativen Projekt«, bezweifelte aber, dass es sich auf Sardinien realisieren lasse. Wirtschaftsminister Corrado Passera versuchte zu beschwichtigen und versprach: »Das Bergwerk wird zum Jahresende nicht geschlossen.« Einig sind sich alle Regierungsmitglieder darin, dass jedes neue Projekt wettbewerbsfähig sein muss und die Staatskassen nicht belasten darf. Statt am teuren Inselstandort festzuhalten, könnte die Regierung deshalb auch die Modernisierung eines Kraftwerks auf dem Festland beschließen.

Die äußerst gereizte Stimmung auf Sardinien beschränkt sich nicht nur auf den Bergbau. Rund um die bestreikte Kohlegrube ist ein ganzer Industriepark in die Krise geraten. Insbesondere in der Chemie- und Aluminiumindustrie gab es in jüngster Zeit einen erheblichen Stellenabbau. Nach Angaben des Statistikamtes stieg die Zahl der Arbeitslosen im vergangenen Frühjahr um knapp drei Prozentpunkte. Demnach sind mittlerweile 16 Prozent der Bevölkerung erwerbslos. Sardinien befindet sich in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Proteste gegen die Deindustrialisierung und die ersatzlose Stilllegung ganzer Produktionszweige nimmt deshalb immer radikalere Formen an. Im vergangenen Jahr besetzten entlassene Beschäftigte der Kunststofffabrik Vinyls für 15 Monate die Sardinien vorgelagerte Insel Asinara. Im August blockierten Beschäftige der insolventen Aluminiumfabrik Alcoa den Flughafen in Cagliari und den Fährbetrieb mit dem Festland. Am Freitag vergangener Woche schließlich belagerten Arbeiter von Alcoa und eine Abordnung der Kohlekumpel gemeinsam das Wirtschaftsministerium in Rom. Im Falle der Alcoa sollen Regierungs- und Gewerkschaftsvertreter mit einem Schweizer Investor sozialverträgliche Übernahmebedingungen aushandeln. Jede langfristige, strukturpolitische Investitionsentscheidung für das Kohlebergwerk hat Montis Übergangsregierung dagegen erst einmal vertagt, bis auf weiteres soll die Mine weiterbetrieben werden. Die Kohlekumpel haben daraufhin am Montag nach einer mehrstündigen Vollversammlung beschlossen, ihren Streik auszusetzen. Sie kündigten aber an, in Alarmbereitschaft zu bleiben.